Kontakte zu Rechtsextremisten AfD-Radikalisierung alarmiert Verfassungsschützer

Im Wahlkampf provozieren AfD-Spitzenpolitiker mit scharfen Attacken auf die Bundesregierung. Sorgen bereitet Verfassungsschützern vor allem der rechtsnationale Flügel. Im Fokus: Kontakte Einzelner zu Rechtsextremisten.

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AfD-Spitzenpolitiker Alice Weidel, Alexander Gauland (r.) und Jörg Meuthen: Mit rassistischem Tonfall gegen die Bundesregierung. Quelle: dpa

Berlin In der politischen Auseinandersetzung ist der AfD offenbar jedes Mittel Recht. Parteivize Beatrix von Storch erfindet ein Zitat von Justizminister Heiko Maas (SPD) und verbreitet es in den sozialen Medien, ihr Co-Vize Alexander Gauland untergräbt rechtsstaatliche Prinzipen, indem er der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), ihre staatsbürgerlichen Rechte abspricht und sie in Anatolien „entsorgen“ will.

Nachdem die heftige Kritik an Gaulands Äußerungen bei einer Wahlkampfveranstaltung in Thüringen immer lauter wird, springt ihm der AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen bei. Dieser wiederholt Gaulands Attacke nicht nur, sondern er verschärft sie noch. Der Wirtschaftsprofessor, der einst als bürgerliches Aushängeschild der AfD galt, erklärte bei einer Wahlveranstaltung in Nürnberg, Gauland wolle ja nur Özoguz entsorgen. „Unser Ziel ist es, die ganze Regierung Merkel rückstandsfrei zu entsorgen.“

Zuletzt sorgte ein von der „Welt am Sonntag“ der AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel zugeordneten E-Mail mit rassistischen Bemerkungen und Demokratie-verachtenden Thesen aus dem Jahr 2013. Weidel bezeichnet die Berichterstattung als „unfassbar“ und plumpe Kampagne. Auswirkungen auf die Wählergunst haben die Ausfälle kaum. Zwei Wochen vor der Wahl liegt die AfD in Umfragen klar über der Fünf-Prozent-Hürde und dürfte nach dem 24. September wohl mit Dutzenden Abgeordneten im Bundestag vertreten sein.

Die jüngste Aggressivität der AfD-Spitzenpolitiker von Storch, Gauland, Meuthen und Weidel markiert indes eine neue Qualität in der Entwicklung der Partei. Während sich in der Vergangenheit insbesondere der rechtsnationale Flügel der Partei um die AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke (Thüringen) und André Poggenburg (Sachsen-Anhalt) solcher verbaler Entgleisungen bediente, um gegen die etablierten Parteien Stimmung zu machen, gehören antidemokratische Verbalinjurien inzwischen zum Standardrepertoire der Partei. Selbst wenn Beschimpfungen und Beleidigungen von Verfassungsorganen von der Meinungsfreiheit gedeckt sein mögen, beschäftigen sich mittlerweile Verfassungsschutzbehörden damit.

Der Thüringer Verfassungsschutz etwa registriert in diesem Zusammenhang eine wachsende Radikalisierung der AfD. Eine Prüfung offener Quellen habe ergeben, „dass einzelne Mitglieder der AfD zunehmend auf rechtsextremistischen Sprachgebrauch zurückgreifen“, sagte der Chef der Behörde, Stephan Kramer, dem Handelsblatt. Mit Sorge betrachteten Verfassungsschützer in dieser Hinsicht den Einfluss der Patriotischen Plattform auf die Partei.

„Vertreter und Protagonisten der Patriotischen Plattform beziehen vermehrt offen rechtsextremistische, insbesondere ethnopluralistische Positionen.“ Gleichwohl sei diese parteiinterne Gruppe, deren Sprecher der Magdeburger AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider ist, derzeit kein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes.

Kramer sprach sich daher für weitergehende Maßnahmen aus. „Für eine weitere Bewertung bedarf es einer Betrachtung, die sich nicht nur auf einzelne Aussagen von Mitgliedern bezieht, sondern diese in einen Gesamtkontext der bundesweit agierenden Partei stellt“, sagte er. Bei der Prüfung sei zu berücksichtigen, dass sich die Partei in einem „dynamischen Entwicklungsprozess“ befinde. „Ob die extremistischen Positionen einzelner Mitglieder für die Gesamtpartei prägend werden, bleibt dabei abzuwarten.“


„Hau ab, Du verlogenes Dreckschwein“

Tillschneider fällt immer wieder mit scharfen Tönen Richtung Bundesregierung auf. Bei einer Wahlkampfveranstaltung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor wenigen Tagen im sachsen-anhaltischen Bitterfeld war der Islamwissenschaftler einer von vielen wütenden Protestlern. Mit „Hau ab“-Rufen und Trillerpfeifen wurde der Auftritt der Kanzlerin gestört. Das ARD-Magazin „Panorama“ fragte einige Demonstrierende nach ihren Beweggründen.  

Einer nannte die Kanzlerin eine Verbrecherin, ohne diese näher zu begründen, ein anderer behauptete, Merkel habe „Deutschland kaputt gemacht“, was „in unserer Geschichte einmalig“ sei. Auch der Reporter wurde beschimpft. „Hau ab, Du verlogenes Dreckschwein“, rief einer ins Mikrofon. Auch Tillschneider griff zu drastischen Worten: Merkel gehöre „in einer Zwangsjacke aus dem Kanzleramt geführt“. Denn sie habe ihren Amtseid mehrfach gebrochen. Es sei daher durchaus legitim, auch „Hau ab“ zu rufen.

Dass die Patriotische Plattform in den Fokus von Verfassungsschützern rückt, verwundert nicht. Dafür sprechen die inhaltlichen Schnittmengen mit verfassungsfeindlichen Organisationen oder Bewegungen. Und die teilweise persönlichen Kontakte zu deren Repräsentanten. Tillschneider selbst tritt regelmäßig mit Vertretern der Pegida-Bewegung auf, die in Teilen heute schon vom Verfassungsschutz beobachtet  wird.

Dem Vorstand der von Tillschneider geführten Patriotischen Plattform gehört auch der Dresdner Richter Jens Maier an. Maier kandidiert für den Bundestag auf dem aussichtsreichen Listenplatz 2 der sächsischen AfD – hinter Landeschefin Frauke Petry. Maier, der sich selbst gern als „kleiner Höcke“ bezeichnet, hatte im Januar als Vorredner des Thüringer AfD-Rechtsaußen Björn Höcke bei dessen heftig kritisierter Dresdner Rede das Ende des deutschen „Schuldkults“ gefordert. Er wandte sich gegen die „Herstellung von Mischvölkern, um die nationalen Identitäten auszulöschen“.

Schon damals beschloss der Landesvorstand, ein Ausschlussverfahren zu beantragen. Dieser Beschluss wurde aber später zurückgestellt. Ein Landesparteitag hatte sich dagegen ausgesprochen und Maier auf Platz zwei der Landesliste zur Bundestagswahl gewählt - hinter der Höcke-Gegnerin Petry.

Abgrenzungsprobleme hat die Patriotische Plattform auch zur rechtsextremen „Identitären Bewegung“, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Zwei Mitglieder der Plattform nahmen vor einiger Zeit an einer Demonstration der „Identitären Bewegung Österreich“ teil. Einer von ihnen - Dubravko Mandic - gehört dem Schiedsgericht des AfD-Landesverbandes in Baden-Württemberg an. Eine Parteikollegin von Mandic, die Stuttgarter AfD-Landtagsabgeordnete Christina Baum, hat auch keine Berührungsängste mit den „Identitären“.

Die Beobachtung der Gruppierung ist für die AfD-Politikerin rein machttaktisch motiviert. „Damit sollte nun auch dem letzten Zweifler klar geworden sein, dass der Verfassungsschutz zur Einschüchterung Andersdenkender benutzt wird und somit ein Instrument zur Erhaltung der politischen Macht in Deutschland darstellt“, erklärte sie einmal. Und schickte ein Drohung hinterher: „Doch das Volk lässt sich nicht mehr lange einschüchtern. Das Maß ist voll.“

AfD-Bundesvorstandsmitglied Poggenburg hegt gar Sympathie für eine Zusammenarbeit mit der „Identitären Bewegung“. Auf Einladung des neurechten „Compact-Magazins“ nahm Poggenburg im vergangenen Jahr an einer Podiumsdiskussion im Schweriner Amedia Plaza Hotel teil. Damals erklärte er, er sei der letzte, der einer Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen Gruppen im Wege stünde. Er reagierte damit auf einen Vortrag des inzwischen wegen Gewaltdrohungen gegenüber politischen Gegnern aus der Partei ausgetretenen Schweriner AfD-Vizefraktionschefs Holger Arppe.

Arppe hatte seinerzeit erklärt: „Von der Identitären Bewegung kann sich dieser ganze linksextremistische Abschaum mal eine Scheibe von abschneiden.“ Er sei „ganz klar Gegner dieser Abgrenzerei und Distanziererei, insofern es hier um Organisationen, Vereine oder Projekte geht, die sich im Rahmen des Verfassungsbogens aufhalten“. Er könne jedenfalls nicht erkennen, inwiefern sich die „Identitäre Bewegung“ außerhalb des „Verfassungsbogens“ aufhalte.

Dass Poggenburg die Aussagen Arppes stützte ist schon deshalb bemerkenswert, da der AfD-Bundesvorstand einer Zusammenarbeit mit rechten Gruppierungen wie der „Identitäten Bewegung“ eine klare Absage erteilt hat. AfD-Bundeschef Meuthen kündigte damals an, „parteiintern“ die Sache mit Poggenburg anzusprechen. „Wir haben hier vom Bundesvorstand eine völlig klare Linie, die sagt, wir wollen mit der Identitären Bewegung nichts zu tun haben“, so Meuthen im September 2016 im Deutschlandfunk.


AfD-Chef Meuthen bei Parteitreffen mit Pegida-Chef Bachmann

Bei Meuthen scheint indes selbst einen Wandlungsprozess erfolgt zu sein. Während er früher rechten Bestrebungen in seiner Partei deutlich distanziert gegenüberstand, sucht er heute aktiv die Nähe von Rechtsauslegern wie Gauland oder Höcke. Gegen den Thüringer AfD-Chef läuft ein Parteiausschlussverfahren, das jedoch von Meuthen nicht unterstützt wird. Höcke unterhält enge Beziehungen zu Götz Kubitschek und seiner neu-rechten Denkfabrik, dem „Institut für Staatspolitik“ in Schnellroda in Sachsen-Anhalt.

Schon als Bernd Lucke noch die AfD anführte, stellte sich Meuthen gegen die Absicht, Höcke loszuwerden. „Herr Meuthen ist für mich ein klassischer Schattenboxer“, sage seinerzeit der AfD-Vize und Lucke-Mitstreiter Hans-Olaf Henkel. Nach außen tue er so, als würde er sich gegen den rechtsnationalen Höcke-Flügel stellen, nach innen sei er es gewesen, der die Einstellung des Amtsenthebungsverfahrens gegen Höcke mit betrieben habe. „Er tanzt auf allen Hochzeiten“, sagte Henkel über Meuthen.

So ist Meuthen auch auf regelmäßigen Treffen des ultrarechten „Flügels“ zu Gast, einem informellen, gut organisierten Bündnis von Rechtsnationalen in der AfD. Ins Leben gerufen wurde die Gruppierung im März 2015 von Höcke und Poggenburg. Der „Flügel“ entstand als Reaktion auf die Versuche von Parteigründer Lucke, die Partei klar nach rechts abzugrenzen.

Die „Gründungsurkunde“ des Flügels ist die „Erfurter Resolution“. Darin heißt es, die AfD müsse eine „grundsätzliche, patriotische und demokratische Alternative zu den etablierten Parteien“ und eine „Bewegung unseres Volkes“ gegen „Gesellschaftsexperimente“ wie Gender Mainstreaming und Multikulturalismus sein. Der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke spricht im Zusammenhang mit dem „Flügel“ von einem „völkischen Nationalismus“.

Zu den Erstunterzeichnern der „Erfurter Resolution“ gehört Markus Frohnmaier, der heute für die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel arbeitet. Weitere Unterstützer der ersten Stunde sind der Vorsitzende der Brandenburger AfD, Andreas Kalbitz, und Tillschneider.

Der „Flügel“ und seine Sympathisanten treffen sich einmal pro Jahr vor dem Kyffhäuserdenkmal in Thüringen. So auch in diesem Jahr. Mit dabei: Neben Meuthen und Gauland auch der AfD-Politiker Mandic sowie „Compact“-Chefredakteur Jürgen Elsässer und Pegida-Chef Lutz Bachmann.

Mittlerweile schauen denn auch Verfassungsschützer genauer hin. Und stellen Beängstigendes fest: Laut dem Thüringer Verfassungsschutz-Chef Kramer gibt es direkte Kontakte zwischen AfD-Akteuren und Rechtsextremisten. „Einzelne Kenn- und Treffverhältnisse von Rechtsextremisten und Mitgliedern der AfD sind bekannt“, sagte der Verfassungsschützer. „Entscheidend ist die Frage, ob die AfD von solchen Rechtsextremisten möglicherweise unterwandert und dann maßgeblich gesteuert wird.“ Hierfür seien derzeit in Thüringen keine tatsächlichen Anhaltspunkte erkennbar.

„Die Bewertung basiert auf den drei Aspekten Mitgliederstruktur, mögliche Zusammenarbeit mit Rechtsextremisten sowie programmatische Inhalte und Äußerungen von Parteimitgliedern und bezieht sich ausschließlich auf öffentlich zugängliches Material“, erläuterte Kramer. Die Einschätzung berücksichtige dabei belastende wie entlastende Aspekte.


Experte: Bundesverfassungsgericht soll Verfassungsfeindlichkeit prüfen

Für eine geheimdienstliche Beobachtung der AfD sind laut Kramer derzeit „noch keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte erkennbar“. Dasselbe gelte für eine Beobachtung von Einzelpersonen. Das ist bislang auch die Auffassung des Bundesverfassungsschutzes, wobei die Bundesbehörde ohnehin keiner einzelnen Parteimitglieder ins Visier nehmen kann.

Im vergangenen Jahr begründete Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen die Zurückhaltung. Seine Behörde sei keine „Hilfstruppe der etablierten Parteien“, sagte er der „Rheinischen Post“. „Wir können nicht der Konkurrenzschutz in einer Frage sein, die als politische Auseinandersetzung über Positionen geführt werden muss.“ Die AfD sei „derzeit keine rechtsextremistische Partei“, fügte Maaßen hinzu. Soweit Politiker sich in strafrechtlich relevanter Weise äußerten, sei das eine Sache für die Polizei und die Gerichte.

Rechtsextremismus-Experte Matthias Quent kritisierte die Haltung der Geheimdienstler scharf und brachte Konsequenzen ins Spiel. „Die Vergangenheit hat gezeigt, dass man sich auf das Urteil des Geheimdienstes nicht verlassen kann“, sagte der Direktor des Jenaer Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft dem Handelsblatt. „Für eine transparente, verlässliche und rechtstaatliche Bewertung, ob die AfD als Gesamtpartei als verfassungsfeindlich einzuordnen ist, gerade in Hinsicht auf die jüngst bekanntgewordene angebliche Mail der Spitzenkandidatin Weidel, müsste das Bundesverfassungsgericht angerufen werden.“

Dass der Verfassungsschutz ausgehend von bekannten Neonazis nach Kontakten in die AfD suche und die Mitgliederstruktur betrachte, um daran eine Verfassungsfeindlichkeit festzumachen, sei zudem „Ausdruck eines ahistorischen Verständnisses von Gesellschaft“, sagte Quent weiter. „Die Demokratie wird nicht nur von extremen Rändern bedroht, sondern auch aus ihrer Mitte.“

Wenn Rechtsradikale wie Höcke von über 90 Prozent ihres Landesverbandes gewählt werden, dann sei das eine Unterstützung dieses antidemokratischen Kurses. Die NSDAP sei auch nicht ausschließlich durch „ideologisierte Extremisten“, sondern durch die Unterstützung durch gewöhnliche Menschen aus der Mitte der Gesellschaft an die Macht gekommen, um, wie der Hitler-Vertraute Joseph Goebbels einst gesagt habe, sich „im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen“ und die Demokratie schließlich abzuschaffen.

Quent verwies überdies auf die Erkenntnisse verschiedener neuerer Studien, unter anderem von dem Historiker Michael Wildt und von Politikwissenschaftler Samuel Salzborn. Beide kämen zu dem Ergebnis, „dass in der AfD das Konzept einer ethnisch homogenen Volksgemeinschaft verfolgt wird“. Dies sei nach Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem NPD-Verbotsverfahren im Januar 2017 „grundsätzlich mit dem Demokratieprinzip unvereinbar“.

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