Thomas Straubhaar "Wir Ökonomen sollten demütiger sein"

Der Hamburger Ökonom Thomas Straubhaar über die Lehren und die Leere des G20-Gipfels, europäischen Protektionismus, die Chancen der Digitalisierung und das Wunderrezept Grundeinkommen.

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Der Präsident des Hamburger Weltwirtschafts-Instituts (HWWI), Thomas Straubhaar, ist empörte über die traurigen Resultate des G20-Gipfels. Quelle: dpa

Vor einer Woche markierte die Brauerei-Gaststätte „Altes Mädchen“ im Hamburger Schanzenviertel so etwas wie die Grenze zwischen den Großmächten und der Gewalt: Auf der einen Seite trafen sich die G-20-Gipfelteilnehmer in den Messehallen und auf der anderen Seite die Gegner samt Schwarzem Block. Hier hat das Handelsblatt im Rahmen seines Wirtschaftsclubs nun mit dem deutsch-schweizerischen Ökonomen Thomas Straubhaar und über 100 Leserinnen und Lesern diskutiert – weit über den Gipfel und seine Krawalle hinaus.

Herr Straubhaar, der Hamburger G20-Gipfel ist jetzt eine Woche vergangen. Die Aufräumarbeiten sind noch lange nicht abgeschlossen. Wie haben Sie das Treffen erlebt – als Wahl-Hamburger, aber auch als Ökonom?

Als Bürger war ich entsetzt über die Gewaltexzesse, als Ökonom empörten mich die traurigen Resultate, denn eigentlich zeitigte der ganze Gipfel ja nur zwei Ergebnisse. Erstens: Die nach wie vor größte Weltmacht, die USA, wurde weiter isoliert. Das kann für die Zukunft der Weltwirtschaft nicht gut sein. Zweitens: Am Rande des Gipfels stellten die EU und Japan die Weichen in Richtung des bilateralen Regionalismus und beerdigten damit das für die Nachkriegszeit prägende Konzept des Multilateralismus. Sie einigten sich auf ein neues Freihandelsabkommen, inklusive Schiedsgerichten, die hier in Deutschland bislang so vehement abgelehnt wurden. Das ist schon sehr heuchlerisch.

Was haben Sie gegen diese Annäherung?

Ich finde es erstaunlich, wie hier zu Lande jahrelang erbittert gegen TTIP gekämpft wurde. Und wenn der Partner nicht USA heißt, sondern Japan, regt sich plötzlich keinerlei Widerstand mehr? Dabei sind Freihandelsabkommen a priori protektionistisch, weil sie immer andere Staaten diskriminieren. In diesem Fall kommt noch dazu, dass gerade Japan und die EU zu den stärksten Protektionisten überhaupt gehören. Sie betreiben mit der Unterbewertung von Yen und Euro Protektionismus auf höchstem Niveau. Dagegen ist Donald Trump ein Waisenknabe.

Sie haben den US-Präsidenten andernorts auch schon als Avantgardisten bezeichnet…

… weil er tiefsitzende Strömungen und Ängste, die es nicht nur in seinem Land, sondern auch in Europa gibt, als Erster politisch zu nutzen wusste, ja. Aber was Protektionismus angeht, ist er wirklich Oldschool, wenn er es mit Strafzöllen etwa auf Stahl probiert. Da kann er von Japan und der EU viel lernen. Hier tritt ein amerikanisches Luftgewehr gegen eine europäisch-japanische Bazooka an. Denn beide sich nun als große Vorkämpfer für den Freihandel aufspielende Partner haben ja ihre Währungen, Euro und Yen, mit aller Macht und sehr gezielt abgewertet. Eine Abwertungsstrategie ist keine punktuelle Bedrohung für einzelne Branchen, wie Trump das versucht, sondern für komplette Volkswirtschaften. In so einer Situation ein neues Freihandelsabkommen als großen Fortschritt zu verkaufen, zeugt schon von großem Zynismus. Wir Europäer sollten uns wirklich zuallererst an die eigene Nase fassen und zunächst einmal unsere eigenen europäischen Hausaufgaben erledigen, bevor wir auf der globalen Ebene etwas erreichen wollen, wofür es derzeit schlicht keinen Konsens gibt.

Zum Beispiel?

Sorgen wir doch erstmal für eine effizient funktionierende, nachhaltig stabile Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, bevor wir andere an den Pranger stellen!

Ist das nicht verrückt, dass ausgerechnet wir Gewinner der Globalisierung ihr mittlerweile derart argwöhnisch bis verhasst entgegentreten?

Ja, das ist in der Tat paradox! Gerade auch als Neoliberaler war ich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Sieg des Kapitalismus über den Kommunismus viel zu euphorisch, dass sich Demokratie und Marktwirtschaft gemeinsam von alleine durchsetzen und die Welt überall zum Besseren verändern würden.

Globalisierung hat die Armut nicht getilgt, aber in vielen Teilen der Welt doch zurückgedrängt…

… und etwa die Lebenserwartung nicht nur in Afrika enorm gesteigert. Stimmt. Dennoch ist sie auch für Fehlentwicklungen verantwortlich, die sich nur schwer wieder einfangen lassen. Spätestens seit der Finanzkrise 2007/2008 musste man erkennen, welche Probleme da völlig neu entstehen – auch durch zu starke Deregulierung der Finanzmärkte. Die Empirie ist da eindrucksvoll deutlich: Die Einkommenssituation innerhalb der Länder hat sich stark polarisiert.

In Deutschland doch nicht.

Selbst hier gibt es solche Effekte. Die Spanne zwischen jenen, die am meisten und jenen, die am wenigsten verdienen, ist nicht geringer, sondern größer geworden.

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