Martin Schulz wird SPD-Chef Gefühl geht vor Inhalt

Martin Schulz steht vor der vielleicht wichtigsten Rede seines Lebens. Bei seiner Kür auf dem Parteitag zum neuen SPD-Chef und Kanzlerkandidaten heute wird er deshalb voll auf Gefühl setzen – und wenig auf Inhalte.

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Schulz soll am Sonntag bei einem Sonderparteitag der SPD zum Parteivorsitzenden gewählt und offiziell als SPD-Kanzlerkandidat nominiert werden. Quelle: dpa

Berlin Martin Schulz ist derzeit nicht zu bremsen. Unter seiner Führung jagt die SPD von einem Umfragehoch zum anderen. Am diesem Sonntag erreicht der Schulz-Hype nun seinen vorläufigen Höhepunkt: Die Krönungsmesse für den neuen Heilsbringer der SPD steht an. Auf einem Sonderparteitag in Berlin wird Schulz zum neuen Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten der SPD gewählt.

Es wird ein Parteitag der großen Gefühle. Schulz wird die Parteiseele streicheln, und ihm werden die Herzen der Genossen dafür zufliegen. Wer sich dagegen endlich Klartext vom Kanzlerkandidaten zu seinen Inhalten erhofft, wird enttäuscht werden. Inhalte werden in Schulz' Rede keine große Rolle spielen. Über die bereits gemachten Vorschläge für ein Arbeitslosengeld Q und kostenlose Kitas wird es wohl nichts geben. Gefühle gehen vor Inhalt – auch wenn der Druck auf Schulz zuletzt größer wurde, sich inhaltlich stärker zu positionieren.

Eine Rede auf einem Wahlparteitag ist jedoch nicht dafür da, ein Regierungsprogramm zu entwerfen. Ein neuer Parteivorsitzender und erst recht ein Kanzlerkandidat muss seinen Auftritt dafür nutzen, sich in die Herzen der eigenen Leute zu reden, zu mobilisieren, kurz: Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Technische Feinheiten wie die beste Weiterentwicklung der Emissionshandelsrichtlinie würden in einer solchen Rede nur wie ein Fremdkörper wirken.

Politik besteht stark aus Worten, mit ihnen wird politische Realität geschaffen. Schulz hat in den vergangenen Tagen schon ein wenig durchblicken lassen, welche Realität er an diesem Sonntag seiner Basis beschreiben wird.

Er sieht den Wahlkampf in diesem Jahr nicht als gewöhnlichen Wettbewerb zwischen Parteien um die Macht. Für Schulz ist der anstehende Wahlkampf auch ein Kampf um die Demokratie: Der Parlamentarismus werde von den Demokratiefeinden angegriffen, sagte er in einer Rede am Mittwoch in Wolfenbüttel. Deshalb müsse die Demokratie verteidigt werden. Und wer, wenn nicht die SPD, steht in der deutschen Geschichte dafür?

So twitterte Schulz am Vorabend seiner Wahl, er denke mit Demut zurück an die großen SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel, Willy Brandt und Otto Wels. Wels war es, der als einziger im Reichstag nach dem Reichstagsbrand Adolf Hitler 1933 die Stirn geboten hat. „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“, dieser legendäre Satz war eine Sternstunde im dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte.

Schulz wird die SPD an ihre besondere Verantwortung im Kampf gegen Rechts erinnern und den Bogen zu heute spannen. Er wird erklären, welche Gefahr von den Populisten unserer Zeit ausgeht, dass es aber auch Hoffnungszeichen gibt: Allen voran die zuletzt 12.000 Eintritte in die SPD überwiegend junger Menschen, die sich engagieren wollen, um Populisten wie Donald Trump und Europa-Gegnern wie der AfD etwas entgegenzusetzen.

Und natürlich wird sich in Schulz' Rede wieder viel um das Thema soziale Gerechtigkeit drehen. Er wird betonen, dass die SPD diejenigen vertreten muss, die den Wohlstand im Land erarbeiten, davon aber nicht allzu viel haben. Viel konkreter wird er der Kanzlerkandidat wohl nicht werden. Am Sonntag ist das auch völlig in Ordnung. Ab Montag aber wird Martin Schulz neben Gefühl auch Inhalte liefern müssen.

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