WirtschaftsWoche: Frau Reiske, vor zwei Jahren haben Sie an Ihrer Bielefelder Grundschule Glücksunterricht auf den Lehrplan der vierten Klasse gesetzt. Warum?
Reiske: Im Glücksunterricht beschäftigen wir uns vor allem mit den Fragen: Was will ich? Was kann ich? Wo liegen meine Interessen? Was stelle ich mir für mein Leben vor? Wer seine eigenen Stärken kennt, dem wird auch später die Berufswahl leichter fallen. Und ein gesundes Selbstbewusstsein hilft als Vorbereitung auf die Leistungsgesellschaft, in die die Schüler hineinwachsen.
Zu den Personen
Martina Reiske (56) studierte Deutsch und Theologie für die Primarstufe in Münster. Nach dem Referendariat für Grund- und Hauptschule arbeitete sie zunächst in verschiedenen pädagogischen Bereichen. Seit 1991 ist sie als Lehrerin tätig. 2003 übernahm sie die Leitung der Sudbrackschule in Bielefeld, einer Grundschule mit 360 Schülern.
Gerhard Mengelkamp (60) studierte Germanistik und Katholische Theologie an der Westfälischen Wilhelms Universität Münster. Nach seinem Referendariat gründete er eine Finanzdienstleistungsberatung in Bochum und leitete diese als Geschäftsführer. 1994 wechselte er an ein Berufskolleg in Lünen, um Deutsch und Religion zu unterrichten. 2001 kam er ans Placida Viel Berufskolleg in Menden. Seit 2004 ist er dort als Didaktischer Leiter für die Unterrichtsentwicklung zuständig.
Wie läuft so eine Glücksstunde genau ab?
Reiske: Zunächst einmal gibt es keine Noten und keinen Leistungsdruck. Die Kinder ziehen vor der Tür ihre Schuhe aus, laufen durch einen bunten Bogen in die Klasse und sitzen in einem Kreis zusammen. In der Mitte liegen Glückskekse und Kleeblätter. Zum Abschluss darf ein Kind mit Konfetti werfen, nach dem Motto: „Lass es Glück regnen!“ Ein gemeinsamer Beginn und Abschluss mit wiederkehrenden Ritualen ist uns wichtig.
Und was machen Sie inhaltlich?
Reiske: Verschiedene Übungen zur Stärkung des Selbstbewusstseins. Die Kinder packen sich zum Beispiel gegenseitig „Glücksrucksäcke“: Sie kleben sich Plakate auf den Rücken und schreiben darauf, was sie aneinander mögen. Oder sie führen ein Glückstagebuch, in dem sie festhalten, was sie Positives erlebt haben.
Herr Mengelkamp, Sie lehren Glück an einem Berufskolleg. Dort läuft der Unterricht bestimmt anders ab.
Mengelkamp: Klar, meine Schüler sind ja im Schnitt bereits 20 Jahre alt. Hier geht es eher darum, die Schüler lebenstüchtig zu machen. Glück klingt ja ein bisschen esoterisch, es geht aber um ganz Pragmatisches.
Und zwar?
Mengelkamp: Wir malen zum Beispiel eine „Lebenspizza“. Jedes Pizzastück symbolisiert einen Lebensbereich, zum Beispiel Arbeit oder soziale Beziehungen. Wir überlegen uns dann: Wie sind diese Lebensbereiche bei mir verteilt? Und wie wäre die ideale Verteilung?
Geht es auch um Berufsvorbereitung?
Mengelkamp: Genau, aber nicht im Sinne von konkreter Berufsberatung, das gibt es ja schon. Wir schreiben unsere Visionen auf: Was ist die beste Vorstellung von meinem Leben? Wohin will ich? Die Schüler sollen groß denken. Wir setzen uns dann mehrere kleine Ziele, um das große Ziel zu erreichen. Dazu überlegen wir uns: Was muss ich tun, um meine Ziele umzusetzen? Und nach der Umsetzung kommt die Reflexion.
Sie sind also nicht nur Lehrer, sondern auch Life Coach.
Mengelkamp: Ein Stück weit ja. Wir werden mit vielen Aufgaben betraut, die früher die Eltern stärker wahrgenommen haben. Aber wir haben ja auch einen umfassenden Bildungsauftrag. Es geht nicht nur darum, Fachwissen zu vermitteln, sondern auch zu erziehen und Anleitung zu einer verantwortungsvollen Lebensgestaltung zu geben. Deshalb entspricht das auch meinem Selbstverständnis als Pädagoge.