Türkische Wahllokale in Deutschland erlaubt Die zwei Seiten der Medaille

Die türkische Regierung wirbt in Deutschland nicht nur für Erdogans Verfassungsreform, sie möchte auch Wahllokale eröffnen. Die Bundesregierung will das der Türkei erlauben – allerdings nur unter bestimmten Bedingungen.

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Peter Altmaier, der Chef des Bundeskanzleramtes, hatte den Ton hinsichtlich eines Einreiseverbots für türkische Spitzenpolitiker verschärft: „Dass die Bundesregierung bisher nicht ihre völkerrechtliche Möglichkeiten ausgeschöpft hat, ist keine Freikarte für die Zukunft.“ Quelle: dpa

Berlin Vor einigen Tagen gab es Post im Auswärtigen Amt. Aus der Türkei flatterte eine Liste ins Haus an der Adenauerallee. Darauf vermerkt waren alle türkischen Politiker, die im Rahmen des Wahlkampfes für das Verfassungsreferendum in der Türkei, nach Deutschland reisen wollen – auf dringende Bitte von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hin. Rund 30 Termine waren darauf vermerkt.

Dabei hätte man eigentlich den Eindruck gewinnen können, dass das Papier bald obsolet ist. Peter Altmaier, Chef des Bundeskanzleramtes, hatte den Ton hinsichtlich eines Einreiseverbots für türkische Spitzenpolitiker verschärft: „Dass die Bundesregierung bisher nicht ihre völkerrechtliche Möglichkeiten ausgeschöpft hat, ist keine Freikarte für die Zukunft.“ Ein Einreiseverbot sei das letzte Mittel, aber das behalte man sich auch vor.

Von einer Deeskalation, wie sie die EU und die Nato fordern, wollte Ankara nichts wissen. Am Dienstag zielte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mit seiner Kritik direkt auf Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Verehrte Merkel, Du unterstützt Terroristen“, sagte Erdogan am Montagabend mit Blick auf die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK in einem Interview des türkischen Senders A Haber.

Deutschland gehe nicht gegen die PKK vor, obwohl sie diese zur Terrororganisation erklärt habe. Zudem „verstecke“ Deutschland Mitglieder von „Terrororganisationen“. In Berlin bezeichnete Regierungssprecher Steffen Seibert Erdogans Vorwurf als „erkennbar abwegig“.

Mit einer deutlichen Drohgebärde will die Bundesregierung trotzdem nicht reagieren. Dafür zu sorgen, dass die in Deutschland lebenden wahlberechtigten Türken keine Möglichkeit haben, ihre Stimme auch hier in Deutschland abzugeben, hätte sicherlich nicht zu einer Deeskalation beigetragen. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes teilte jetzt mit: „Die Bundesregierung hat gestern der türkischen Regierung die Information übermittelt, dass türkische Staatsangehörige in Deutschland am Verfassungsreferendum hier auf deutschem Boden teilnehmen dürfen.“

Für Erdogan ist das wichtig. In Deutschland leben 1,4 Millionen Menschen mit türkischem Pass, die traditionell Erdogan und die AKP sehr stark unterstützen. Bei der Präsidentenwahl im August 2014 konnte der türkische Ministerpräsident in Deutschland 68,8 Prozent der Stimmen verbuchen – deutlich mehr als sein Gesamtergebnis, das bei 52,2 Prozent lag.

Jetzt sagte die Bundesregierung der Türkei zu, dass sie für die Durchführung des Verfassungsreferendums vom 16. April auf deutschem Boden Wahllokale eröffnen darf. In der Vergangenheit war das in Deutschland und in europäischen Nachbarstaaten bereits gängige Praxis gewesen. Das Auswärtige Amt sprach von einer Geste und einem Signal an Ankara, dass man „selbstverständlich zu unseren demokratischen Grundsätzen“ stehe.

Den Türken in Deutschland ist es damit möglich, in den türkischen Generalkonsulaten in deutschen Städten, sowie in gesonderten Wahllokalen in Dortmund, München, Hannover und Nürnberg ihre Stimme zum Verfassungsreferendum abzugeben.


„Diese völlig deplatzierten NS-Vergleiche müssen aufhören“

Allerdings wurde der türkischen Botschaft gleichzeitig übermittelt, dass bei allen Veranstaltungen rund um die Wahlen in Deutschland die deutsche Rechtsordnung eingehalten werden müsse: „Es gibt aber zwei Seiten der Medaille. Wir verlangen von der türkischen Regierung, mit der gleichen Selbstverständlichkeit, dass sie sich ganz klar an deutsches Recht und deutsches Gesetz hält.“

Geschieht dies nicht, behält es sich die Bundesregierung vor, „alle notwendigen geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen zu ergreifen. um das sicherzustellen. Das schließt eindeutig ein, Überprüfungen etwa bereits erteilter Genehmigungen.“

Gemeint sind damit vor allem die verbalen Entgleisungen aus der Türkei, die Deutschland oder anderen europäischen Ländern Nazi-Methoden unterstellen. Regierungssprecher Steffen Seibert verdeutlichte dazu abermals: „Diese völlig deplatzierten NS-Vergleiche müssen aufhören.“ Dabei verweist die Bundesregierung auf den Paragrafen 90a im deutschen Strafgesetzbuch,  der die Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole oder Herabwürdigung des Staates und seiner Symbole beziehungsweise Tätliche Angriffe auf Hoheitszeichen unter Strafe stellt.

Dass die Genehmigung für die türkischen Wahllokale zurückgenommen wird, erscheint jedoch unwahrscheinlich. Ein Auftrittsverbot für türkische Politiker läge eher im Bereich des Möglichen. Rechtlich machbar wäre folgendes: Das Bundesverfassungsgericht hatte zuletzt klargestellt, dass Deutschland „Staatsoberhäuptern und Mitgliedern ausländischer Regierungen“ die Einreise nicht erlauben muss. Weder aus dem Grundgesetz noch aus dem Völkerrecht lasse sich ein genereller Einreiseanspruch ableiten. In ihrer Zuständigkeit für auswärtige Angelegenheiten müsse die Bundesregierung dem zustimmen.

Abzuwarten bleibt, ob die schärfere Tonart die Türkei beeindrucken wird. Zumindest dürfte der türkischen Regierung ein Auftrittsverbot für ausländische Politiker nicht fremd sein. So teilte das Auswärtige Amt mit, dass man es mit Verwunderung zur Kenntnis genommen habe, dass es in der Türkei bulgarischen Politikern nicht gestattet worden sei, Wahlkampfveranstaltungen für die Parlamentswahlen ihres Landes durchzuführen.

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