Thomas Straubhaar "Wir Ökonomen sollten demütiger sein"

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„Die Wirtschaft muss das Grundeinkommen finanzieren“

Sie selbst haben in Mexiko-City eine Zeitlang gleichzeitig an einer kleinen Elite-Uni sowie an der größten Hochschule Lateinamerikas unterrichtet. Wie haben Sie die dortige Ungleichheit erlebt?

Hautnah. Und ich kann nur sagen: Nirgendwo ist die Kluft zwischen Arm und Reich tiefer und breiter als in Lateinamerika.

Was lernten Sie dort?

Einerseits erlebte ich eine gewisse Hoffnungslosigkeit an der Massenuni bei meinen Studierenden, die einfach schon ahnten, dass sie mit ihrem Studium später nicht wirklich reich werden können. Dabei waren sie genauso gut wie die an der Elite-Einrichtung, wo Studierende bereits mit dem eigenen Porsche oder SUV vorfuhren. Es war völlig klar, dass diese junge Elite später – nicht zuletzt ihrer politischen Macht wegen – das Erbe ihrer ohnehin schon reichen Eltern weiter mehren würde.

Sollten Ökonomen also öfter mal raus in die Wirklichkeit wie Sie?

Unbedingt. Ich habe diesen Vorwurf früher immer meiner eigenen Frau gemacht. Sie ist Lehrerin, und ich sagte gern: Du selber warst auf der Schule, an der Uni, nun gehst du wieder zur Schule und hast eigentlich viel zu wenig der Alltagsrealität deiner Schüler und Schülerinnen sowie von deren Eltern gesehen und selber erfahren. Vielen Kollegen meiner Zunft kann man diesen Vorwurf ebenso wenig ersparen. Wir Ökonomen sollten demütiger und realitätsnäher sein. Auch weil sich politische Entscheidungen eben nicht nur ökonomisch erklären lassen, sondern natürlich unglaublich viel mit normativen Urteilen zu tun haben, mit Werten, Moralvorstellungen, über die man am Ende nur sehr begrenzt rational diskutieren kann.

Sie meinen den Einfluss von Religionen und Ideologien?

Viel einfacher und naheliegender: Ich habe mich mit meinen Studierenden mal in einem Seminar über Kosten und Nutzen einer EU-Mitgliedschaft gestritten. Es gibt natürlich endlos viele makroökonomischen Studien und komplexe Simulationsrechnungen darüber, wieviel Prozent Wachstum etwa der Brexit kosten würde – die Briten wie uns. Da meldeten sich etliche Studierende, die sagten: So what? Für uns gibt’s Wichtigeres als drei Prozent Wachstum mehr oder weniger: Friede, keine Wehrpflicht mehr, Freizeit, Familie, Reisefreiheit vom Atlantik bis zur Schwarzmeerküste oder vom Nordkap bis Sizilien. Mit ökonomischen Modellen lässt sich das alles gar nicht erfassen.

Was ist der revolutionärere Trend: Globalisierung oder Digitalisierung?

Die Digitalisierung ist die Fortsetzung der Globalisierung mit anderen Mitteln, deshalb bestehen zwischen beiden Megatrends extrem viele Parallelen. Die Globalisierung sorgte dafür, dass weltweit Abermillionen zusätzlicher Arbeitskräfte in einen Wettbewerb getreten sind mit den Facharbeitern hierzulande. Genau dasselbe wird mit der Digitalisierung nun erneut passieren. Der Unterschied zur Digitalisierung ist lediglich: Künftig ist mein Konkurrent kein Asiate mehr, sondern ein Algorithmus oder ein Roboter. Beide Megatrends sorgen dafür, dass sich die Kapitalrentabilität stärker als die Arbeitsrentabilität – also der Reallohn – entwickelt. Die Löhne kommen unter Druck, während sich die Besitzer der Roboter über höhere Renditen freuen können.

Interessanterweise gibt es im Angesicht der zu erwartenden Umwälzungen selbst im Silicon Valley neuerdings eine wachsende Zahl von Befürwortern eines bedingungslosen Grundeinkommens. Fühlen Sie sich denen nah?

Durchaus. Zumal ich schon als junger wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Berner Uni verstand, dass die Soziale Marktwirtschaft in idealer Weise Effizienz auf dem Markt mit sozialem Ausgleich verbindet. Bei Alfred Müller-Armack hieß das einst „Soziale Irenik“, also Harmonie. Auch im Silicon Valley wird nun verstanden: Die Tech-Konzerne müssen sich die Zustimmung jener, die den von ihnen provozierten Wandel nicht so schnell mitmachen können, politisch erkaufen. Im Prinzip ist das nichts anderes als eine Anwendung des Grundprinzips der Sozialen Marktwirtschaft…

… der auch Sie mit dem Grundeinkommen eine neue Basis zementieren wollen. Schreien da im Fall des Silicon Valley nun aber nicht die Gleichen nach Staatshilfe, die diesen Staat sonst mit großer Leidenschaft ablehnen und uns die ganze Disruption eingebrockt haben?

Es ist ja nicht der Staat, der das Grundeinkommen finanziert, sondern die Wirtschaft – Amazon, Facebook, Google & Co. inklusive. Im Trump’schen Sinne ist das ein Deal: Mach mir den Markt frei, dann lasse ich dich teilhaben und sorge für dein Existenzminimum…

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