Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat angesichts der auch gegen sie persönlich gerichteten Nazi-Vorwürfe aus Ankara indirekt mit einem Einreiseverbot für türkische Politiker gedroht. „Wir werden nicht zulassen, dass der Zweck die Mittel immer wieder heiligt und jedes Tabu fällt“, sagte die CDU-Chefin. Sie verwies auf eine wenige Tage alte Verbalnote des Auswärtigen Amtes. Darin habe die Bundesregierung unmissverständlich mitgeteilt, dass Auftritte türkischer Politiker in Deutschland nur stattfinden könnten, wenn sie auf der Grundlage der Prinzipien des Grundgesetzes erfolgen.
„Andernfalls, so formuliert die Verbalnote, behält sich die Bundesregierung vor, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, einschließlich einer Überprüfung der mit dieser Note erteilten Genehmigung“, fügte die Kanzlerin hinzu. „Und ich sage das, um daran nochmal zu erinnern und deutlich zu machen, dass das nach wie vor so gilt, wie wir es in dieser Verbalnote formuliert haben.“ Im Umkehrschluss kommt eine negative Entscheidung der Regierung einem Einreise- und Auftrittsverbot für türkische Politiker gleich.
Die Kanzlerin betonte nach ihrer Begegnung mit dem japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe: „Mein Satz, dass die Nazi-Vergleiche von seiten der Türkei aufhören müssen, gilt. Und zwar ohne Wenn und Aber.“ Leider hätten diese Nazi-Vergleiche aber nicht aufgehört. Die Regierung werde nicht zulassen, dass jedes Tabu falle ohne Rücksicht auf das Leid der Opfer des Nationalsozialismus, so Merkel.
Schlüsselstaat Türkei
Die Republik Türkei ist laut der Verfassung von 1982 ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat. Regiert wird das Land von Ministerpräsident Binali Yildirim und dem Kabinett. Staatsoberhaupt ist Recep Tayyip Erdogan, als erster Präsident wurde er 2014 direkt vom Volk gewählt. Im türkischen Parlament sind vier Parteien vertreten, darunter - mit absoluter Mehrheit - die islamisch-konservative AKP von Erdogan. Parteien müssen bei Wahlen mindestens 10 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, um ins Parlament einziehen zu können. Die Türkei ist zentralistisch organisiert, der Regierungssitz ist Ankara. (dpa)
Die Türkei ist seit 1999 Kandidat für einen EU-Beitritt, seit 2005 wird darüber konkret verhandelt. Würde die Türkei beitreten, wäre sie zwar der ärmste, aber nach Einwohnern der zweitgrößte Mitgliedstaat, bei derzeitigem Wachstum in einigen Jahren wohl der größte.
Als Nachbarstaat von Griechenland und Bulgarien auf der einen Seite und Syrien sowie dem Irak auf der anderen Seite bildet die Türkei eine Brücke zwischen der EU-Außengrenze und den Konfliktgebieten des Nahen und Mittleren Ostens.
Seit Beginn des Syrien-Konflikts ist die Türkei als Nachbarstaat direkt involviert. Rund 2,7 Millionen syrische Flüchtlinge nahm das Land nach eigenen Angaben auf. Die türkische Luftwaffe bombardiert allerdings auch kurdische Stellungen in Syrien und heizt so den Kurdenkonflikt weiter an.
1952 trat die Türkei der Nato bei. Das türkische Militär - mit etwa 640 000 Soldaten und zivilen Mitarbeitern ohnehin eines der größten der Welt - wird bis heute durch Truppen weiterer Nato-Partner im Land verstärkt. Im Rahmen der sogenannten nuklearen Teilhabe sollen auch Atombomben auf dem Militärstützpunkt Incirlik stationiert sein.
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte Merkel am Sonntag erstmals persönlich „Nazi-Methoden“ vorgeworfen. Der Staatschef kämpft auch bei Landsleuten in Deutschland um Zustimmung zu einem ihn selbst stärkenden Verfassungsreferendum. Erdogan sagte in Istanbul an Merkel gerichtet: „Du wendest auch gerade Nazi-Methoden an.“ Mit Blick auf Europa sagte Erdogan, dort könnten „Gaskammern und Sammellager“ wieder zum Thema gemacht werden, aber „das trauen sie sich nur nicht“. Offen ließ Erdogan, wen er mit „sie“ genau meinte.
Merkel sagte am Montag: „Mein Satz, dass die Nazi-Vergleiche von Seiten der Türkei aufhören müssen, gilt, und zwar ohne Wenn und Aber. Leider müssen wir feststellen, dass diese Vergleiche nicht aufgehört haben. Und wir werden nicht zulassen, dass der Zweck die Mittel immer wieder heiligt und jedes Tabu fällt, ohne Rücksicht auf das Leid derer, die im Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden.“
Deshalb wolle sie „nochmal an die Verbalnote des Auswärtigen Amtes erinnern, die wir vor wenigen Tagen abgesandt haben“. Dieser diplomatische Vorgang war allerdings in der Öffentlichkeit bisher nicht bekannt.
Der frisch gekürte SPD-Kanzlerkandidat und Parteichef Martin Schulz sagte am Montag im Sender n-tv: „Es ist nicht zum ersten Mal so, dass ich einen Nazi-Vergleich der Regierungschefin unseres Landes gegenüber zurückweisen muss.“ Was Erdogan mache, sei „eine dreiste Unverschämtheit“. Nichtsdestotrotz bleibe die Türkei „ein Schlüsselland in der Region, sie bleibt auch ein wichtiger Partner für die Bundesrepublik.“