So wenig Faszination für einander war selten. Selbst rund zwei Wochen nach Beginn der Sondierungen zwischen Union, FDP und Grünen sind es nicht die Signale der Annäherung und Verständigung, die auffallen, sondern immer noch jene der Abgrenzung und Warnung. Ein Projekt Jamaika, von dem am Anfang viel die Rede war, ein Bündnis mit klarem Sinn und Auftrag, erscheint noch in ziemlich nebliger Ferne. „Keiner will leichtfertig Neuwahlen. Aber wenn es dazu kommt, stehen wir als geschlossene Formation da, ganz im Gegensatz zur Konkurrenz“, sagt FDP-Mann Wolfgang Kubicki. Das ist nichts anderes als eine ziemliche unverhohlene Warnung an die Regierungspartner in spe: Wir haben am wenigsten zu verlieren. Überreizt es nicht.
Tatsächlich hakt und stockt es an vielen Punkten. Und doch: Einigung wäre möglich, wenn alle sich bewegen – und Kompromisse über Konflikte stellen würden. Die WirtschaftsWoche skizziert die denkbaren Einigungslinien in den fünf meistumkämpften Bereichen:
1. Steuern und Finanzen
Ein paar Selbstverständlichkeiten stehen fest. Etwa die, an der schwarzen Null festzuhalten – denn gerade für Union und FDP wäre alles andere indiskutabel. Eine Kröte werden die Grünen schlucken müssen: Mehrbelastung für Besserverdiener, vulgo: Steuererhöhungen, wird es ebenfalls nicht geben. Andernfalls würden weder CDU/CSU noch Liberale einen Koalitionsvertrag von ihrer Basis abgesegnet bekommen.
Soli und Subventionen: Kernpunkte der Jamaika-Haushaltssondierungen
Die Jamaika-Unterhändler bekennen sich grundsätzlich zum ausgeglichenen Haushalt. Sie wollen also keine neuen Schulden aufnehmen. Das wäre ohnehin schwierig, weil die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse dem Bund seit 2016 die Aufnahme von Krediten weitgehend verwehrt. Nur in geringem Umfang von 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung sind neue Schulden erlaubt. Bezogen auf das Bruttoninlandsprodukt 2016 entsprach das etwa 10,97 Milliarden Euro. Für „Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen“ ist ausnahmsweise auch eine höhere Schuldenaufnahme erlaubt, für die aber ein Tilgungsplan erstellt werden muss.
Die potenziellen Koalitionäre wollen keine neuen Substanzsteuern, schließen also die im Grünen-Wahlprogramm geforderte Vermögenssteuer aus. Für Union und FDP ist sie ein rotes Tuch. Auch eine Erhöhung der Erbschaftsteuer wäre wohl unwahrscheinlich. Andere Substanzsteuern wie etwa die Grundsteuer auf Grundstücke erhebt der Staat schon heute.
Hier sollen unter anderem Familien mit Kindern profitieren.
Die verhandelnden Parteien wollen den „Soli“ abbauen. Die FDP will ihn in der aktuellen Wahlperiode komplett abschaffen, und zwar möglichst schnell. Die Union will stufenweise vorgehen. Die Grünen halten das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts ohne den Soli hingegen nicht für machbar. Die Abschaffung würde eine Lücke in den Staatshaushalt reißen: Der Solidaritätszuschlag spülte 2016 insgesamt 16,9 Milliarden Euro in die Staatskasse.
Gebäude verursachen in Deutschland etwa 35 Prozent des Energieverbrauchs und 30 Prozent des Ausstoßes des Treibhausgases CO2. Investitionen zum Beispiel in eine bessere Wärmedämmung oder in moderne Heizkessel könnten in Zukunft besser von der Steuer abgesetzt werden.
Hier wollen die möglichen Jamaika-Partner den Mangel an Mietwohnungen angehen. Investoren könnten dann etwa ihre Kosten teilweise steuerlich absetzen. Auch landwirtschaftliche Flächen sollen dazu für den Wohnungsbau freigegeben werden.
Vor allem Unternehmen sollen die Anschaffungskosten für bewegliche Wirtschaftsgüter wie Maschinen oder Fahrzeuge stärker von der Steuer absetzen können. „Degressiv“ bedeutet, dass Güter mit längerer Nutzungsdauer in immer geringerem Umfang abgesetzt werden können. AfA steht für „Absetzung für Abnutzungen“.
Firmen, die in Forschung und Entwicklung investieren, sollen ihre Aufwendungen zum Teil steuerlich absetzen können.
Auf Betreiben der Grünen sollen vor allem staatliche Hilfen auf den Prüfstand, die den Klimazielen widersprechen. FDP-Generalsekretärin Nicola Beer nannte als mögliches Beispiel aber auch die Förderung von Elektroautos, weil davon vor allem Besserverdiener profitieren würden.
Ein erster Schritt zur Einigung dürfte die Abschmelzung des Soli sein: Die komplette Abschaffung wäre zwar zu teuer, aber ein Einstieg in den Ausstieg ist Pflicht – und noch dazu vom Bund alleine zu beschließen. Das macht die Sache politisch einfacher. Zumal so auch noch mehr Spielraum für Investitionen in anderen Bereichen bliebe, etwa in Bildung.
Entlastungen insbesondere für Geringverdiener, wie sie die Grünen fordern, wären dann eher an anderer Stelle zu holen: bei den Sozialgaben. Dank der guten Arbeitsmarktlage sind die Sozialkassen voll genug. Und sinkende Beiträge würden wirksam gerade denen helfen, die hart arbeiten, aber kaum Einkommensteuer zahlen. Vor allem in der Arbeitslosenversicherung dürfte sich 2018, spätestens 2019, ein Spielraum zur Senkung auftun. Kämen möglicherweise auch die Renten-und die Krankenversicherung dazu, könnte Jamaika gleich mehrere Entlastungpunkte zugleich machen: Sinkende Sätze erfreuen darüber hinaus auch die Unternehmen.
2. Verkehrspolitik
Es ist kein Geheimnis, dass die Grünen den Verbrennungsmotor verbannen wollen. Je eher, desto besser. Spätestens 2030 gehören Diesel- und Benzinmotoren nach Lesart der Grünen in das Technikmuseum. „Ab 2030 sollen nur noch abgasfreie Autos vom Band rollen“, heißt es in dem Wahlprogramm, mit dem die Grünen 8,9 Prozent der Stimmen gewonnen haben. „Das Zeitalter der fossilen Verbrennungsmotoren ist dann zu Ende.“ Mit Union und FDP aber ist das kaum zu machen. Sie setzen auf Markt statt auf Verbote. Und sie wollen den Verbrenner auch noch nicht abschreiben.
Doch so weit auseinander liegen die Parteien trotzdem nicht. Auch die Union definiert „moderne Dieselfahrzeuge“ nur als „wichtige Option, bis sich die Elektromobilität endgültig durchgesetzt hat“. Dass die Nachfrage künftig die Elektromobilität stärken wird, bezweifeln nicht einmal die Liberalen. Sie wollen nur nicht, dass der Staat den Markt maßregelt. Und auf keinen Fall wollen sie ein konkretes Enddatum setzen.
Gegen ökonomische Anreize dürfte deshalb keine Partei etwas haben. Ein Preis für CO2-Emissionen und langfristig verlässliche Emissionsziele sind Maßnahmen, die die FDP explizit unterstützt. Auch die Union hat Anreize wie die Kfz-Steuer, die sich am CO2-Ausstoß orientiert, immer akzeptiert. Je höher der Ausstoß von Kohlendioxid, desto mehr Kfz-Steuer würde dann fällig.