Gesundheitssysteme weltweit Auch anderswo ein Spielfeld für Ideologen

Der US-Senat hat ein Gesetz entworfen, das Obamacare abschaffen und das Versicherungssystem durchlöchern würde. Doch wie steht es um die Gesundheitssysteme in anderen Ländern? Unsere Korrespondenten berichten.

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Der Gesundheitsdienst entwickelte sich aber zum Auffangbecken für Probleme, die anderswo durch Einschnitte entstanden sind – vor allem bei der Heimpflege. Quelle: Reuters

Düsseldorf Obamacare ist konservativen US-Amerikanern schon lange ein Dorn im Auge. Ein Gesetzesentwurf führender Republikaner sieht jetzt vor, das wichtigste Projekt von Ex-Präsident Barack Obama zurückzunehmen. Doch wie schwierig es ist, ein staatliches Gesundheitswesen zu reformieren, muss auch Nachfolger Donald Trump feststellen: Zu viele politische Ideologien sind im Spiel, zu viele Milliarden gilt es zu erwirtschaften und zu verteilen, zu kompliziert sind die Einzelheiten – weshalb sich Regierungen auf der ganzen Welt schwer tun, ein für Bürger wie auch für die Staatsfinanzen zufriedenstellendes System zu erreichen.

Wie viel Versorgung garantiert der Staat, wie viel müssen die Bürger selbst absichern, wo liegen die Probleme und warum sind Reformen so schwierig? Unsere Korrespondenten berichten über die Lage in ihren Ländern.

Großbritannien: Nationales Heiligtum auf der Intensivstation

Der britische staatliche Gesundheitsdienst National Health Service (NHS) gilt als nationales Heiligtum. Das System ist für alle Patienten gratis – die Menschen sind daher stolz darauf. Zu besonderen Anlässen verfassen sie Gedichte und preisen das System, sogar bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele 2012 wurde es auf der Bühne gewürdigt.

Und dennoch schimpfen die Briten auch regelmäßig über den NHS, weil der Dienst regelmäßig mit langen Wartezeiten, Personalknappheit und Überlastung kämpft – und das trotz eines Budgets von 120 Milliarden Pfund im laufenden Jahr.

Seit Anfang des Jahres sprechen Experten von einem neuen Höhepunkt: Das britische Gesundheitswesen befinde sich in einer „humanitären Krise“, diagnostizierte das britische Rote Kreuz. Die Regierung wehrt sich gegen diese Kritik, das sei überzogen und verantwortungslos, so etwas zu behaupten.

Es ändert aber nichts an den Problemen, über die Patienten in zunehmenden Maße klagen und die auch Zahlen belegen: Viele Notfallaufnahmen schaffen es nicht, sich innerhalb der eigentlich angepeilten vier Stunden um ihre Patienten zu kümmern. Die Zahl der Menschen, die in Krankenhäusern versorgt werden müssen, weil sie keinen Platz in einem Heim bekommen, ist deutlich gestiegen.

Zwar ist der NHS von der Sparpolitik der Regierung in den vergangenen Jahren verschont geblieben. Der Gesundheitsdienst entwickelte sich aber zum Auffangbecken für Probleme, die anderswo durch Einschnitte entstanden sind – vor allem bei der Heimpflege.

Die Probleme des NHS nehmen auch durch die steigende Lebenserwartung zu. Stevens, Chef des NHS in England, fasste dies in Zahlen so zusammen: Es sei doch logisch, dass sich bei jährlich 300 Millionen Arztterminen und 23 Millionen Notfall-Aufnahmen der Druck in den Krankenhäusern erhöhe, wenn Arzttermine schwerer zu bekommen seien.

Ein weiteres Problem könnte durch den EU-Austritt und die geplanten Einwanderungskontrollen auf den NHS zukommen. Denn etliche Krankenhäuser sind auf ausländische Pflegekräfte angewiesen.

Katharina Slodczyk, London


Frankreich: Seit Jahren im Defizit

Die französische Gesundheitsversorgung zählt zu den besten der Welt, wenn man sich nach der Lebenserwartung richtet: Mit durchschnittlich 82,3 Jahren liegt sie gut zwei Jahre über dem OECD-Durchschnitt. Das gilt allerdings auch für die Kosten. Mit rund zwölf Prozent des BIP liegen die Ausgaben deutlich über dem OECD-Durchschnitt, aber etwas unter den deutschen. Und das System hat eine deutliche soziale Schlagseite, die man aber nicht wahrhaben will.

Ganz grundsätzlich ist das System ähnlich wie in Deutschland gestrickt: Es gibt kein staatliches Gesundheitssystem, sondern eine allgemeine Versicherungspflicht. Allerdings steuert die (beitragsfinanzierte) soziale Krankenversicherung nur einen Teil der Ausgaben bei und ersetzt dem Versicherten nur einen Teil der Leistungen. Jeder Versicherte benötigt eine private Zusatzversicherung (mutuelle). Deren Angebot variiert sehr, je nach Beitragssätzen. Dadurch kommt eine extreme soziale Ungleichheit ins System, die dadurch verschärft wird, das in manchen Fällen der Arbeitgeber die Beiträge ganz übernimmt, in anderen dagegen gar nicht.

Dem Nationalen Statistikamt zufolge finanziert die SV 76,6 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben,  13,5 Prozent stammen von den Zusatzversicherungen und 8,5 Prozent von den Versicherten selbst. Der kleine Rest ist unerklärt. Die Krankenversicherung ist seit Jahren im Defizit:  2010 betrug es 11,6 Milliarden Euro, 2015 noch 5,8 Milliarden. Frankreich hat erst später als Deutschland mit Programmen zur Kostendämpfung angefangen.

Anders als in Deutschland gibt es keine echten Höchstsätze beispielsweise für Ärzte. Die SV erstattet nur ein bestimmtes Honorar, die Mutuelle einen weiteren Anteil. In den Ballungszentren nehmen viele Ärzte aber da Doppelte oder Dreifache des SV-Satzes. Wer das nicht bezahlen kann oder will, muss auf einen Termin bei einem günstigeren Arzt warten, deren Sprechstunden entsprechend überlaufen sind. Oder er muss in die Ambulanz eines Krankenhauses gehen. In beiden Fällen sind Wartezeiten von mehreren Monaten die Regel. Wie exakt die internationalen Vergleiche wirklich sind, ist deshalb fraglich.

Thomas Hanke, Paris


Italien: Starkes Nord-Süd-Gefälle

Es hat seine Gründe, dass europäische Expats, vor allem Deutsche, auch nach vielen Jahren in Italien lieber einen Flug oder eine lange Autofahrt in Kauf nehmen, statt sich vor Ort behandeln zu lassen. Das Gesundheitssystem, seit 1978 im nationalen Gesundheitsdienst SSN organisiert, funktioniert zwar, hat aber seine Tücken und ist regional sehr unterschiedlich. Grundsätzlich ist die medizinische Grundversorgung kostenlos und wird durch Steuern finanziert.

Ein typisches Beispiel: Mit einer akuten Nierenkolik und entsprechenden Schmerzen lässt sich ein deutscher Manager in Rom am Morgen von der Ehefrau zum „pronto soccorso“ bringen, in die Notaufnahme  des nächstgelegenen Krankenhauses. Dort gilt wie in ganz Italien das Ampel-Prinzip: behandelt wird jeder, aber in der Reihenfolge nach Einschätzung des Arztes. „Rot“ kommt sofort dran, dann „gelb“, die Patienten mit „grün“ müssen warten und die mit dem Code „weiß“ kommen als letzte dran. Der Manager erhält den Code „grün“. Das heißt warten. Nach schmerzvollen Stunden  erbarmt sich ein Arzt, der vorbeikommt und zieht seine Behandlung vor. Wie so oft in Italien wird ein institutionelles Problem mit Flexibilität und Mitmenschlichkeit gelöst. Das Ampel-Prinzip ist strikt: „rot“ gibt es nur bei akuter Lebensgefahr.

Die Alternative ist wie in vielen anderen Ländern eine schnelle Behandlung  bei privaten Kliniken und Ärzten – gegen Cash. Wer das nicht will oder kann,  muss sich bei dem für seinen Wohnsitz zuständigen lokalen Gesundheitsdienst melden und erhält eine Gesundheitskarte. Der „Familienarzt“ übernimmt dann die Primärversorgung und schreibt Überweisungen.

Die Planung, Finanzierung, Kontrolle und Überwachung des Gesundheitswesens ist in der Hand der Regionen – und das erschwert Reformen. Sie legen auch die Gebühren der Selbstbeteiligung fest. Das Gesundheitsministerium in Rom kümmert sich um Grundsatzaufgaben. Ministerin Beatrice Lorenzin versucht gerade, die Regionen an einen Tisch zu bekommen, um deren  Gesundheitsausgaben anzugleichen. Das Nord-Süd-Gefälle ist in Italien deutlich.

Nur rund 30 Prozent der Italiener sind privat versichert und die privaten Krankenversicherungen arbeiten selten mit dem öffentlichen Sektor zusammen. Aber trotz aller Schwachpunkte des Systems: Nach dem Gesundheitsbericht der OSZE von 2016 sind die Italiener im Europa-Durchschnitt gesünder und haben eine höhere Lebenserwartung als zum Beispiel die Deutschen. Offenkundig ist  die mediterrane Diät mit wenig Fleisch und viel Gemüse  eine gute Prävention.

Regina Krieger, Rom


Spanien: Höhere Beiträge für Arbeitgeber

Die Verfassung schreibt fest, dass jeder Spanier das Recht auf medizinische Versorgung hat. In der Praxis sieht das so aus, dass 80 Prozent die öffentliche Gesundheitsversorgung nutzen, der Rest ist privat versichert. Die Beiträge für die staatliche Krankenkasse sind für Angestellte gering: Sie zahlen 4,7 Prozent ihres sozialversicherungspflichtigen Gehalts, der Arbeitgeber muss 23,6 Prozent beisteuern.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO hat die spanische Regierung pro Einwohner im Jahr 2014 währungsbereinigt 1884 US-Dollar (umgerechnet 1744 Euro) für Gesundheitsleistungen ausgegeben, in Deutschland sind es mit 4165 Dollar dagegen mehr als doppelt so viel. Allerdings übernimmt das öffentliche Gesundheitssystem in Spanien grundsätzlich keine Zahnarztkosten und keine Sehhilfen.

Ein weiterer Grund für die niedrigen Ausgaben in Spanien sind die Sparmaßnahmen, die in der Krise auch den Gesundheitssektor getroffen haben. 2007, dem Jahr vor Ausbruch der Krise, hat der Staat pro Kopf noch 80 Euro mehr gezahlt als 2014, dem aktuellsten Jahr für das die Daten vorliegen. Doch nicht alle Sparmaßnahmen gingen zu Lasten der Qualität.

Ärzte sind nach der Gesundheitsreform verpflichtet, das billigste Medikament zu verschreiben. Die Beschaffung ist zentralisiert, so dass der Staat eine größere Einkaufsmacht gegenüber den Pharmakonzernen besitzt. Die Preise für Medikamente sind daher in Spanien deutlich geringer als in Deutschland. Spanier zahlen zudem je nach Einkommen zwischen 40 und 60 Prozent der verschreibungspflichtigen Medikamente selbst.

Für gesetzlich Versicherte gibt es in jedem Wohnbezirk ein Gesundheitszentrum, wo er sich seinen Hausarzt aussuchen kann. Der ist nötig, um Überweisungen an einen Spezialisten auszustellen. Wer ins Krankenhaus muss, für den stehen öffentliche Kliniken zur Verfügung. Die Qualität der Versorgung gilt als sehr gut, das Problem aber sind sehr lange Wartezeiten, weil nicht genügend Kapazitäten vorhanden sind.

Spanier, die es sich leisten können, suchen sich deshalb eine private Zusatzversicherung oder wählen gleich eine komplette private Krankenversicherung. Die warten mit freier Arztwahl, Extra-Leistungen wie Sprechstunden per Skype sowie  eigenen Krankenhäusern und deutlich geringeren Wartezeiten auf.

Sandra Louven, Madrid


Schweden: Eine Krankenversicherung für alle

Im Ausland gilt das schwedische Gesundheitssystem häufig als Vorbild. Im Inland hingegen ist es immer wieder Gegenstand zum Teil hitziger Diskussionen und stets auch eines der wichtigsten Themen in Wahlkämpfen.

Die Diskrepanz zwischen äußerer und innerer Wahrnehmung hängt vor allem damit zusammen, wen man fragt. So loben deutsche Ärzte, die nach Schweden gegangen sind, die regelmäßigen Arbeitszeiten und die relativ guten Gehälter im hohen Norden. Fragt man dagegen Patienten, ergibt sich ein vollkommen anderes Bild. Krankenbetten stehen schon einmal wegen Überbelegung in den Korridoren, manch ein Schwerkranker stirbt, während er auf die lebensnotwenige Operation warten muss. Das System ist überlastet und überbürokratisiert, und vor jeder Parlamentswahl versprechen die Politiker eine dringend notwendige Reform.

Im Gegensatz zu Deutschland ist das Gesundheitssystem vollständig steuerfinanziert. Etwas mehr als zehn Prozent der Einkommenssteuer werden für die Finanzierung des Gesundheitssystems einbehalten. Die Wahl einer Krankenkasse ist überflüssig: Es gibt mit der staatlichen „Försäkringskassan“ nur eine.  Allerdings besteht seit ein paar Jahren die Möglichkeit, eine private Zusatzversicherung abzuschließen, die den Besuch einer der wenigen Privatkliniken mitfinanziert.

Die Diskussion über Rezept- und Patientengebühren vor ein paar Jahren in Deutschland wurde in Schweden belächelt. Denn hier muss sich jeder Patient seit Langem an den Kosten für einen Arztbesuch beteiligen. Stolze 350 Kronen, knapp 37 Euro, kostet etwa der Besuch bei einem Facharzt. Der Rat von einem Allgemeinmediziner ist etwas billiger. Der Staat hat die Eigenbeteiligung allerdings bei umgerechnet etwa 100 Euro gedeckelt. Wer diesen Betrag innerhalb von zwölf Monaten überschreitet, braucht keine Arztgebühren mehr zu bezahlen.

Um die langen Wartezeiten bei Ärzten und in Kliniken abzubauen, wird seit 2015 ein digitaler Arztbesuch angeboten. Über die App „Kry“ (zu Deutsch: „Wohlfühlen“) kann man einen Arzt online konsultieren. Diese Video-Beratungen bei einem legitimierten Arzt erfreuen sich nach Auskunft des Unternehmens wachsender Beliebtheit.  

Helmut Steuer, Stockholm


Russland: Überbleibsel aus Sowjetzeiten

Die medizinische Grundversorgung in Russland ist laut Verfassung kostenlos. Finanziert wird sie seit der letzten Gesundheitsreform vor fünf Jahren über das System der „Obligatorischen Krankenversicherung“. Die Beiträge der Krankenversicherung zahlt der Arbeitgeber (5,1 Prozent des Gehalts), für die nichtarbeitende Bevölkerung kommt der Staat auf. Das kostenlose Gesundheitssystem ist ein Überbleibsel der sozialen Absicherung, das noch aus Sowjetzeiten stammt. Doch leider stammt auch der Großteil der staatlichen Krankenhäuser samt ihrer Einrichtung noch aus dieser Zeit. Der Staat finanziert den Bereich Medizin nur unzureichend und hat viele Finanzierungspflichten auf die Regionen abgewälzt.

Gerade in der Provinz ist die Ausrüstung in den Polikliniken daher oft veraltet, die Ärzte sind überlastet, schlecht bezahlt und dementsprechend unmotiviert. Im südrussischen Gebiet Saratow beispielsweise hat sogar die Staatsanwaltschaft inzwischen ein Verfahren gegen die Gebietsregierung wegen der Unterfinanzierung der Krankenhäuser eingeleitet. In der Region fehlen 90 Millionen Euro zur Finanzierung.

In Moskau ist die medizinische Versorgung besser, daher versuchen viele Russen, sich dort in einer der Polikliniken als Patienten fest einzuschreiben. Doch auch hier hören sie oft: „Ultraschall müssen Sie aber extra zahlen, das gehört nicht zu den kostenlosen Leistungen“, oder „Das Blutbild müssen Sie sich in einem Privatlabor erstellen lassen, so etwas machen wir hier nicht.“ Medikamente müssen sich die meisten inzwischen ohnehin selbst kaufen, nur Rentner werden vor die Wahl gestellt, einen Rentenzuschuss zu bekommen oder von Zuzahlungen für bestimmte Medikamente befreit zu werden.

Viele Russen verzichten daher inzwischen auf das staatliche Gesundheitssystem und gehen zu einem Privatarzt. Die Zahl der Privatkliniken gerade im reicheren Moskau ist entsprechend stark gestiegen. Freilich klagen auch hier viele Patienten – diesmal allerdings darüber, dass ihnen überflüssige medizinische Dienstleistungen aufgeschwatzt werden. In Moskau kursiert daher schon der Witz: „Nichts ist schwerer, als einem staatlichen Arzt zu beweisen, dass man krank ist und einem privaten Arzt zu beweisen, dass man gesund ist“.

André Ballin, Moskau


Australien: Abschied vom Solidaritätsprinzip

Medicare – das australische Gesundheitsversorgungssystem galt einst als eines der besten, wirtschaftlichsten und fairsten der westlichen Welt. 1984 von der sozialdemokratischen Regierung ins Leben gerufen, garantierte es jedem Bürger eine kostenlose Versorgung bei Krankheit und Unfall. Die Abmachung zwischen Bürger und öffentlicher Hand war simpel: jeder – ob Putzfrau oder Multimillionär – zahlt pro Monat zwei Prozent seines Gehalts in die Medicare-Kasse und kann dafür eine solide Behandlung erwarten.

In den vergangenen 20 Jahren ist Medicare jedoch zu einem Schatten seiner selbst geworden. Das Gesundheitssystem wurde zum Schlachtfeld von Ideologen. Die konservative Seite der australischen Politik ist in der Regel gegen ein staatlich finanziertes Gesundheitssystem – auch für Kranke und Verletzte solle das Verursacherprinzip gelten, so das Argument. So begann in den 90-er Jahren eine langsame Demontage des Solidaritätsprinzips. Die konservative Regierung unter Premierminister John Howard verpflichtete Bürger dazu, zusätzlich zu Medicare eine private Krankenversorgung  abzuschließen.

Heute läuft die Gesundheitsversorgung parallel auf einer privaten und einer öffentlichen Schiene. Trotzdem steigen die Gesundheitskosten für die öffentliche Hand kontinuierlich. 1995 betrugen sie noch 4,77 Prozent des Bruttoinlandsprodukte (BIP), 2014 waren es gemäß Weltbank 6,31 Prozent, knapp über dem globalen Durchschnitt von 5,99 Prozent. Gleichzeitig werden die eskalierenden Privatversicherungskosten zur immer größeren Belastung für Haushalte – selbst jene mit doppeltem Einkommen.

Fast nur negative Konsequenzen hatte der Abschied vom Kommunalprinzip für Menschen unterer sozialer Schichten. Da Ärzte in der Regel mehr für ihre Dienste verlangen als es der Medicare-Satz erlaubt, müssen die Patienten selbst für den Rest aufkommen. Die privaten Kassen übernehmen selten die gesamten Kosten einer Konsultation oder einer Behandlung. Eine Folge: ärmere Patienten gehen nicht mehr zum Arzt – mit fatalen Konsequenzen, nicht zuletzt für Kinder. Wer eine Operation benötigt und komplett auf das öffentliche System angewiesen ist, muss oft mit einer monate- oder gar jahrelangen Wartezeit rechnen. Laut Kritikern sterben jedes Jahr hunderte von Patienten, deren Name auf der Warteliste für den OP steht.

Nach Jahren der Demontage wollen die meisten Australier das behalten, was von Medicare übriggeblieben ist. Als die Regierung jeden Arztbesuch mit einer zusätzlichen „Administrationsgebühr“ von etwa drei Euro belegen wollte, kam es in der sonst politisch lethargischen australischen Öffentlichkeit zu einem kollektiven Aufschrei. Seither hat es kein Politiker mehr gewagt, das zuvor immer mal wieder aufgekommene Thema einer Privatisierung von Medicare auch nur im Flüstern anzusprechen.

Urs Wälterlin, Canberra


Südafrika: Fast alle lassen sich privat behandeln

Am Kap wird die Qualität der Gesundheitsversorgung noch immer entscheidend von den hohen Einkommensunterschieden zwischen Schwarz und Weiß bestimmt. Dies zeigt sich exemplarisch bei der privaten Krankenversicherung: Während diese Form der Vorsorge trotz hoher Kosten unter den 4,5 Millionen Weißen bei fast 80 Prozent liegt, sind unter den mehr als 40 Millionen Farbigen nur wenig mehr als 12 Prozent privat versichert. Anders als in Deutschland  lassen sich fast alle Versicherten in Südafrika ausschließlich privat behandeln – und nicht in den oft heruntergekommenen staatlichen Kliniken.

Am Mangel an Geld kann der Verfall der Staatshospitäler am Kap nicht liegen: Südafrikas Regierung pumpt pro Jahr rund zwölf Prozent des Haushalts in das Gesundheitssystem. Das ist im internationalen Vergleich zwar nicht exorbitant, doch überfordert es schon jetzt die oft ineffizient operierenden Provinzregierungen.

Belastet wird die Gesundheitsversorgung am Kap durch die Feindseligkeit, die Politiker des regierenden Afrikanischen Nationalkongress (ANC) gegenüber den Privatkliniken offenbaren. Bis heute empören sich Regierungsvertreter regelmäßig über die angeblich „obszön hohen“ Gewinne der Betreiber privater Krankenhäuser. Als eine Art Bestrafung gewährt der Staat noch immer nur widerwillig Lizenzen für neue Krankenhäuser.

Auch erschwert die Kartellbehörde eine Expansion der Privaten im heimischen Markt. Und schließlich erlaubt die Regulationsbehörde keine „Ein-Sterne-Hospitäler“ für die breite Masse, um den Gleichheitsgedanken nicht zu unterlaufen.  Dass fast alle ANC-Politiker im Bedarfsfall selbst private Kliniken aufsuchen und auch ihre Familienangehörigen dort behandeln lassen, wird dezent verschwiegen.

Angesichts der anhaltend feindseligen Politik des Staates gegenüber den Privatkliniken expandieren diese  seit Jahren massiv im Ausland, u.a. in der Schweiz, in Großbritannien und den Golfstaaten. Erst im letzten Jahr hat der große private Krankenhausbetreiber Mediclinic seine Hauptnotierung deshalb auch von Johannesburg nach London verlegt.

Wolfgang Drechsler, Kapstadt 


Japan:  Keine Wahlfreiheit bei Krankenkassen

Aus japanischer Sicht sind die Verhältnisse in den USA unverständlich. In Japan muss gesetzlich jeder Bewohner versichert sein. Doch auch die deutsche Qual der Wahl von Krankenkassen ist den Japanern fremd. Wahlfreiheit gibt es nicht. Festangestellte werden über ihre Arbeitgeber versichert. Für Freiberufler und Studenten gibt es die Nationale Krankenversicherung, die durch die Gemeinden verwaltet wird. Private Alternativen sind nicht vorgesehen. Versicherer bieten allenfalls Zusatzversicherungen an, die zum Beispiel pro Krankenhaustag Geld ausschütten oder einen Teil des Selbstbehalts ausgleichen. Denn der liegt bei maximal 30 Prozent für normale Versicherte.´

Immerhin wird die Zuzahlung gedeckelt, allerdings erst bei maximal 300.000 Yen (rund 2500 Euro). Doch die Sätze für Alte und Arme liegen darunter. Kleinkinder sind in der Regel gänzlich befreit. Die einkommensabhängigen Prämien und der Selbstbehalt der Versicherten deckten 2013 nach dem jüngsten Weißbuch des Gesundheitsministeriums allerdings nur 49 beziehungsweise zwölf Prozent der Ausgaben ab. 39 Prozent schossen die Zentralregierung sowie die Gemeinden aus dem Steuersäckel zu.

In Japan wird zwar oft kritisiert, dass fehlender Konkurrenzkampf unter den stark geschützten Ärzten oder Apothekern die Kosten treibt. Die rasante Alterung verstärkt die Diskussion noch, da Japans Gesundheitsausgaben in den kommenden Jahren stark steigen werden.

Doch auch ohne Wettbewerb scheint das System letztlich recht effizient. Japaner haben die längste Lebenserwartung unter Industrieländern. Aber der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt liegt bei zehn Prozent – und damit unter dem Deutschlands und erst recht dem der USA. Pro Kopf der Bevölkerung gaben die Japaner 2013 mit 3713 US-Dollar sogar 23 Prozent weniger als Deutsche für ihre Gesundheit aus.

Und dies wird nicht etwa durch lange Wartezeiten für Spezialbehandlungen wie in Großbritannien erkauft, klärt das Japans Gesundheitsministerium auf einem englischsprachigen Flugblatt auf. „In Japan ist das kein Thema.“

Martin Kölling, Tokio

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