Syrien-Konflikt Trumps 180-Grad-Wende – und die Folgen

Die Mehrheit der Deutschen hält den US-Luftschlag für falsch und auch die deutschen Regierungsparteien äußern sich besorgt über die Folgen des Angriffs. Könnten die USA die Nato-Partner in den Syrien-Konflikt ziehen?

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US-Präsident Donald Trump spricht nach dem jüngsten Angriff auf eine syrische Militärbasis davon, den dortigen Präsidenten Baschar al-Assad aus dem Amt jagen zu wollen. Quelle: AP

Mit dem US-Luftangriff auf einen syrischen Luftwaffenstützpunkt hat US-Präsident Donald Trump eine 180-Grad-Wende in der Syrien-Politik vollzogen. Die 59 Tomahawks erhöhen die Brisanz massiv: Wie reagiert Russland auf den US-Angriff in Syrien? Könnten die USA die Nato-Partner in den Syrien-Konflikt ziehen?

In Deutschland wachsen die Sorgen nach Trumps militärischem Eingreifen. „Bereits im Wahlkampf und jetzt bei den Haushaltsberatungen hat Präsident Trump dem Militärischen absolute Priorität eingeräumt“, sagte der für Außenpolitik zuständige stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich dem Handelsblatt. Allerdings habe Trump bisher die Fähigkeiten der Streitkräfte in Frage gestellt und den Wählern versprochen, die USA nicht in internationale Krisenherde zu verwickeln. „Beides scheint nicht mehr zu gelten“, sagte Mützenich.

Ob sich daraus eine „beständige Kategorie“ herausschäle, bleibe abzuwarten. „Wichtiger ist aber die Frage, ob die militärischen Schritte einer politischen Gesamtstrategie unterliegen“, sagte Mützenich. „Das kann man bezweifeln, nachdem die politischen Prioritäten innerhalb weniger Tage umgekehrt wurden.“ Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU Fraktion, Jürgen Hardt, sagte dem Handelsblatt: „Die Reaktion Amerikas ist nachvollziehbar und hat möglicherweise Schlimmeres verhindert.“ Allerdings gab Hardt zu: „Durch die Ereignisse in der vergangenen Woche ist eine diplomatische Lösung des Konflikts noch schwieriger geworden.“

Eine friedliche Zukunft Syriens, in der Assad – wie von Russland gewünscht – eine Rolle spiele, sei noch unwahrscheinlicher geworden. Dennoch müssten jetzt alle diplomatischen Kanäle aktiviert werden, um auf Assad und seine Unterstützer einzuwirken. „Die Nibelungen-Treue Putins für Assad kennt offenbar keine Grenzen. Nicht einmal das Giftgasmassaker an unschuldigen Kindern kann ihn davon abbringen“, kritisierte Hardt.

Nicht nur die Politik, auch die deutsche Bevölkerung ist verunsichert – und sehen Trumps Vorgehen kritisch. Nur 26 Prozent der Deutschen halten den Angriff laut einer Emnid-Umfrage für die „Bild am Sonntag“ für richtig. 80 Prozent sind danach der Meinung, dass der Angriff eine einmalige Aktion der USA bleiben sollte. Nur neun Prozent sind dagegen für weitere Luftschläge. Fast jeder zweite Deutsche (40 Prozent) fürchtet nun einen militärischen Konflikt zwischen den USA und Russland, der Schutzmacht der syrischen Regierung von Präsident Baschar al-Assad.

Die USA hatten in der Nacht auf Freitag als Reaktion auf einen Giftgaseinsatz in der syrischen Provinz Idlib einen Militärstützpunkt der syrischen Armee angegriffen. Im „Tagesspiegel“ fordert Gabriel wie am Samstag Bundeskanzlerin Angela Merkel verstärkte Anstrengungen für eine politische Lösung des Syrien-Konflikts. „Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wird durch Teile seiner Mitglieder entwertet, die eine Lösung blockieren und so für mehr Unsicherheit als für Sicherheit sorgen“, kritisierte der SPD-Politiker, ohne Länder beim Namen zu nennen. Russland hatte eine Resolution gegen den Giftgaseinsatz verhindert. Sowohl Merkel als auch Gabriel hatten die US-Luftangriffe als „nachvollziehbar“ bezeichnet.

In der „Bild am Sonntag“ kritisierte Gabriel den Einsatz von Giftgas als „schweres Kriegsverbrechen“ und „Akt der Barbarei“. Es sei sehr plausibel, dass die syrische Regierung dahinter stecke. „Ich bin sicher, dass Assad über kurz oder lang für diese Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden wird. Assad hat seine Zukunft jedenfalls bereits hinter sich.“ Die Regierung in Damaskus hat die Vorwürfe zurückgewiesen.


Was ist mit der Nato?

In den vergangenen Tagen hatte es zwischen den USA und den Europäern eine Debatte über die Zukunft des syrischen Präsidenten gegeben. Während etwa Merkel ein politische Lösung ohne Assad forderte, war die US-Regierung zunächst von dieser früher gemeinsamen Position abgerückt. Nach dem Giftgaseinsatz erklärte die Regierung in Washington einen Sturz von Assad wieder zur Priorität.

Doch was bedeutet das für die Nato-Partner? In der Bündniszentrale in Brüssel hält man sich bislang bedeckt. Offene Kritik an Bündnispartnern ist innerhalb der Nato ohnehin Tabu. „In der Einigkeit liegt Stärke“, lautet einer der Leitsprüche der Militärallianz. Dass dieses Bestreben um Einigkeit zu einer Beteiligung der Nato an möglichen weiteren Militäraktionen gegen die syrischen Streitkräfte führt, ist allerdings unwahrscheinlich. Voraussetzung dafür wäre die Zustimmung von allen 28 Nato-Staaten – und diese konnten sich bislang nicht einmal auf eine direkte Beteiligung der Nato am Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verständigen.

Vor allem Länder wie Deutschland haben Bedenken, dass ein deutlich stärkeres Bündnisengagement in der Region die bestehenden Konflikte noch weiter verschärfen oder zumindest Friedensbemühungen erschweren könnte. Sollte sich die Nato an Militäreinsätzen gegen die Streitkräfte des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad beteiligen, könnte sogar eine gefährliche Konfrontation mit den Assad-Unterstützern Russland und Iran drohen.

Nato-Generalsekretär Stoltenberg hat deswegen derzeit die schwierige Aufgabe, Worte zu wählen, die nach Einigkeit klingen und keinen Partner verärgern. So verwies er in seiner Stellungnahme zu dem US-Angriff auf den syrischen Luftwaffenstützpunkt darauf, dass die Verantwortlichen für Chemiewaffen-Einsätze zur Rechenschaft gezogen werden müssten. Mit keinem Wort wurde allerdings gesagt, dass der Vergeltungsschlag der USA angemessen und richtig war.


Vier mögliche Entwicklungen

Grundsätzlich herrscht unter Diplomaten und Experten große Unsicherheit, was dieser Schritt für die Entwicklung im syrischen Bürgerkrieg, im Verhältnis zu anderen Mächten wie Russland, aber auch für Konfliktherde wie Nordkorea bedeutet. Diskutiert werden mehrere mögliche Szenarien.

1. Variante: Eskalation in Syrien

Deutsche Politiker wie Außenminister Sigmar Gabriel warnen vor einer Ausweitung des Konflikts. Denn anfangs hatte die US-Regierung noch von einem einmaligen Militärschlag gesprochen. Dann aber warnte die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Nikki Haley, dass die USA weitere Schritte gehen könnten, sollte es einen erneuten Giftgaseinsatz geben. Möglicherweise müsste Trump tatsächlich erneut reagieren, sollte es einen neuen Zwischenfall geben, glaubt ein EU-Diplomat. Zu den Befürchtungen einer militärischen Eskalation passt, dass die russische Regierung auch die Kommunikation mit der US-Luftwaffe über Angriffe beider Länder auf Stellungen der islamistischen Extremistenmiliz IS ausgesetzt hat. Diese ist wichtig, um Kollisionen von Kampfjets beider Staaten zu verhindern. Zugleich hat Moskau angekündigt, die Luftabwehrfähigkeit der syrischen Armee aufzustocken und eine Fregatte mit Lenkwaffen vor die syrische Küste verlegt. Laut einer Emnid-Umfragen fürchten 40 Prozent der Deutschen eine Konfrontation der beiden Atommächte – die Gabriel allerdings nicht erwartet.

2. Variante: Ein Schlag muss reichen

Eine andere Annahme lautet, dass Trump sein politisches Ziel mit dem Angriff mit begrenzten Schäden für die syrische Luftwaffe bereits erreicht hat und es dabei belassen wird. So sagt der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Volker Perthes, im Interview mit dem Handelsblatt, dass es dem US-Präsidenten um die Demonstration ging, dass harten Worten manchmal auch harte militärische Aktionen folgen – wenn Trump das Überschreiten einer roten Linie sieht, die er zuvor aber nicht klar definiert hat.

Innenpolitisch erntete Trump Zustimmung quer durch die politischen Reihen, weil er nach Meinung etwa von US-Senator John McCain eine entschlossene Haltung zeigte – und gerade keine Rücksicht etwa auf Russlands oder Chinas Meinung nahm. Und diese Unberechenbarkeit müssten seine internationalen Gegner ab jetzt ins Kalkül einbeziehen, glaubt Perthes. Kritiker glauben allerdings, dass hinter dem Angriff keine Strategie, sondern ein rein situatives Verhalten steckt: So schildert die „Washington Post“, wie sehr sich Trump bei seiner Entscheidung zum Angriff von den Bildern der getöteten Kinder beeindrucken ließ. „Was Trump mit seinen Marschflugkörpern wirklich erreichen will, wissen wir nicht. Vielleicht weiß er es selber nicht“, sagte Sönke Neitzel, Militärexperte der Universität Potsdam, in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.

3. Variante: Chance für politische Lösung

Es gibt allerdings auch EU-Diplomaten, die auf einen paradoxen Effekt setzen: Auch wenn die russische Regierung sehr kritisch reagiert habe, gebe es gerade jetzt die Chance auf eine politische Lösung. Denn Moskau habe sich schon 2013 unzufrieden mit dem Verbündeten Assad gezeigt, weil dieser in Verbindung mit Giftgaseinsätzen gebracht wurde. Damals sorgte der Druck vor allem aus Moskau dafür, dass Assad die meisten Chemiewaffenbestände vernichten ließ. Und Russland habe zwar seit 2015 seine militärische Präsenz in Syrien erhöht und mit dem Astana-Prozess die Zuständigkeit für Friedensgespräche an sich gezogen, sagt ein Diplomat. Aber letztlich sei Moskau dabei genauso gescheitert wie zuvor der Westen. Nun hätten sich die USA im Konflikt als Hauptakteur zurückgemeldet. Damit sei für Putin klar, dass es keinen echte Chance mehr auf einen militärischen Sieg des Assad-Regimnes gebe – denn Trump hat innerhalb einer Woche auch die Position zur politischen Zukunft Assads revidiert.

4. Variante: Es geht gar nicht im Syrien

Eine andere Interpretation des Luftschlages geht davon aus, dass sich die US-Regierung in einem schnellen Lernprozess befindet und durchaus einen größeren strategischen Ansatz verfolgt. Für diese These sprechen etwa Personalentscheidungen wie die Entfernung des rechtskonservativen Ideologen Steven Bannon aus dem nationalen Sicherheitsrat zugunsten von Experten aus Geheimdiensten und dem Militär. Sein neuer nationaler Sicherheitsberater Herbert Raymond McMaster gilt zudem nicht als ideologischer Hasardeur wie sein Vorgänger Michael Flynn.

Die Trump-Außenpolitik ist nach dieser Deutung, die auch Anhänger unter deutschen Diplomaten hat, nach Wochen der Irritation auf den traditionellen US-Weg eingeschwenkt: Die Bedeutung der Nato wird wieder betont, Trump hat seine isolationistischen Äußerungen aus dem Wahlkampf korrigiert.

Dazu gehört auch, dass sich die neue härtere Sprache keineswegs nur auf Syrien bezieht. So hat Trump in den Beziehungen zu Russland die eigentlich angestrebte Verbesserung vorläufig wieder beendet – wohl auch aus innenpolitischen Gründen, weil ihm eine zu enge Verbindung zu Moskau vorgeworfen wird. Im Ukrainekonflikt hat Trump an den Sanktionen gegen Russland festgehalten. Zudem sieht SWP-Direktor Perthes eigentlich Nordkorea im Zentrum der amerikanischen Überlegungen. Denn das dortige Regime besitzt Atomwaffen und arbeitet daran, Raketen mit Reichweiten bis in die USA zu entwickeln – es sei also anders als der syrische Machthaber Assad eine direkte Bedrohung. Am Wochenende schickte die US-Marine einen Flugzeugträgerverband vor die koreanische Küste.

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