CDU, CSU, FDP und Grüne kommen bei ihren Sondierungen für ein Jamaika-Bündnis nur in kleinen Schritten voran. Gegenseitige Vorwürfe machen die Gespräche über knifflige Themen wie Migration, Energie, Verkehr, Klima, Agrar oder Finanzen nicht einfacher. So warf die CSU den Grünen am Mittwoch erneut mangelnde Kompromissbereitschaft vor. Die Grünen stünden praktisch bei allen Themen auf der Bremse, sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. Die Union sei dagegen kompromissbereit, es gebe aber klare Linien.
Die Gespräche über das Thema Migration und Familiennachzug gerieten am Mittwoch ins Stocken. Die CSU beharrte darauf, dass die Gefahr bestehe, dass bis zu 750.000 Angehörige von Flüchtlingen nach Deutschland nachziehen könnten. Sie widerspreche damit allen bekannten Studien, hieß es in Teilnehmerkreisen. Deren Zahlen liegen deutlich niedriger.
Für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus ist der Nachzug von Angehörigen bis März 2018 ausgesetzt. Die Grünen wollen danach den Nachzug wieder ermöglichen. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte Union und FDP auf, dies zuzulassen. Niemand werde in Frage stellen, dass Familien zusammengehören, das müsse auch für Flüchtlinge gelten, sagte sie insbesondere an die Adresse der Union. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner sagte der „Passauer Neuen Presse“ (Mittwoch): „Der Familiennachzug muss auf wenige individuelle Härtefälle beschränkt bleiben, solange es kein Regelwerk für die Einwanderung und Rückführung von Migranten ohne Aufenthaltsrecht gibt.“ Auch gelungene Integration müsse eine Rolle spielen. „Ich sehe da keine Möglichkeit, den Grünen weiter entgegenzukommen.“
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) betonte auf der Weltklimakonferenz in Bonn die Bedeutung der Kohlestromreduzierung für den Klimaschutz. Kohle und insbesondere die Braunkohle müssten einen „wesentlichen Beitrag“ zur Erfüllung der Klimaziele leisten, sagte sie und fügte hinzu: „Aber wie genau das ist, das werden wir in den nächsten Tagen miteinander ganz präzise diskutieren müssen.“
Das Thema gehört zu den größten Streitpunkten bei den Jamaika-Sondierungen. Mit Blick auf Klimaziele und Kohleausstieg betonten die Grünen, ihnen seien die Arbeitsplätze keinesfalls egal. Und auch die Versorgung mit Strom müsse sichergestellt werden, sagte Göring-Eckardt. Dennoch müssten die Klimaschutzziele erreicht werden.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt warf den Grünen vor, in der Verkehrspolitik auf „Uraltforderungen aus der grünen Mottenkiste“ zu beharren und die Autofahrer bevormunden zu wollen. Der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, hielt ihm daraufhin Verantwortungslosigkeit in den Sondierungen vor. „Die tagtäglichen Dobrindt-Stänkereien lassen doch nur den Schluss zu, der will das Scheitern der Gespräche“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
Trotz der Nickligkeiten gibt es aber auch Fortschritte - etwa bei der Landwirtschaft. Nach Angaben von CDU-Vizechefin Julia Klöckner verständigte sich die zuständige Arbeitsgruppe trotz anhaltender Differenzen über die Höhe der EU-Mittel für die Bauern. Einig seien sich die Partner auch über den Einsatz von weniger Chemie in der Landwirtschaft, sagte die CDU-Unterhändlerin der dpa.
Nach Informationen von „Stuttgarter Zeitung“ und „Stuttgarter Nachrichten“ (Donnerstag) soll es bei Erwerbsminderungsrenten Verbesserungen geben. Davon profitieren Beschäftigte, die wegen gesundheitlicher Einschränkungen vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden.
Soli und Subventionen: Kernpunkte der Jamaika-Haushaltssondierungen
Die Jamaika-Unterhändler bekennen sich grundsätzlich zum ausgeglichenen Haushalt. Sie wollen also keine neuen Schulden aufnehmen. Das wäre ohnehin schwierig, weil die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse dem Bund seit 2016 die Aufnahme von Krediten weitgehend verwehrt. Nur in geringem Umfang von 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung sind neue Schulden erlaubt. Bezogen auf das Bruttoninlandsprodukt 2016 entsprach das etwa 10,97 Milliarden Euro. Für „Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen“ ist ausnahmsweise auch eine höhere Schuldenaufnahme erlaubt, für die aber ein Tilgungsplan erstellt werden muss.
Die potenziellen Koalitionäre wollen keine neuen Substanzsteuern, schließen also die im Grünen-Wahlprogramm geforderte Vermögenssteuer aus. Für Union und FDP ist sie ein rotes Tuch. Auch eine Erhöhung der Erbschaftsteuer wäre wohl unwahrscheinlich. Andere Substanzsteuern wie etwa die Grundsteuer auf Grundstücke erhebt der Staat schon heute.
Hier sollen unter anderem Familien mit Kindern profitieren.
Die verhandelnden Parteien wollen den „Soli“ abbauen. Die FDP will ihn in der aktuellen Wahlperiode komplett abschaffen, und zwar möglichst schnell. Die Union will stufenweise vorgehen. Die Grünen halten das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts ohne den Soli hingegen nicht für machbar. Die Abschaffung würde eine Lücke in den Staatshaushalt reißen: Der Solidaritätszuschlag spülte 2016 insgesamt 16,9 Milliarden Euro in die Staatskasse.
Gebäude verursachen in Deutschland etwa 35 Prozent des Energieverbrauchs und 30 Prozent des Ausstoßes des Treibhausgases CO2. Investitionen zum Beispiel in eine bessere Wärmedämmung oder in moderne Heizkessel könnten in Zukunft besser von der Steuer abgesetzt werden.
Hier wollen die möglichen Jamaika-Partner den Mangel an Mietwohnungen angehen. Investoren könnten dann etwa ihre Kosten teilweise steuerlich absetzen. Auch landwirtschaftliche Flächen sollen dazu für den Wohnungsbau freigegeben werden.
Vor allem Unternehmen sollen die Anschaffungskosten für bewegliche Wirtschaftsgüter wie Maschinen oder Fahrzeuge stärker von der Steuer absetzen können. „Degressiv“ bedeutet, dass Güter mit längerer Nutzungsdauer in immer geringerem Umfang abgesetzt werden können. AfA steht für „Absetzung für Abnutzungen“.
Firmen, die in Forschung und Entwicklung investieren, sollen ihre Aufwendungen zum Teil steuerlich absetzen können.
Auf Betreiben der Grünen sollen vor allem staatliche Hilfen auf den Prüfstand, die den Klimazielen widersprechen. FDP-Generalsekretärin Nicola Beer nannte als mögliches Beispiel aber auch die Förderung von Elektroautos, weil davon vor allem Besserverdiener profitieren würden.
Nach Einschätzung von Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) hängt die Empfehlung zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen an Kompromissen in wenigen zentralen Punkten. Bei den entscheidenden Verhandlungen in der Nacht zum Freitag werde es am Ende bei den Parteichefs um etwas mehr als eine Hand voll Kernforderungen gehen. Dazu zählte er die Themen Finanzen, Migration, Klimaschutz und Verkehr.
Mit Blick auf die außenpolitische Handlungsfähigkeit sagte Kauder, Deutschland könne keine Sonderrolle einnehmen, sondern müsse im europäischen Konzert mitspielen. Umstritten bei den Verhandlungen mit FDP und Grünen seien etwa die Anschaffung und der Einsatz von militärischen, bewaffneten Drohnen.
Die Jamaika-Unterhändler verständigten sich auf das Ziel, einen verbindlichen Bund-Länder-Pakt für den Rechtsstaat zu schließen und so das Vertrauen der Menschen in die Demokratie zu stärken. Dazu sollten „so schnell wie möglich zusätzliche Stellen für die polizeilichen Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern sowie für das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI)“ geschaffen werden, heißt es in einem Papier zu den Themen Innen, Sicherheit und Rechtsstaat, das den aktuellen Sondierungsstand wiedergibt.
Die Jamaika-Unterhändler peilen an, dass der Bund für Polizei und Sicherheit etwa 7500 zusätzliche Stellen schaffen soll. Weitere 2000 zusätzliche Stellen werden in der Justiz von Bund und Ländern für nötig erachtet. Zudem wolle man die Digitalisierung der Justiz „mit einheitlichem Standard auf höchstem Sicherheits- und Datenschutzniveau konsequent vorantreiben“.