Heinrich August Winkler

"Die Geschichte des Westens ist eine Geschichte von Kämpfen"

Der Berliner Historiker Heinrich August Winkler über den Anschlag auf globale Werte, die religiösen Wurzeln des Westens, die Säkularisierung des Islam - und Ressentiments in Dresden.

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Heinrich August Winkler Quelle: Laif

WirtschaftsWoche: Herr Winkler, sind die Terroranschläge in Paris in ihrer symbolischen Wirkung – als Angriff auf die Werte des Westens – mit dem 11. September 2001 vergleichbar?

Heinrich August Winkler: Ja. Die Anschläge in Paris sind ein Anschlag auf die Freiheit der Religion, der Presse, der Meinungsäußerung, also auf die Kernsubstanz dessen, was die politische Kultur des Westens ausmacht. Es sind Ideen, die auch in nicht westlichen Gesellschaften längst eine große Anziehungskraft entfaltet haben. Es handelt sich daher auch um einen Anschlag auf globale Werte, wie sie 1948 in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen festgehalten sind.

Zur Person

Taugt die Formel „Je suis Charlie“ als Ikone westlicher Selbstvergewisserung?

Ich denke schon. In der Parole steckt eine Solidarisierung mit Künstlern, Intellektuellen und Journalisten, die mit Recht postulieren, dass zur Glaubensfreiheit auch die Freiheit des Unglaubens und die Religionskritik gehören. Im Christentum hat sich diese Einsicht im Verlauf der Jahrhunderte durchgesetzt. Die große Frage ist, ob sie sich auch in der islamischen Welt durchsetzen wird. Es gibt aufgeklärte Muslime, die die Trennung von irdischen und göttlichen Gesetzen als Vorbedingung von Pluralismus und Demokratie für notwendig halten. Es gibt andere Muslime, die die Menschenrechte allenfalls nach Maßgabe der Scharia gelten lassen. Und es gibt Muslime, die alle Andersdenkenden bedrohen – und im Zweifelsfall zu töten bereit sind.

Buchcover Geschichte des Westens Quelle: Presse

Ihre „Geschichte des Westens“ beginnt mit dem Satz: „Am Anfang war ein Glaube: der Glaube an einen Gott.“ Ging der Aufklärung im Westen die Selbstaufklärung des Christentums voraus?

Die Idee der unveräußerlichen Menschenwürde und Menschenrechte wurzelt in der monotheistischen Vorstellung, dass der Mensch ein Ebenbild Gottes ist. Die religiöse Vorform der Maxime „Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich“ lautet: „Vor Gott sind alle Menschen gleich.“ Spezifisch christlich ist die beginnende Trennung von irdischen und göttlichen Gesetzen, entsprechend dem Wort von Jesus: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ Das ist die Keimzelle der Idee der Gewaltenteilung und fundamental für die Prozesse der Säkularisierung der Welt und der Emanzipation des Menschen: Der irdischen Gewalt muss eine legitime Handlungssphäre eingeräumt werden, damit verantwortliches Handeln in dieser Welt möglich wird. Zugleich wird die irdische Gewalt begrenzt, indem ihr die Verfügung über Glaubensfragen entzogen wird.

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