Groko-Debatte Groko-Kurs wird zum Bumerang für SPD-Spitze

SPD-Chef Schulz wollte seine Partei in der Opposition erneuen, eine Große Koalition schloss er aus. Doch jetzt will er das genaue Gegenteil. Manche Genossen nehmen ihm das übel. Quelle: Reuters

Eine Große Koalition ist für die Sozialdemokraten kein Selbstläufer. Interne Kritiker machen massiv dagegen mobil. Mancher Genosse sieht die SPD schon als „Umfallerpartei“. Kein gutes Omen für Parteichef Martin Schulz.

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Nun ist es passiert. Die SPD nimmt Kurs auf ein Regierungsbündnis, das ihr Vorsitzender Martin Schulz in noch nicht einmal vier Monaten zwei Mal ausgeschlossen hatte: Erst verwarf er unter Riesenjubel der Genossen ein erneute Große Koalition am Abend der Bundestagswahl, dann noch einmal mit einstimmiger Rückendeckung der Parteispitze, als die Jamaikaverhandlungen gescheitert waren. Nachdem sich dann Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einschaltete, kam es schließlich so, wie es kommen musste: Schulz vollzog eine 180-Grad-Wende und plötzlich war die GroKo wieder im Spiel.

Seit Freitag ist sie in den Köpfen vieler Spitzengenossen sogar schon ausgemachte Sache. Jedenfalls empfahl die SPD-Führung ihrem Parteitag einstimmig, mit der CDU und der CSU Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung aufzunehmen. Vorausgegangen war ein rekordverdächtiger 24 stündiger Sondierungsmarathon – mit für die SPD „hervorragenden Ergebnissen“, wie Parteichef Schulz hinterher tönte. Er weiß aber, dass nun noch viel Überredungskunst nötig ist. „So wie ich selbst werden die Delegierten auf dem SPD-Parteitag nur durch Inhalte zu überzeugen sein“, sagte Schulz der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Dieser muss am kommenden Wochenende grünes Licht für Detail-Verhandlungen mit CDU und CSU geben.

Dass dies allerdings kein Selbstläufer ist, konnte man am gestrigen Samstag in Sachsen-Anhalt erleben. Dort stellte sich die SPD-Basis gegen eine Neuauflage der Großen Koalition. Auf dem Landesparteitag in Wernigerode beschlossen die Delegierten mit einer Stimme Mehrheit einen Antrag der Jusos, der ein Bündnis mit der Union ablehnt. Der Landesverband stellt zwar nur sieben Delegierte der 600 Delegierten des GroKo-Sonderparteitags in Bonn. Zum Vergleich: NRW schickt 144. Allerdings haben solche Beschlüsse hohe Symbolkraft. Und sie liefern den GroKo-Kritikern zusätzliche Argumente gegen den Zickzackkurs von Schulz.

Sozialdemokraten wie Marco Bülow haben nämlich noch das Versprechen von Schulz im Kopf, dass er nach dem historisch schlechten Wahlergebnis von 20,5 Prozent gab. Nämlich, dass die SPD nunmehr nicht wieder ein erneutes Regierungsabenteuer mit CDU und CSU wagen, sondern vielmehr einen „strukturellen, organisatorischen, inhaltlichen und strategischen Neuanfang“ anpeilen solle. „Es geht in den nächsten vier Jahren um nicht weniger als um die Existenz der deutschen, ja der europäischen Sozialdemokratie“, erklärte Schulz seinerzeit.

Bülow, der sich bei der Bundestagswahl das Direktmandat für den Wahlkreis Dortmund sichern konnte, fand die Bedenken gegen eine dritte Große Koalition binnen zwölf Jahren mehr als berechtigt. „Man kann nicht ein drittes Mal sehenden Auges in den Abgrund steuern“, sagt der SPD-Linke. Umso widersinniger findet er es nun, wie Schulz versucht, den Genossen das Resultat der Sondierungsgespräche schmackhaft zu machen. „Wer jetzt auch noch von hervorragenden Ergebnissen spricht, der muss verblendet sein“, fährt Bülow Schulz in die Parade. Damit sei nun klar: Eine Erneuerung der SPD werde es nicht geben. Sie werde vielmehr weiter an Vertrauen verlieren - mit einem wenig schmeichelhaften Effekt: „Wir bekommen zu Recht das Image einer Umfaller-Partei“, stellt Bülow nüchtern fest.

Gestützt wird die Einschätzung durch den Umstand, dass Schulz wenige Tage nach der Bundestagswahl gesagt hatte: „In eine Regierung von Angela Merkel werde ich nicht eintreten.“ Und diese Ansage nun natürlich nicht mehr gilt, da eine Große Koalition wieder eine Option ist. Jedenfalls schloss SPD-Chef Martin Schulz am Freitag in der ZDF-Sendung „Was nun...?“ nicht mehr aus, bei einer Regierungsbildung mit der Union einen Kabinettsposten zu übernehmen.

Eine 180-Grad-Wende scheint auch der prominenteste Wortführer der SPD-Linken, Ralf Stegner, hinzulegen. „Die Absage an die GroKo ist nicht verhandelbar“, schrieb der SPD-Bundesvize noch am 1. Oktober auf seiner Facebook-Seite. Heute sieht er das anders. „Ich finde, wir haben ein gutes Verhandlungsergebnis erreicht. Auf dieser Basis kann man dem Parteitag gut empfehlen, konkrete Verhandlungen aufzunehmen“, sagte Stegner dem Handelsblatt.

Eine Empfehlung wollte dagegen Frank Schwabe, Sprecher der „Denkfabrik“, einem Zirkel junger, linker Sozialdemokraten in der SPD-Bundestagsfraktion, nicht aussprechen. „Ich persönlich bleibe auch nach den Sondierungen skeptisch“, sagte Schwabe dem Handelsblatt. Die SPD habe zwar „seriös und gut in der Sache verhandelt“. Und es seien „viele gute einzelne Punkte“ in dem Sondierungspapier verankert. „Insbesondere würde Deutschland europapolitisch fortschrittlicher“, so Schwabe. Allerdings sagte er auch: „Mit dem politischen Gegner kann man aber die großen Themen schlichtweg nicht stemmen. Das haben die Sondierungen noch einmal bewiesen.“

Die Sondierungsdelegationen unter Führung der Parteichefs Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Martin Schulz (SPD) hatten sich am Freitagmorgen auf ein 28-seitiges Papier geeinigt. Als nächste Etappe stehen förmliche Koalitionsverhandlungen an - sofern der SPD-Parteitag grünes Licht gibt. Über einen ausgehandelten Koalitionsvertrag will die SPD dann noch ihre Mitglieder abstimmen lassen. Ein Ja gilt angesichts vieler Kritiker keineswegs als sicher. „Wir warten auf die SPD und sind gespannt, ob sie sich am Ende verantwortungsvoll verhält“, sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer der „Passauer Neuen Presse“.

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