Knauß kontert

Warum die aktuelle Politik nicht glaubwürdig ist

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

Man verspricht, die Welt zu retten - und kann nicht mal die heimischen Bahnhöfe vor Mehrfachtätern schützen. Wie soll noch Vertrauen möglich sein zu einer Politik, die sich gleichzeitig ganz groß und ganz klein macht?

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Allmächtig und Ohnmächtig: Angela Merkel Quelle: Marcel Stahn

Es ist eine Binse: Wahlerfolg beruht auf Glaubwürdigkeit. Sie ist die Voraussetzung für Vertrauen und damit für Wählerstimmen. Also stellt sich die einfache Frage: Was sollen die Deutschen ihren Regierenden glauben? Welches Bild der politischen Probleme erhalten die Deutschen von ihrer nach erneuter Bestätigung fragenden Regierungschefin – und welches Lösungsangebot?

Merkel selbst gibt darauf keine unmittelbare Antwort. Sie folgt ihrer Devise: „Geh ins Offene“. Dieser Spruch, den ihr der frühere Wissenschaftlerkollege Michael Schindhelm während der Wendezeit in ein Buch schrieb, ist für Merkel, wie sie sagt „Überschrift über all meine Gefühle, Wünsche und Sehnsüchte“.

Das ist bezeichnend. Denn er ist ebenso seltsam unklar, zwischen Banalität und Pathos oszillierend, wie ihre eigene Sprache. Diese besteht meist aus ungelenken Wendungen oder Floskeln. Jüngstes Beispiel: Ihre wiederholte Übersetzung von „Deutsche“ als „diejenigen, die schon immer hier waren“ (alternativ: „schon länger hier sind“).

„Eiserne Lady“ ohne Vision
Angela Merkel Quelle: dpa
Angela Merkel mit Norbert Röttgen Quelle: dapd
Angela Merkel Quelle: dpa
Angela Merkel Quelle: dpa
Angela Merkel Quelle: REUTERS
Angela Merkel Quelle: REUTERS
Angela Merkel Quelle: AP

Viele ihrer Aussagen sind entweder banale Feststellungen oder inbrünstige Beteuerungen von Selbstverständlichkeiten. „Jeder wurde als einzelner Mensch aufgenommen, nicht als Masse“, sagte Merkel zum Beispiel in ihrer Parteitagsrede. Kann ein Staat 890 000 Menschen „als Masse“ aufnehmen? Kann er sie „als einzelne Menschen“ aufnehmen? Kann man das überhaupt unterscheiden? Ist es sinnvoll? Was soll dieser Satz?

Ihre bisweilen ins Gefühlige driftenden Aussagen - „Mich irritiert die Freude am Scheitern“, sagte sie über die Kritik an ihrem Spruch „Wir schaffen das“ – verdecken, dass sie über ihre tieferen politischen Gestaltungsabsichten beharrlich schweigt. Politische Visionen, geschweige denn euphorisierende Botschaften sind nicht ihr Ding. Ihre Sprache ist dadurch unfassbar langweilig.

Vielleicht wurde Angela Merkel auch deswegen zu Anfang ihrer Laufbahn so sehr unterschätzt. Sie hat kein Format – im Wortsinne: Sie bietet keine Angriffsfläche, ist schwer zu packen. Aber das ist unter gegenwärtigen Umständen kein Nachteil.

Merkel hat aus ihrem rhetorischen und emotionalen Defizit eine Stärke gemacht. Sie lullt Kritiker ein, sie lähmt ihre Gegner, indem sie Diskussionen fast unmöglich macht. Das ist eine einzigartige Leistung.

Man muss sich also zwingen, ihre Aussagen genau zu lesen und zu deuten. Was sagt Merkel uns eigentlich? Die Frage ist nur unter Mühsal zu beantworten. Ihr zu vertrauen, dass sie den Laden weiter im Griff hat, ist sehr viel bequemer. Aber machen wir uns mal die Mühe.

„Ich habe euch einiges zugemutet, weil uns die Zeiten einiges zugemutet haben.“ Das war einer ihrer zentralen Sätze auf dem CDU-Parteitag in Essen. Will sagen: Nicht ich war‘s, sondern die Zeitläufte waren es.

Die zentralen Probleme – gemeint ist natürlich die Massenzuwanderung von 2015 – stellt Merkel als quasi naturgegebene „Herausforderungen“ des Schicksals dar, entstanden ohne ihr eigenes oder das Zutun anderer verantwortlich zu machender Menschen. Gleichzeitig aber bietet sie als Lösung des Migrationsproblems die Bekämpfung der Fluchtursachen an.

Kurz gesagt lautet Merkels migrationspolitische Botschaft: Wir können ohnehin nicht verhindern, dass Menschen nach Deutschland kommen, aber wir können vermeiden, dass die Menschen ihre Heimat verlassen. Als ob deutsche Politik mehr Macht über die Welt als über Deutschland selbst hätte.

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