Jamaika scheint ein Vulkan. Kurz vor dem Ausbruch. Es grummelt und rumort. Im Mittelpunkt des Funkenflugs: der Kohleausstieg. Das Thema ist altbekannt. Seit über 20 Jahren ist die Energiewende ein Thema der Politik. Dabei war immer klar: Das meint Atomausstieg. Das meint auch den Ausbau erneuerbarer Energien. Das meint den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen, allen voran Kohle. Und es meint den Einstieg in Energieeffizienz.
Aber nun heißt es plötzlich, das ist viel zu viel und viel zu komplex. Also wird wie verrückt verhandelt: Die einen sagen Pariser Klimaziele sind nicht verhandelbar, die anderen sagen dasselbe; aber dann streiten sie darüber, ob ein Ziel erreicht werden muss. Das Volk fragt sich, wozu ein Ziel sonst da ist.
Die einen wollen einen Plan bis 2050, mit Zwischenstationen 2020, 2030 und 2040. Die anderen sagen, das geht gar nicht und wollen einen Plan bis zum Sankt-Nimmerleinstag. Das Volk wundert sich und fragt, wie man ein Ziel erreichen will, wenn man sich nicht auf den Weg macht.
Jetzt sagen die einen, sie wollen den Kohleausstieg gestalten wie den Atomausstieg. Das ist eine Empfehlung wissenschaftlicher Experten, die dabei an einen „Budgetansatz“ denken. Beim Atomausstieg wurden maximale Strommengen festgelegt, die mit den Atomkraftwerken noch produziert werden dürfen. So hatten die Atomkonzerne freien Handlungsspielraum zu entscheiden, welche Kraftwerke sie wie lang am Netz lassen. Klar, die alten gehen dann schneller vom Netz.
Ähnlich kann es beim Kohleausstieg funktionieren: Man legt eine maximale CO2-Emissions-Obergrenze für Kohlekraftwerke fest. Damit haben die Kraftwerksbetreiber Planungsfreiheit und können selbst entscheiden, in welche Kraftwerke sie noch investieren. Je früher sie die alten und ineffizienten und für das Stromsystem sofort entbehrlichen Kraftwerke abschalten, desto mehr Spielraum haben sie für alle restlichen Kraftwerke. Das ist vernünftig. Aber Jamaika-Verhandlungen sind kein Vernunftkongress.
Länder mit der größten grünen Stromproduktion
Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung des Landes in Prozent (ohne Wasserkraft): 30
Quelle: Bloomberg New Energy Finance
Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung des Landes in Prozent (ohne Wasserkraft): 29
Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung des Landes in Prozent (ohne Wasserkraft): 25
Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung des Landes in Prozent (ohne Wasserkraft): 25
Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung des Landes in Prozent (ohne Wasserkraft): 18
Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung des Landes in Prozent (ohne Wasserkraft): 12
Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung des Landes in Prozent (ohne Wasserkraft): 12
Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung des Landes in Prozent (ohne Wasserkraft): 10
Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung des Landes in Prozent (ohne Wasserkraft): 9
Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung des Landes in Prozent (ohne Wasserkraft): 6
Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung des Landes in Prozent (ohne Wasserkraft): 6
Das Budget-Modell enthält das Wort „Obergrenze“. Obergrenze in der Energiepolitik klingt nach Begrenzung und – viel schlimmer! – nach Verbot. Da kochen die Emotionen hoch. Das Volk wolle sich nicht alles verbieten lassen, heißt es dann. Und es geht ein Aufschrei durchs politische Berlin. Und so dürfen selbsternannte „Experten“ Skepsis verbreiten, mit rhetorischen Taschenspielertricks alles hinterfragen, was Tausende Wissenschaftler über Jahre gründlich erforscht und bewiesen haben. Egal.
Die Mehrheit der Deutschen hat verstanden, dass Klimaschutz ein sehr ernstes Thema ist. Die Mehrheit der Deutschen will endlich eine professionell konzipierte und konsequent umgesetzte Energiewende. Im Jahr 2010 wurde die offizielle Merkel-Energiewende ausgerufen. Da wurden Ziele bis 2050 ausgerufen, mit Zwischenstationen hier und dort. Man will Emissionen senken, den Ausbau erneuerbarer Energien auf 80 Prozent erhöhen und die Wirtschaft dekarbonisieren. Aber um sich politisch von den Gegnern abzugrenzen und den nöhlenden Energiekonzernen ein Leckerchen zuzuwerfen, wurden im selben Atemzug unnötigerweise die Restlaufzeiten von Atomkraftwerken verlängert.
Doch dann passierte 2011 die Atom-Katastrophe im japanischen Fukushima. Man erinnerte sich, dass Atomkraftwerke Restrisiken bergen und man das Volk nicht gegen sich haben will. Also gab es den Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg und, weil man Tatendrang demonstrieren wollte, verkürzte man gleich die Restlaufzeiten aller anderen Atomkraftwerke. Das kostet milliardenschwere Entschädigungen, aber das versucht man dem Volk als Stromkosten der Energiewende zu verkaufen. Dazu kommen noch die Kosten der Einlagerung von Atommüll, die man zuvor „vergessen“ hatte einzuplanen.
Und so geht es munter weiter: Ziele werden vollmundig ausgerufen, aber ebenso forsch wieder aufgegeben; dann neue Ziele ausgerufen und wieder verworfen.
Im Gegensatz dazu wissen der sogenannte kleine Mann und die berühmte schwäbische Hausfrau aber durchaus hauszuhalten: Wer seine Familie durchbringen will, muss seine begrenzten Mittel mit Vernunft einsetzen. Nicht anders funktioniert Klima- und Energiepolitik. Das Klima der Erde darf nicht geschädigt werden, es gibt ein maximales Klima-Budget welches nicht überschritten werden sollte. Bis zum Monatsende der Menschheit – das Jahr 2050 – hat die Nationengemeinschaft deswegen schon 2015 in Paris ein Klimaziel vereinbart. Deutschland – eines der stärksten Länder der Welt, Musterschüler der Ingenieurskunst und Motor der globalen Wirtschaft – hat sich als Zwischenziel ein Klima-Budget bis 2020 gegeben: Insgesamt darf der deutsche Stromsektor noch 2000 Millionen Tonnen CO2 emittieren.
Fünf Gründe, warum Klimaschutz in Jamaika-Gesprächen so heikel ist
Im Wahlkampf hat die Ökopartei stark auf ihren Markenkern gesetzt. Nun muss sie liefern, sonst droht das Veto der Basis - oder die Quittung bei der nächsten Bundestagswahl. Das wissen die anderen Verhandlungspartner auch. Sie könnten es nutzen und den Preis etwa für einen Kohleausstieg möglichst hoch treiben, so dass die Grünen an anderer Stelle Zugeständnisse machen müssen. Klimaschutz werde „ganz besonders schwierig“, nahm Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt schon als ein Resultat aus der ersten großen Sondierungsrunde mit.
Damit sie mit ihren Forderungen nicht gegen eine Wand laufen, haben die Grünen sich eine Strategie ausgedacht: „Es kann keine Arbeitsteilung geben, die so aussieht: Die Grünen machen Vorschläge und die anderen arbeiten sich daran ab, aber machen keine eigenen Vorschläge“, hat Parteichef Cem Özdemir erklärt. Von allen müsse was kommen. Wer die besseren Ideen habe, darüber könne man dann streiten.
Angela Merkel hat - oder hatte - den Beinamen Klimakanzlerin. Sie hat das Pariser Klimaabkommen und einen Klimaschutzplan mit verabschiedet. Der sieht vor, dass Deutschland bis 2030 seinen Treibhausgas-Ausstoß um 55 Prozent mindert im Vergleich zu 1990. Dann ist da noch das 2020-Ziel - das fällt in diese Legislaturperiode. Bis dahin soll der Treibhausgas-Ausstoß um 40 Prozent runter. Das Ziel ist von 2007, damals regierte Merkel mit der SPD. Schwarz-Gelb bekräftigte es im Koalitionsvertrag 2009. Aber erst vor zwei Wochen belegte das Umweltministerium (mal wieder), dass das Nahziel nur mit umfassenden zusätzlichen Maßnahmen noch zu halten ist.
International ist Klimaschutz ein großes Thema. 2015 bejubelten Klimaschützer weltweit das Abkommen von Paris, 2017 gingen sie mit US-Präsident Donald Trump ins Gericht, weil er es aufkündigen will. Von 6. November an werden in Bonn bis zu 25 000 Teilnehmer der nächsten Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen erwartet. Die Präsidentschaft hat Fidschi, aber Deutschland ist Gastgeberland - und damit noch stärker als sonst im Fokus der internationalen Klima-Diplomatie.
Zwar ist die Zahl derjenigen, die in der Braunkohleindustrie arbeiten, stark zurückgegangen. Nach Angaben der Bundesverbands Braunkohle und einem neuen Gutachten im Auftrag der Grünen-Fraktion sind es aber noch rund 20 000. Vor allem das Rheinland und die Lausitz trifft es, wenn die Jobs wegfallen.
Beim Klimaschutz geht es nicht nur um Kohle - allerdings ist schon das extrem kompliziert. Ökostrom-Ausbau, Stromnetze, EEG-Umlage, Einspeisevorrang für Erneuerbare, europäischer Emissionshandel sind nur ein paar Stichworte. Dazu kommen Gebäudesanierung, Heizungen, Benzin- und Dieselmotoren und die Kraftstoffsteuern, Industriesubventionen und die Landwirtschaft. Aus alldem ein Gesamtpaket zu schnüren, ist eine echte Mammut-Aufgabe.
Die Kohlemeiler sind besonders emissionsintensiv. Wenn wir diesen CO2-Monstern nicht sehr bald einen Riegel vorschieben, wird’s eng mit dem globalen Haushaltsplan. Da mögen sich einzelne wie Teenager nöhlend über ihr schmales Taschengeld beklagen, aber in einer vernünftig geführten Volkswirtschaft in einer verbindlich geregelten Weltgemeinschaft braucht es Ordnung, Zuverlässigkeit und auch Disziplin.
Dass ausgerechnet die konservativen Kräfte in Deutschland derzeit einen Schlendrian einfordern und die lang bekannten Ziele unerreichbar nennen, ist das Erstaunlichste. Plötzlich sind die langhaarigen Hippies von gestern die Spießer von heute, die auf Pflichten pochen und Disziplin einfordern. Ausgerechnet auf Seiten von CDU und FDP agiert dagegen eine Politik-Generation, die sich lässig freiheitsliebend und cool generiert. Sie sind die neue Null-Bock-Generation, die auch mal eine Klima-Fünf gerade sein lassen will. Statt die Ärmel hochzukrempeln, um die Herausforderungen anzupacken, fabuliert sie lieber über Bildung für die digitalisierte Welt von morgen. Wollen sie wirklich warten, bis irgendwelche Künstliche Intelligenz unsere Arbeit erledigt? Möglicherweise könnte uns vorher das geschmolzene Arktiswasser bis zum Halse stehen.
Jamaika muss zünden. Sonst ist das Vertrauensbudget der Bürger schnell verbraucht.