Niedersachsens Linke Chaostruppe oder reif für Rot-Rot-Grün?

Im Westen wird die Linke oft als Chaotenpartei verlacht. Thematisch ist sie dort der SPD und den Grünen aber viel näher als in Berlin. Die Spitzenkandidatin bringt sich schon mal für ein linkes Bündnis in Stellung.

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„Wir sind offen für Gespräche mit der SPD und den Grünen.“ Quelle: dpa

Hannover Bisher haben die Linken noch in keinem westdeutschen Bundesland in der Landesregierung gesessen - das könnte sich nach der Wahl in Niedersachsen am kommenden Sonntag ändern. Sollten sie wieder in den Landtag einziehen, was nicht sicher ist, und SPD und Grüne nicht zu knapp abschneiden, könnte es für eine rot-rot-grüne Mehrheit womöglich doch noch reichen. Die Stimmung im Bund hat diese Konstellation nach Einschätzungen von Experten wahrscheinlicher gemacht.

SPD-Chef „Martin Schulz hat mit seiner Absage an eine große Koalition in Berlin die Weichen der SPD auf einen Linkskurs gestellt - mit einer Betonung klassischer sozialdemokratischer Herzensthemen“, sagt der Demokratieforscher Matthias Micus von der Universität Göttingen. „Insofern läge ein Linksbündnis im niedersächsischen Landtag im Trend.“

Der Graben zwischen linken und bürgerlichen Parteien sei in Niedersachsen generell tiefer als auf Bundesebene, erklärt der Politikprofessor Nils Bandelow von der Technischen Universität Braunschweig. Bandelow hat den digitalen Wahlhelfer Niedersachs-O-Mat mitentwickelt. Demnach stimmen SPD und Linke bei mehr als der Hälfte ihrer Positionen überein, Grüne und Linke noch bei deutlich mehr.

Die niedersächsische Linke möchte gegen Kinder- und Altersarmut vorgehen. Sie fordert mehr staatlich finanzierte Wohnungen für Geringverdiener, mehr gesetzliche Feiertage und einen Stopp der Schließung verlustbringender Krankenhäuser. Finanzieren möchten sie dies durch eine Wiedereinführung der Vermögensteuer auf Bundesebene - die auch SPD-Linke seit Jahren fordern.

Die Niedersachsen kennen Linke-Politiker vor allem aus Kommunalparlamenten. Erfahrung in einem größeren Parlament haben nur drei Kandidaten. In Westdeutschland haben SPD und Grüne jedoch noch nie mit der Linken zusammen regiert. Das hängt auch mit ihrer Entstehungsgeschichte zusammen: Die Linke enstand durch den Zusammenschluss der Partei der PDS, der Nachfolgepartei der DDR-Einheitspartei SED, mit der Wahlalternative WASG, die viele Ex-Sozialdemokraten vereinte, die sich nach den Hartz-Gesetzen enttäuscht von der SPD abgewandt hatten. Hinzu kommt: „In den alten Bundesländern haftet der Linken das Image an, eine chaotische Protestpartei zu sein, die nicht regieren kann“, sagt Micus. Der CDU-Herausforderer bei der Landtagswahl, Bernd Althusmann, hält sie für so gefährlich wie die AfD.

Auf Bundesebene verschrecken die Linken andere Parteien mit ihrem russlandfreundlichen Kurs und Forderungen nach einem Nato-Austritt. „Bei SPD- und Grünen-Politikern besteht die weit verbreitete Sorge, bei Wahlen einzubüßen, wenn sie für ein rot-rot-grünes Bündnis werben“, sagt Micus. Nicht ganz zufällig begann der Absturz des damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Schulz in den Umfragen nach der verlorenen Saarland-Wahl im vergangenen März, bei der die SPD ein rot-rotes Bündnis nicht ausgeschlossen hatte.

In Niedersachsen hat sich Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) von einer rot-rot-grünen Koalition zwar distanziert, eindeutig ausgeschlossen hat er sie aber nicht. Ob die Linke die Fünfprozenthürde und damit die Rückkehr in den Landtag allerdings überhaupt schafft, steht laut neusten Umfragen auf der Kippe. Bei der Bundestagswahl holte die Partei in Niedersachsen immerhin 6,9 Prozent der Zweitstimmen, ein Plus von 1,9 Prozent.

Spitzenkandidatin Anja Stoeck bringt ihre Partei schon mal für eine mögliche Koalition in Stellung: „Wir sind offen für Gespräche mit der SPD und den Grünen“, sagte die 51-jährige Physiotherapeutin der Deutschen Presse-Agentur. „Wenn (Ministerpräsident) Weil wirklich das tun wird, was er im Wahlkampf verspricht, dann ist das schön.“

Sie hofft, das Zünglein an der Waage sein zu können - denn eine Ampelkoalition von SPD, Freidemokraten und Grünen hat FDP-Chef Stefan Birkner ausgeschlossen und die Bildung einer großen Koalition könnte durch die Abneigung zwischen SPD und CDU erschwert werden.

Allerdings könnte das Kopf-Kopf-Rennen zwischen den beiden großen Parteien am Ende die Linke Stimmen kosten. „Viele links-gesinnte Wähler werden nun eher das SPD-Lager unterstützen, um eine CDU-geführte Regierung zu verhindern“, erwartet Bandelow.

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