Kostenexplosion Warum die Grundsteuer so teuer werden kann

Quelle: dpa

Das Bundesverfassungsgericht prüft, ob die Grundsteuer gegen das Grundgesetz verstößt. Doch bei einer Reform droht noch mehr Ungemach.

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Eigentlich lief für Annette Beccard alles nach Plan. In einer ruhigen Seitenstraße in Berlin-Mitte besitzt die 56-Jährige ein vierstöckiges Mehrfamilienhaus. Das Viertel am Rosenthaler Platz gehört zu einer der gefragtesten und teuersten Wohngegenden der Stadt. Direkt gegenüber spielen Kinder im Park, im Treppenhaus windet sich eine alte Holztreppe nach oben. Von ihrer Haustür aus läuft Beccard keine fünf Minuten zum beliebten Hakeschen Markt.

Als Beccard das Haus 2002 aus Familienbesitz übernahm, erbte sie nicht nur ein Wohnhaus in Top-Lage, sondern auch Altschulden in sechsstelliger Höhe. Seitdem hat Beccard das Haus renoviert, viel Geld und Zeit investiert. Die Kaltmieten im Haus aber liegen mit sieben bis zehn Euro deutlich unter dem Schnitt.

Beccard kennt alle Mieter persönlich. So ein Haus sei eine „eigene kleine Welt“, sagt sie. Und die will sie nicht zerstören. Liefe alles nach Plan, würde die Immobilie trotzdem pünktlich zur Rente Gewinne abwerfen. Doch dieser Plan ist nun in Gefahr.

Die Gefahr trägt die Abkürzung Drs. 514/16 (B). Unter diesem Kürzel verabschiedete der Bundesrat vor eineinhalb Jahren einen Gesetzeswurf zur Reform der Grundsteuer – und legte damit die Grundlage für eine mögliche Revolution. In Deutschland berechnen Finanzämter und Kommunen die Grundsteuer bis heute auf Basis von Werten, die Jahrzehnte zurückliegen. Im Osten datieren sie auf das Jahr 1935, im Westen wurden sie 1964 festgelegt.

Weil die verschiedenen Erhebungszeitpunkte schon so lange zurückliegen und sich die Immobilienpreise seither enorm verändert haben, stimmt die alte Berechnungsbasis nicht mehr – mit der Folge, dass die einzelnen Steuerbescheide gegen den Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz verstoßen könnten. Der Gesetzesentwurf des Bundesrates könnte dieses Problem auf – gleichzeitig aber ein ganz anderes auslösen.

Der Entwurf sieht vor, alle Grundstücke und Gebäude der Republik neu zu bewerten. Weil aber seit 1935 und 1964 etliche Grundstücke und Gebäude immens an Wert gewonnen haben, könnte die Grundsteuer dort steigen. Immens.

Steigerung um das 122-fache

Welche Folgen die Neubewertung konkret haben könnte, hat der Eigentümerverband Haus & Grund für 500 Immobilien in Deutschland ausgerechnet. Das Ergebnis: Während es für Immobilien auf dem Land günstiger würde, müssten Besitzer von Häusern in Ballungsgebieten deutlich mehr an den Fiskus abdrücken. Um bis zu 5500 Prozent könnten die Berechnungswerte laut Haus & Grund vor allem in Großstädten wie Hamburg, Berlin, Frankfurt oder Köln steigen.

Hausbesitzerin Beccard sitzt in der obersten Etage ihres Hauses in der Wohnküche und tippt Nummern in einen Taschenrechner. Nach ein paar Sekunden erscheint am Display eine Zahl: 2054,16. Das ist der Betrag, den Beccard derzeit pro Jahr an Grundsteuer zahlt. Sollte die neue Berechnungsmethode des Bundesrat-Entwurfes umgesetzt werden, könnte er um das 122-fache steigen. „Dann kann hier keiner mehr wohnen – auch ich selbst mit meinem Mann nicht mehr“, sagt Beccard.

Die Rechnung, die Beccard für diese Überlegung anstellt, geht so: Aktuell bemisst sich die Grundsteuer, die sie zahlt, nach dem Einheitswert von 1935. In ihrem Fall sind das 25.360 Euro. Dieser Betrag wird mit den Faktoren Steuermesszahl und Hebesatz verrechnet. Das Ergebnis ist die tatsächliche Steuer. Mit der neuen Berechnungsmethode des Bundesrat-Entwurfes würde der Einheitswert durch einen Kostenwert ersetzt. Der setzt sich aus Grundstückswert und Gebäudewert zusammen. Die Berechnungen von Haus & Grund geben den Kostenwert von Beccards Immobilie mit 3,1 Millionen Euro an. Bei gleichbleibenden Faktoren würde die Grundsteuer explodieren – und alle Pläne Beccards zerstören.

Beccard arbeitet bei Haus & Grund und verfolg die Diskussion über die Grundsteuer seit Jahren. Sie hat miterlebt, wie der Bundesfinanzhof die Steuer bereits 2009 für verfassungswidrig erklärte, wie die Politik jahrelang tatenlos blieb, wie der Bundesrat schließlich per Kampfabstimmung den Gesetzesentwurf verabschiedete. Wenn Beccard über diese Politik redet, verwandelt sich die gemütliche und ruhige Frau in eine Interessenvertreterin, die plötzlich Begriffe wie Enteignung oder Ideologie verwendet.

Vor allem ärgert sich Beccard, dass die Politik ihre Sorgen nicht wahrnehme. „Das wird alles auf höchster Ebene entschieden“, sagt sie. „Und ich kann nur sagen, wie schlecht ich das finde.“

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