Schlusswort

Deutschlands Infrastruktur verliert den Kampf gegen den Verfall

Auf Verschleiß fahren? So geht Deutschland mit seiner Infrastruktur um. Professionelles Management dringend gesucht...

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BER: Bauarbeiter laufen durch den Flughafen Berlin Brandenburg Quelle: dpa

Der Vergleich ist fast zehn Jahre alt, hat aber für Furor gesorgt. Der Pulitzerpreisträger und Kolumnist der „New York Times“, Thomas Friedman, war durch die Welt gereist und kehrte mit dieser Erkenntnis zurück: „Wenn alle Amerikaner mal nach Berlin fahren könnten, um den luxuriösen Hauptbahnhof mit der schmuddeligen und maroden Penn Station in New York zu vergleichen, sie würden schwören, wir hätten den Zweiten Weltkrieg verloren.“

Inzwischen hat sich einiges verändert. Vor allem müssen die Amerikaner schon mit dem Zug in Berlin ankommen, um diesen Schluss zu ziehen. Wer geflogen kommt, landet in Tegel. Der Flughafen geht seit Jahren mit einer riesigen Überlast um und fertigt drei Mal so viele Passagiere ab wie eigentlich vorgesehen. Alles, weil der seit 2011 zur Eröffnung anstehende neue Flughafen nicht fertig wird. Und wenn er fertig wird, ist er gleich wieder zu klein. So lässt sich kein Blumentopf gewinnen.

In dieser Woche hat der Chef des Berliner Flughafens einen verräterischen Satz gesagt: „Wir fahren Tegel bewusst weiter auf Verschleiß.“ Das scheint für die deutschen Infrastrukturinvestitionen insgesamt Programmatik zu sein, und zwar auf allen Ebenen: Bund, Länder, Kommunen.

Wer in der Ferienreisezeit wieder einmal Stunden in den Infrastrukturstaus festsitzt, kriegt nicht nur Brückenschmerzen. Er gelangt auch zu der Erkenntnis: Wir sind längst dabei, den Kampf gegen Verschleiß und Verfall zu verlieren. Die Investitionen in die Infrastruktur sind in Deutschland von etwa fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts 1970 auf etwa zwei Prozent heute gefallen. Im selben Zeitraum hat sich die Last, die Brücken, Autobahnen und Verkehrsknotenpunkte tragen müssen, vervielfacht. Besonders drastisch zeigt sich der Verfall in den Kommunen und ländlichen Gebieten. Nach Zahlen der KfW gibt es dort eine Investitionslücke von 126 Milliarden Euro. Das ist kein Schlagloch in der Straße Richtung Zukunft, sondern ein gähnender Abgrund.

Verrückt ist: Geld gibt es nämlich genug. Es findet nur keine Verwendung. „Wir können zurzeit das Geld, was wir haben, nicht ausgeben“, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel. Recht hat sie, nur ist das leider keine Entschuldigung für die politischen Versäumnisse. Die wird kein „Planungsbeschleunigungsgesetz“ (CDU) und keine Verpflichtung zu öffentlichen Investitionen im Grundgesetz (SPD) als Wahlkampfhilfe ausgleichen. Mehr Bürokratie, um mangelnde Bürokratie zu verbessen? Oh Graus.

Die Politik sollte sich aus Planung und Management der Infrastrukturprojekte raushalten und sie professionellen Managerinnen und Managern überlassen. Die schaffen es fast überall auf der Welt, Flughäfen, Brücken und Straßen in der vorgesehenen Zeit fertigzustellen. Dafür wird dann schnell und vielleicht sogar auch mal nachts gearbeitet. Wenn das nicht gelingt, wird Reisen in Deutschland bald zum logistischen Nonsens. Das klappt vielleicht bei „Alice im Wunderland“. Aber die geht auch durch einen Spiegel und nicht über eine deutsche Brücke.

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