Heimat-Debatte Wie das Dorf gedeihen kann

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Eigenregie statt Obrigkeit

In Gessin stellt Bernd Kleist den Motor des Baggers ab, klettert aus dem Fahrerhäuschen und schlendert Richtung Dorfhaus. Ein altes Gebäude, grün gestrichene Holztore, der Efeu rankt sich am roten Backstein entlang. Was heute die Keimzelle des Dorflebens ist, war früher ein ungenutzter Pferdestall. Nach und nach haben Kleist und die anderen Dörfler daraus eine Art Bürgerzentrum geformt. Es gibt hier Freitagskino, Yoga-Kurse und Männerabende. Jeden Tag findet ein Mittagstisch statt.

Bis heute ist Kleist selbst erstaunt, wie gut ihr Dorfprojekt funktioniert. Manchmal rätselt er, warum die Gessiner mit Tatendrang auf die wegbrechende Infrastruktur in ihrem Dorf reagiert haben, während andere Orte in der Region im Selbstmitleid versanken. Ein entscheidender Grund, glaubt Kleist, ist die Selbstverwaltung. Statt aufgepfropfte Pläne von oben auszuführen, entstand das Gessiner Dorfhaus in Eigenregie: ohne große staatliche Hilfe, getragen von einem gemeinnützigen Verein und finanziert durch ein jährliches Dorffest und private Spenden.

Über Jahre sei ihr Projekt behutsam gewachsen, erzählt Kleist. Jede neue Initiative erwuchs als konkrete Antwort auf das, was die Leute im Dorf tatsächlich benötigten. Zuerst gab es nur den Gemeinschaftsraum selbst, dann Fußballabende, einen Seniorentreff und Töpferkurse. Mittlerweile kommen alle zwei Wochen Friseure und Fußpfleger vorbei. Als nächstes soll nun der Turnraum entstehen und eine Senioren-WG einziehen. „Da steckt überall unser eigenes Geld und unsere eigene Arbeit drin“, sagt Kleist. „Wir sind doch gezwungen weiterzumachen.“

Worüber FDP und Grüne streiten werden

Manuel Slupina vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung beschäftigt sich seit Jahren mit Kleinstädten und Dörfern wie Wanfried und Gessin. Vor seinem Büro in Berlin-Charlottenburg hängen Deutschlandkarten an den Wänden mit bunt eingefärbten Regionen: rot für die Problemzonen am Land, grün für die florierenden Gebiete in der Stadt.

Slupina kann im Einzelfall detailliert erklären, warum junge Menschen dem Land den Rücken kehren, wie die verbliebenen Dorfbewohner Bürgerbusse organisieren und Generationen-WGs einrichten. Nur auf eine Frage kann Slupina bis heute keine befriedigende Antwort geben. Wie man diesen Trend grundsätzlich umkehren könne? „Keine Ahnung“, sagt er. Es werde immer mal wieder wachsende Dörfer geben, auch abseits der Großstädte. „Insgesamt aber werden viele Dörfer und Kleinstädte auf dem Land schrumpfen.“

In seiner Forschung konzentriert sich Slupina deswegen darauf, wie man diese Schrumpfung bremsen und gestalten kann. Wie man die Abwärtsspirale aus davonziehenden Landbewohnern, wegfallender Versorgung und noch größerer Abwanderung durchbricht.

Ein kompliziertes Vorhaben, denn oft treiben einzelne Bürgerinitiativen wie die in Gessin oder Wanfried die Erfolgsprojekte gegen Abwanderung voran. „Die Hürden für solche Initiativen sind jedes Mal extrem spezifisch“, sagt Slupina. Also benötige auch jedes Projekt, jeder Ort, jede Gemeinschaft passgenaue Unterstützung. Zu viel Politik kann da sogar kontraproduktiv sein.

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