Um den ewigen Zwist in der nächsten Legislaturperiode zu verhindern, fordern Netzpolitiker aller Fraktionen, was die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ schon vor drei Jahren empfohlen hatte: einen alleinigen Ansprechpartner in der Regierung, der digitale Themen auch am Kabinettstisch durchsetzen kann.
Lars Klingbeil, netzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, geht mit seinen Überlegungen am weitesten: „Es muss ein Ministerium geben, das die Koordination beim Thema Digitalisierung übernimmt“, fordert er. Klingbeil betont zwar pflichtbewusst, dass es nicht darum gehe, anderen Ministerien Themen wegzunehmen. „Aber es gibt gute Gründe für einen Digitalminister, der die Digitale Agenda der kommenden Jahre verantwortet und koordiniert.“
Wie würde so ein Ministerium konkret aussehen? „Die Aufgabe könnte ein neues Ministerium übernehmen – oder das Thema wird bei einem schon bestehenden Ministerium wie dem Wirtschaftsministerium angegliedert“, sagt Klingbeil. Genau jenem Wirtschaftsministerium also, das eine eigene Digitalstrategie entwirft und in den Bereichen anderer Ministerien wühlt.
Was das Wirtschaftsministerium in punkto digitales Zeitalter beschäftigt
Was bedeutet es überhaupt, wenn nicht mehr nur physische Produkte, sondern auch Daten zum zentralen Wirtschaftsfaktor werden?
Wie geht man regulatorisch mit Unternehmen und Anbietern um, die keine greifbaren bzw. realen Güter herstellen oder mit diesen handeln?
Was sagen Umsatzerlöse über einen Anbieter aus, dessen Geschäftsmodell im Kern Daten und nicht Entgelte sind?
Wie lässt sich verhindern, dass sich Märkte aufgrund von Datenkonzentrationen verschließen?
Wie stellen wir auf einem gemeinsamen Markt einheitliche Wettbewerbsbedingungen her, damit Online- und Offline-Akteure auf Augenhöhe konkurrieren können?
Wie verhindern wir Preisdiskriminierung und Preisdiktat?
Wie kommen wir Datenmissbrauch auf die Spur, und wie verhindern und sanktionieren wir ihn?
Was müssen wir tun, damit sich Unternehmen effektiv vor Wirtschaftsspionage, Daten- und Know-how-Diebstahl schützen können?
Wie bringen wir auch Plattformanbieter dazu, ihren Beitrag zum Aufbau der notwendigen digitalen Anschlüsse zu leisten, wo diese doch die Grundlage ihres Geschäftsmodells sind, obwohl sie selbst meist keine Anschlussinfrastruktur („letzte Meile“) besitzen?
Was müssen wir tun, damit auch Plattformen, die nicht selbst anbieten, sondern lediglich vermitteln, stärker in die Verantwortung für Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen genommen werden?
Wie sichern wir effektiv weitere grundlegende Rechte, wie z.B. das Urheberrecht, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das Recht auf Vergessen usw.?
Wie stellen wir eine schnellere regulatorische Reaktionszeit her, die mit der Schnelligkeit digitaler Entwicklungen Schritt hält?
Wie stellen wir sicher, dass Verbraucherinnen und Verbraucher souverän im Umgang mit ihren persönlichen Daten sind und bleiben? Das schließt auch ein, dass sie darüber verfügen können, wer im Besitz ihrer Daten ist.
Sind wir institutionell schlagkräftig genug aufgestellt, um eine Wettbewerbspolitik zu machen, die mit der wachsenden Macht großer Daten-, Internet- und Tech-Unternehmen angemessen umgehen kann?
Wie stellen wir sicher, dass global agierende digitale Unternehmen angemessen Steuern zahlen und sich damit an der Finanzierung von Infrastruktur und Gemeinwesen beteiligen?
Auch um solchen Gedankenspielen möglicherweise vorzubeugen, plädiert Thomas Jarzombek, netzpolitischer Sprecher der CDU/CSU, für eine andere Lösung. Jarzombek teilt Klingbeils Analyse, doch statt eines Digitalministers spricht er sich explizit für einen Staatsminister für Digitales aus – so wie es ihn heute schon für Kultur und Medien gibt. Der hätte zwar nicht die Macht eines Beamtenapparates hinter sich, dafür liefen die Bemühungen aller Ministerien zumindest in einer Person zusammen.
Es kommt auf die Einstellung an
Ob es einen Digitalminister, einen Staatsekretär für Digitales oder eine andere Lösung gibt, ist nach Ansicht vieler IT-Experten ohnehin zweitrangig. "Wichtig ist, dass die Digitalisierung eine politische Priorität geworden ist", sagt BVDW-Präsident Matthias Wahl. Ihm geht es darum, die digitalen Kompetenzen in einer Hand zu bündeln.
Während die Internet Economy Foundation um Ralph Dommermuth, Oliver Samwer und Rene Obermann explizit einen Digitalminister fordert, hat sich der Branchenverband Bitkom mittlerweile sogar mit der Aufteilung auf die verschiedenen Ressorts arrangiert. „Wettbewerb belebt das Geschäft“, sagt Joachim Bühler, der bei dem Verband für Wirtschaft und Politik zuständig ist.
Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Grünen, dagegen ärgert sich bis heute, dass es keinen zentralen Ansprechpartner gibt. Die Mitglieder der Enquete-Kommission hätten sich vor drei Jahren fraktionsübergreifend darauf verständigt, dass es zumindest eine Person am Kabinettstisch braucht, die digitalpolitische Belange koordiniert. „Leider hat die Bundesregierung das in den Wind geschlagen – und jeder kocht nun sein eigenes netzpolitisches Süppchen.“
Was dabei herauskommt, beschreibt Wolfgang Heer vom Bundesverband Glasfaseranschluss, wenn er die Fortschritte der Regierung beim Breitbandausbau kommentiert: „Insgesamt hat sich da schon etwas getan“, sagt er. „Das ist aber nicht wegen einer besonderen Breitband-Politik passiert – sondern trotzdem.“