In Umfragen ist die Sache klar: Die AfD kann vom derzeitigen Politchaos in Berlin nicht profitieren. Gäbe es jetzt Neuwahlen, würden sich die Deutschen laut dem Meinungsforschungsinstitut Forsa kaum anders entscheiden als bei der Bundestagswahl. Die größten Zuwächse würden demnach die Grünen erzielen: CDU/CSU kämen auf 31 Prozent, FDP auf 10, Grüne auf 12, SPD auf 21, Linke auf 9 und die AfD auf 12 Prozent. Das wäre für die AfD sogar ein etwas schlechteres Ergebnis als bei der Wahl am 24. September.
Wie nachhaltig solche Umfragewerte sind, lässt sich nicht sagen. Zumal ist aktuell noch völlig unklar, welche politischen Konsequenzen das Scheitern der Gespräche über eine Jamaika-Koalition auslösen wird. Möglich sind sind Neuwahlen, theoretisch auch eine Wiederauflage der Großen Koalition — die aber die SPD ausgeschlossen hat — sowie eine Minderheitsregierung.
Doch eine Minderheitsregierung, „die von Stimmen aus der AfD abhängig wäre“, hat wiederum Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ausgeschlossen. Da wären aus ihrer Sicht Neuwahlen dann der bessere Weg. Die AfD sagt, sie fürchte Neuwahlen nicht. Aber haben die Rechtspopulisten wirklich etwas zu gewinnen, falls es tatsächlich so kommen sollte? Nicht unbedingt.
„Im Gegensatz zu vielen Spekulationen vermute ich, dass die Neuwahlen der AfD eher schaden können“, sagte der Bremer Politikwissenschaftler Lothar Probst dem Handelsblatt. „Ehemalige Wähler der Union, die im September scharenweise zur AfD gewechselt sind, werden nach den jetzigen Erfahrungen auch ein Interesse an einer stabilen Regierungsbildung haben und zum Teil wieder für die Union votieren.“
Das sieht auch Thorsten Faas von der Universität Mainz so. Es sei denkbar, „dass die Wähler einsehen, was passiert, wenn man die AfD stark macht: Die Mehrheitsverhältnisse werden schwieriger“, sagte Faas dem „Tagesspiegel“.
Die Rechtspopulisten sehen durchaus eine Chance, von der verquasten politischen Lage zu profitieren. Etwa, wie Faas es beschreibt, indem sie die Sondierungen als „abgekartetes Spiel“ darzustellen versuchen.
„Tosender Applaus“ für Merkel
„Bei diesen langen Sondierungen haben sich die Parteien auf einem schmalen Grat zwischen strategischem Spiel und ernsthafter Sondierung bewegt“, erläutert der Politikwissenschaftler. „Nun verstärken die Populisten den Eindruck, da hätten vier Parteien fünf Wochen lang ein politisches Theater aufgeführt.“
Ein zentrales Bild, das die AfD immer wieder zeichne, sei ja: „Politiker denken nur an sich selbst, es gehe nur um die Eigeninteressen und den Machterhalt von Personen, die wahren Interessen der Wähler würden nicht berücksichtigt, und so weiter. Dieses Framing spielt den Populisten in die Hände.“
Die Vorsitzende der AfD-Fraktion im Bundestag, Alice Weidel, scheint jedenfalls genau auf diese Karte zu setzen. Die Jamaika-Gespräche zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen bezeichnete sie als „wochenlange Wählertäuschung“. Dass es zwischen diesen vier Parteien keinen Konsens für eine Regierungskoalition geben würde, sei bereits im Vorfeld klar gewesen. Die AfD sehe möglichen Neuwahlen positiv entgegen, fügte Weidel hinzu.
Auch Co-AfD-Fraktionschef Alexander Gauland zeigte sich erfreut, „dass Jamaika nicht kommt, denn das wäre eine Koalition des Weiter-so gewesen“. Für ihn stehe jetzt fest, dass Kanzlerin Merkel nicht die nächste Regierungschefin sein könne. „Merkel ist gescheitert.“