Große Koalition Worum Union und SPD jetzt ringen werden

Die SPD stimmt für eine Koalition mit der Union. Quelle: REUTERS

Die SPD-Delegierten haben "Ja!" gesagt. Die Koalitionsverhandlungen mit der Union können beginnen. Doch wirtschaftspolitisch hakt es an einigen Punkten.

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Die SPD hat sich entschieden: 362 von 642 Delegierten auf dem Parteitag haben sich nach einer mehrstündigen, harten und kontroversen Debatte für Koalitionsverhandlungen ausgesprochen. 28 Seiten Sondierungspapier – das ist nun die Grundlage für die Verhandler von CDU, CSU und SPD für die bald beginnenden Koalitionsverhandlungen. Auch wenn die Eckpfeiler damit bereits eingeschlagen sind – vieles ist noch umstritten, manches heikel, einiges unklar. Und die SPD-Spitze hat ihrer Basis ein großes Versprechen gegeben: an zentralen Stellen soll nachverhandelt werden. Auf die Sondierungsteams kommt also eine Menge Arbeit zu. Zumal gerade viele Genossen noch lange nicht überzeugt sind.

Steuerbonus für Forschung

Wenn es mit einer Jamaika-Regierung geklappt hätte, wäre die steuerliche Forschungs- und Entwicklungsförderung eines der Lieblingsvorhaben der FDP gewesen. Die meisten OECD-Länder gewähren Unternehmen mittlerweile steuerliche Nachlässe, wenn sie ihre Forschungsausgaben erhöhen – allen voran die USA, Frankreich und China. Deutschland steht somit unter Druck, den hiesigen Unternehmen ähnlich gute Anreize zu bieten. „Wir werden insbesondere für forschende kleine und mittelgroße Unternehmen eine steuerliche Förderung einführen, die bei den Personal- und Auftragskosten für Forschung und Entwicklung ansetzt“, heißt es im Sondierungspapier. Klingt schön, heißt aber: Union und SPD wollen Mitnahmeeffekte vermeiden, indem insbesondere Großkonzerne nicht übermäßig von dem Steuernachlass profitieren. Wie das konkret funktionieren soll, dürfte noch für Debatten sorgen.

Digitalisierung

Beim Thema Digitalisierung lieferten Union und SPD bislang vor allem Phrasen ab. Bis auf eine Ausnahme: Im Kleingedruckten versteckt sich so etwas wie das einzige echte Zukunftsprojekt der Koalition. Zusammen mit französischen Partnern werde man ein Zentrum für künstliche Intelligenz errichten, heißt es dort. Eine kluge und tatsächlich innovative Idee.

Beispiele für erfolgreiche Kooperationen gibt es genug. Airbus zum Beispiel ist trotz aller Probleme ein ebenbürtiger Boeing-Konkurrent. Gleichzeitig demonstriert der Zugverkehr, welche Probleme auftauchen, wenn zwei Länder zwei Hochgeschwindigkeitszüge parallel entwickeln, deren Technik nicht harmoniert.

Damit ein gemeinsames KI-Zentrum Erfolg haben kann, liegt jedoch noch viel Arbeit vor Union und SPD. Es geht um Geld, aber auch um vermeintliche Kleinigkeiten, die genauso über Erfolg oder Misserfolg entscheiden: Was ist mit Patenten? Soll das Zentrum eher Start-up oder Elitenschmiede sein? Nur wenn Union, SPD gemeinsam mit Emmanuel Macron kluge Antworten auf solche Fragen finden, können sie Google, Apple und Facebook zumindest herausfordern.

„Die SPD wäre von Sinnen, wenn sie diese Chance nicht nutzen würde“
Ex-Bundeswirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement Quelle: dpa
Karl-Erivan Haub, Tengelmann-Chef Quelle: picture alliance
Verdi-Chef Frank Bsirske Quelle: dpa
Christoph Schmidt, Vorsitzender der Wirtschaftsweisen Quelle: dpa
Unternehmer Jürgen Heraeus Quelle: picture alliance / Soeren Stache [M]
Carl Martin Welcker, Präsident des Maschinenbauer-Verbandes VDMA Quelle: VDMA
Eon-Chef Johannes Teyssen Quelle: dpa

Bildung

Mehr Geld für Bildung und Forschung, das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern lockern – darin sind sich Union und SPD einig. Die Sozialdemokraten sprechen sogar von einer „nationalen Bildungsallianz“. In vielen Bundesländern herrscht aber großes Erstaunen. Denn vom Digitalpakt, den noch die alte große Koalition beschlossen hatte, ist im Sondierungsvertrag keine Rede mehr. Die geschäftsführende Bildungs- und Forschungsministerin Johanna Wanka (CDU) hatte ein Investitionspaket von fünf Milliarden Euro verhandelt und den Ländern in Aussicht gestellt. Die warten seit über einem Jahr, dass Gelder ausgezahlt werden, um die Schulen mit neuester Technik und Breitbandanschlüssen zu versorgen. Die Länder verlangen nun schnell Klarheit, ob und wann sie mit den Fördermitteln aus Berlin rechnen können.

Versicherungspflicht für Selbstständige

Seit vielen Jahren weist die Deutsche Rentenversicherung auf ein Problem hin: Ein große Zahl an Rentnern, die in der Grundsicherung im Alter landen, war vorher selbstständig. Sie haben also nicht genügend vorgesorgt, um im Ruhestand auf eigenen Beinen stehen zu können. Die große Koalition spe will nun mit einer sanften Versicherungspflicht antworten: Selbstständige sollen künftig entweder in die gesetzliche Versicherung einzahlen oder wahlweise anderweitig privat vorsorgen. Entscheidend dürfte sein, wie diese Beiträge zur gesetzlichen Kasse in Zukunft berechnet würden. Denn private Vorsorge, etwa über Riester, wird seit einigen Monaten teilweise in der Grundsicherung nicht mehr angerechnet. Wer also als Selbstständiger nur ein paar wenige Euro beiseitelegen kann, dürfte mit einer Privatrente plus Grundsicherung besser fahren als mit einem kleinen gesetzlichen Anspruch alleine. Auch hier gilt: auf die Details kommt es an.

Quote im öffentlichen Dienst

Auf den Staatsdienst könnte eine riesige Beförderungs-, vielleicht sogar Einstellungswelle von Frauen zukommen. Schwarz und Rot wollen bis 2025 eine „gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in den Leitungsfunktionen des öffentlichen Dienstes“ erreichen – de facto also eine 50-Prozent-Quote für Führungspositionen. Die Koalitionäre wollen damit erklärtermaßen Druck auf die Privatwirtschaft ausüben. Doch das Ziel ist überaus ambitioniert – vor allem, wenn es wie nach Lesart der SPD auch die Bundeswehr als öffentlichen Arbeitgeber miteinschließt. Scheitert die Politik bei der Umsetzung wäre das eine gewaltige Blamage. Und: Selbst so mancher Verhandler weiß gar nicht, wie viele Positionen das genau betreffen könnte.

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