Urteil zur Erbschaftsteuer

Hartz IV für Reiche

Christian Ramthun
Christian Ramthun Redakteur Wirtschaft & Politik (Berlin)

Die Umsetzung des Karlsruher Urteils zur Erbschaftsteuer bereitet den Finanzbeamten Kopfzerbrechen - und der Wirtschaft Bauchgrimmen.

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Erben bekommen Schonfrist
Erbschaftssteuer kann vorläufig ausgesetzt werdenViele Erben in Deutschland können sich nach einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs vorläufig von der Erbschaftssteuer befreien lassen. Bis zu einer Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts über das geltende Erbschaftssteuergesetz müssten die Erbschaftssteuerbescheide auf Antrag des Steuerzahlers ausgesetzt werden, teilte das oberste deutsche Steuergericht mit (Az.: II B 46/13). Voraussetzung dafür ist aber ein berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen. Dies liegt nach Auffassung der Richter auch dann vor, wenn der Erbe die fällige Steuer nicht aus seinen flüssigen Mitteln zahlen kann, sondern zum Beispiel ein geerbtes Haus verkaufen müsste, um seiner Steuerpflicht nachzukommen. Allerdings müssen die Erben nach Angaben eines Sprechers des Bundesfinanzhofs in diesem Fall sechs Prozent Zinsen pro Jahr für die fällige Erbschaftssteuer zahlen. In den meisten Fällen dürfte die Aussetzung der Steuer daher für die Steuerpflichtigen nicht attraktiv sein, erläuterte er. Quelle: dpa
Keine Hotelsteuer fürs FrühstückHoteliers müssen trotz des umstrittenen Steuerprivilegs für Übernachtungen für das Frühstück den vollen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent berechnen. Der Bundesfinanzhof (BFH) wies damit eine Klage einer Unternehmerin zurück, die in ihrem Hotel auch für das Frühstück den seit 2010 geltenden, niedrigeren Steuersatz von sieben Prozent angesetzt hatte (Az.: XI R 3/11). Wie das höchste deutsche Finanzgericht am 4. Dezember in München mitteilte, gelte der vor drei Jahren von der CDU/FDP-Koalition eingeführte ermäßigte Mehrwertsteuersatz nur für Leistungen, „die unmittelbar der Beherbergung“ dienten. Quelle: dpa
Ehepartner müssen Steuer für geschenkte Ferienwohnung zahlenSchenken sich Ehepartner ein Haus oder eine Wohnung, ist diese Zuwendung nur dann von der Schenkungssteuer befreit, wenn die Familie auch in der Immobilie wohnt. Für Zweit- oder Ferienwohnungen werden dagegen Schenkungssteuern fällig, wie der Bundesfinanzhof in einem am 6. November veröffentlichten Urteil (Az.: II R 35/11) entschied. Die Steuerbefreiung für Familienwohnheime müsse einschränkend ausgelegt werden, weil der Gesetzgeber den „gemeinsamen familiären Lebensraum“ von Eheleuten schützen wollte. Für eine Steuerbefreiung, die Schenkungen auch von Zweit- und Ferienwohnungen erfasst, fehle es insoweit an einer Rechtfertigung, heißt es in der Urteilsbegründung. Quelle: dpa
Puff ist kein HotelWer „Erotik“-Zimmer in einem Bordell an Prostituierte vermietet, muss dafür den vollen Steuersatz zahlen. Ein Puff sei kein Hotel, für das ein ermäßigter Steuersatz gelte, entschied der Bundesfinanzhof (BGH) in einem am 23. Oktober in München veröffentlichten Urteil (Az.: V R 18/129). Das Gericht verwies darauf, dass Bordelle im Gegensatz zu Hotels keine Zimmer zur „Beherbergung“ vermieteten, sondern Prostituierte in den Räumen ihren „gewerblichen Tätigkeiten“ nachgingen. Im Streitfall hatte ein Bordellbetreiber sogenannte Erotikzimmer an Prostituierte zum Tagespreis von bis zu 170 Euro vermietet und bei der Umsatzsteuer den ermäßigten Steuersatz für Hotels angewandt. Quelle: dpa
Kein Geld vom Finanzamt für HobbyautorenEin Hobbyautor kann seine Verluste bei Buchveröffentlichungen zunächst nicht von der Steuer absetzen. Das hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz entschieden. Der Kläger, ein Logopäde, wollte über die Einkommensteuererklärung vom Finanzamt Geld zurückbekommen, das er in den Aufbau einer Existenz als Buchautor gesteckt hatte. Insgesamt ging es um rund 11.000 Euro. Als die Behörde ablehnte, klagte er. Allein die Hoffnung, für den Literaturmarkt entdeckt zu werden, reicht nach Ansicht der Richter nicht für eine steuerliche Anrechnung. Gegen das am 7. Oktober in Neustadt an der Weinstraße veröffentlichte Urteil ist Berufung möglich (Az.: 2 K 1409/12). Nach Angaben des Gerichts hatte der Mann unter anderem mit einem Verlag einen Autorenvertrag geschlossen und einen Druckkostenzuschuss bezahlt. Das deute aber genauso wie das Thema des Buchs daraufhin, dass der angehende Autor „private Interessen und Neigungen“ statt beruflicher Absichten verfolge, begründeten die Richter ihre Entscheidung. Außerdem habe ein schlüssiges Geschäftskonzept gefehlt. Quelle: dpa
Steuervorteil für Leiharbeitnehmer bei FahrtkostenLeiharbeitnehmer können die Fahrten zu ihrem Einsatzort in vollem Umfang als Werbungskosten steuerlich geltend machen. Für sie gilt nicht nur die hälftige Entfernungspauschale, wie der Bundesfinanzhof (BFH) in einem am Mittwoch in München veröffentlichten Urteil entschied (Az.: VI R 43/12). Damit gaben die obersten Finanzrichter einem Zeitarbeiter aus Baden-Württemberg recht. Er war auf „unbestimmte“ Zeit bei einer Firma in der Schweiz eingesetzt. Die Wege dorthin setzte er in seiner Steuererklärung in voller Höhe für Hin- und Rückweg als Werbungskosten an. Demgegenüber meinte das Finanzamt, es gelte die nach dem einfachen Weg bemessene Entfernungspauschale. Der BFH gab nun dem Leiharbeitnehmer recht. Dieser sei mit einem Arbeitnehmer vergleichbar, der für längere Zeit bei einem bestimmten Kunden seines Arbeitgebers arbeitet. Für diese sei bereits höchstrichterlich entschieden, dass sie ihre Fahrten voll als Werbungskosten geltend machen können. Denn sie könnten sich nicht wie reguläre Arbeitnehmer dauerhaft auf bestimmte Arbeitswege einrichten. Diese Rechtsprechung sei auch für Leiharbeitnehmer anwendbar, heißt es in dem neuen Münchener Urteil. Quelle: dpa
Steuern für selbstgenutzte FerienimmobilienWer mit einem Gestaltungstrick bestimmte Steuern auf eine spanische Ferienimmobilie sparen will, muss im Gegenzug Einkommensteuer auf eine „verdeckte Gewinnausschüttung“ zahlen. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit einem am 2. Oktober in München veröffentlichten Urteil entschieden. (Az.: I R 109/10) Das Steuerrecht lag früher bei Deutschland, seit 2013 bei Spanien. Bislang war es verbreitete Praxis, dass Interessenten an einer Ferienimmobilie in Spanien diese nicht direkt, sondern über eine spanische Kapitalgesellschaft gekauft haben. Dadurch können die Käufer spanische Wertzuwachs- und Erbschaftssteuern sparen. So hatte auch im Streitfall eine vierköpfige deutsche Familie für 1,23 Millionen Euro ein 1000 Quadratmeter großes Grundstück mit Einfamilienhaus und Swimmingpool auf Mallorca gekauft. Formal erwarb allerdings eine „Sociedad Limitada“ das Objekt. Dies entspricht einer deutschen GmbH, an der die Familienmitglieder jeweils zu einem Viertel die Anteile besaßen. Das ganze Jahr über nutzte die Familie das Anwesen. Und dafür muss sie nun Einkommensteuer bezahlen, urteilte der BFH. Denn die kostenlose Nutzung bedeute eine „verdeckte Gewinnausschüttung“ durch die spanische Kapitalgesellschaft. Im Streitfall hatte das Finanzamt eine Gewinnausschüttung von 78.000 Euro pro Jahr geschätzt und diese den Mitgliedern der Familie jeweils zu einem Viertel zugerechnet. Dies hat der BFH nun im Kern bestätigt. Gegebenenfalls könne die Familie aber Steuern mindernd ansetzen, die sie bereits in Spanien gezahlt hat. Quelle: dpa

"Meine Sorgen sind keineswegs zerstreut", sagt der Hamburger Lack- und Kosmetikfabrikant Reinhold von Eben-Worleé. Müssen seine Töchter beim nächsten Stabwechsel im 164 Jahre alten Familienbetrieb Zigmillionen Euro an den Fiskus blechen? Womöglich Anteile an fremde Investoren abgeben, um die Steuerschuld zu begleichen?

Für von Eben-Worleé und Tausende andere Unternehmer hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaftsteuer „für mehr Verwirrung als Klarheit gesorgt“. Genau den gleichen Effekt gibt’s auch im politischen Berlin. Seit Wochen rotieren die zuständigen Beamten von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und machen sich Gedanken, wie sie die vom höchsten Gericht bemängelten Verschonungsregeln für Unternehmensübertragungen verfassungsfest machen können.

Eine „minimal-invasive“ Lösung, die Schäubles Abteilungsleiter Michael Sell bei einer Veranstaltung der Stiftung Familienunternehmen Anfang Januar ins Spiel gebracht hat, wird es wohl nicht geben. In diesen Versuchsballon pikste sogleich Verfassungsrichter Michael Eichberger.

Klar scheint, dass es bei großen Unternehmensübertragungen eine Bedürfnisprüfung geben wird. Wie bei der Beantragung von Hartz IV oder Bafög. Der Fiskus soll ermitteln, ob der Empfänger die fällige Erbschaft- oder Schenkungsteuer aus seinem sonstigen Vermögen bezahlen kann, also ohne die Firma anzugreifen. Was aber zählt dazu? Auch die Villa, die womöglich auf den Namen des Ehepartners eingetragen ist?

Wie Betriebsnachfolger ihren Steuervorteil selbst berechnen können

Ist die Bedürftigkeit festgestellt – was gestandene Unternehmer wie von Eben-Worleé schon semantisch als ehrenrührig empfinden dürften –, stellt sich die Frage nach dem nächsten Schritt. Eine Verschonung ist bei großen Vermögensübertragungen nicht selbstverständlich. „Man muss auch über Stundungen nachdenken“, sagt der grüne Bundestagsabgeordnete Thomas Gambke. Die Grünen haben bei der Reform über den Bundesrat ein Mitspracherecht.

Mehr Sympathie als für die großen Quandts und Haniels haben die Grünen für die kleinen Bäcker und Schreiner. Dass nach dem Karlsruher Urteil auch Betriebe mit weniger als 20 Beschäftigten ihr Personal über fünf oder sieben Jahre stabil halten sollen, um von der Erbschaftsteuer verschont zu werden, findet Gambke kritisch. Er sieht deren Flexibilität gefährdet.

Größe muss nach dem Karlsruher Urteil neu definiert werden – vor allem für die Großen. Sollen Schäubles Beamte für sie die Grenze bei 100 Millionen Euro Umsatz oder Übertragungswert ziehen? Auf den Tisch müssen auch Vorschläge zur künftigen Höchstgrenze für das erlaubte Verwaltungsvermögen aus Forderungen, Barem und bestimmten Immobilien. Darf der Fiskus künftig nur die Erben von Unternehmen verschonen, wenn der Anteil des Verwaltungsmögens maximal 15 statt 50 Prozent des Betriebsvermögen beträgt?

Entschieden ist im Bundesfinanzministerium noch nichts. Das kann bei dieser brisanten Materie nur einer: Schäuble selbst. Er muss aus dem Reformmenü auswählen, das ihm seine Beamten zusammenstellen. Schmecken muss es aber anderen. Vor allem den Ländern, denen die Steuer zugute-kommt. NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) etwa möchte „wieder dem Anspruch gerecht werden, reiche Erben angemessen an der Finanzierung unseres Gemeinwesens zu beteiligen“. Schwierig wird’s allemal, zumal Unions-Politiker wie der CSU-Abgeordnete Hans Michelbach am liebsten gar nichts ändern wollen.

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