Globaler Fachkräftemangel "Kluge Köpfe werden wichtiger als Kapital"

Rainer Strack, Personalexperte bei der Boston Consulting Group, über den drohenden globalen Fachkräftemangel – und wie deutsche Politik und Unternehmen ihm begegnen sollten.

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WirtschaftsWoche: Herr Strack, in einer neuen Studie analysieren Sie, wie sich der Fachkräftebedarf in den 25 wirtschaftsstärksten Ländern der Welt bis 2030 entwickeln wird. Was hat Sie an den Ergebnissen selbst am meisten überrascht?

Rainer Strack: Die Alterung unserer Bevölkerung ist ein Megatrend der Megatrends, auch wenn er derzeit durch akute Herausforderungen wie die Schuldenkrise überlagert wird. Dass es einen immensen demografischen Druck geben wird, der auf die Arbeitsmärkte übergeht, hat mich nicht überrascht. Aber: Das globale Ausmaß der Unterdeckung ist tatsächlich dramatisch.

Zur Person

Gilt diese Diagnose für alle Länder gleichermaßen?

Nein, die Demografie schlägt nicht überall mit der gleichen Wucht zu. Im Jahr 2020 ist die Lage noch gemischt, mit Überhängen etwa in Frankreich, Spanien oder Italien, aber 2030 sehen wir fast überall Personalmangel. Länder mit Personalüberhang gibt es nur wenige, etwa die USA oder Südafrika. Europa hingegen droht abgehängt zu werden. Die gern gebrauchte Losung, dass die EU aus der Eurokrise herauswachsen will, muss mit einem dicken demografischen Fragezeichen versehen werden.

Rainer Strack Quelle: Presse

Nun ist der Mangel oder Überschuss an Arbeitskräften nur ein erster Anhaltspunkt. Die eigentliche Frage ist, doch wie qualifiziert die Leute sind.

Das Füllen der Lücken wird in jedem Fall Schwerstarbeit. Bildung und Qualifikation sind ein wichtiger Schlüssel, um Produktivitätsreserven zu heben. Mindestens ebenso wichtig sind andere politische Stellschrauben: Zuwanderung auf hohem Niveau, mehr Frauen in Vollzeitstellen zu bringen, ebenso mehr Ältere auf dem Arbeitsmarkt zu halten.

Was bedeutet das konkret für das stark alternde Deutschland?

Nach unseren Prognosen werden uns bereits 2020 rund 2,4 Millionen und im Jahr 2030 sogar bis zu zehn Millionen Arbeitskräfte fehlen, nur um das durchschnittliche Wachstum der vergangenen 20 Jahre in Zukunft zu halten. Ein Hebel alleine reicht da nicht, um gegenzusteuern. So müsste sich der Anteil der Arbeitnehmer über 65 Jahre mehr als verdoppeln. Die Frauen-Erwerbsquote müsste von 71 Prozent auf 80 Prozent steigen. Und: Wir bräuchten eine Netto-Zuwanderung von rund 460.000 Menschen, Jahr für Jahr. Und zusätzlich müsste die Arbeitsproduktivität signifikant erhöht werden. Andernfalls wird Deutschland sein BIP- Wachstum der vergangenen Jahre nicht halten können und könnte in ein Japan-Szenario abdriften.

Derzeit erleben wir einen Run nach Deutschland, aber der ist vor allem krisenbedingt und eher nicht nachhaltig.

Deshalb benötigt die Bundesrepublik dringend eine Talent-Strategie. Der globale Wettbewerb um Fachkräfte hat begonnen, es wird weltweit um eine Ressource gerungen, die immer knapper wird. Dänemark beispielsweise hat ein „Work in Denmark Center“ in Neu Delhi aufgemacht, um sehr offensiv neue Talente anzuwerben.

Politik ist das eine. Was bedeutet der Fachkräftemangel für Unternehmen?

Personalmanagement wird zur zentralen Herausforderung. Wir werden bald erleben, dass der Personalvorstand  deutlich an Bedeutung gewinnt. Es wird um Köpfe gehen und weniger um Kapital. Denn es ist der Personaler, der die knappste Ressource managt. Strategische Personalplanung, Recruiting-Strategien, Bindungs- und Motivationsprogramme werden der Schlüssel für die erfolgreichen Unternehmen sein.

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