Dem türkischen Präsident Tayyip Erdogan geht die wichtigste Plattform für Wahlkampfauftritte in Deutschland verloren. „Wir werden bis zum Referendum keine weiteren Veranstaltungen mit türkischen Regierungsvertretern organisieren“, sagte Zafer Sirakaya, Präsident der Union Europäisch-türkischer Demokraten (UETD) der WirtschaftsWoche, dies umfasse auch Veranstaltungen, wo diese formell als Privatpersonen aufträten.
Am 16. April wird in der Türkei über eine Verfassungsänderung abgestimmt, die dem Präsidenten weitreichende Befugnisse einräumen würde. Dabei sind auch die in Deutschland lebenden türkischen Staatsbürger wahlberechtigt. Unter ihnen ist der Anteil der AKP-Wähler traditionell größer als in der Türkei selbst.
Die UETD, ein formell parteiunabhängiger Verein, hatte die umstrittenen Auftritte türkischer Minister in Köln und Oberhausen organisiert, ebenso die letztlich abgesagten Veranstaltungen in Gaggenau und Hamburg-Wilhelmsburg. Man werde zwar weiterhin auf lokaler Ebene Informationsveranstaltungen zum Referendum organisieren, so Sirakaya, Gastauftritte türkischer Politiker werde es dabei aber nicht mehr geben.
Wann sind türkische Politiker in Deutschland aufgetreten?
Ministerpräsident Erdogan warnt die Türken in Deutschland vor zu viel Anpassung. „Assimilierung ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, sagt er vor etwa 16 000 Anhängern in Köln.
Bei seinem Auftritt vor rund 10 000 Menschen in Düsseldorf fordert Erdogan seine Landsleute zwar auf, sich zu integrieren, lehnt aber erneut eine völlige Anpassung ab: „Unsere Kinder müssen Deutsch lernen, aber sie müssen erst Türkisch lernen.“
Erdogan wirbt auf einer Veranstaltung unter dem Motto „Berlin trifft den großen Meister“ vor etwa 4000 Zuhörern um Stimmen für die bevorstehende Direktwahl des türkischen Präsidenten.
Nach dem Grubenunglück im türkischen Soma kritisiert Erdogan vor etwa 15 000 Anhängern in Köln die Berichterstattung in Deutschland. Erneut wirbt er für die Präsidentenwahl. Zur selben Stunde ziehen 45 000 Gegendemonstranten durch die Innenstadt.
Ministerpräsident Ahmet Davutoglu ruft in Berlin vor etwa 3000 Anhängern der AKP-Partei zu mehr Entschlossenheit im Kampf gegen Rassismus auf.
Im Vorfeld der Parlamentswahl in der Türkei fordert Staatschef Erdogan vor etwa 14 000 Anhängern in Karlsruhe, dass sich Menschen mit türkischem Migrationshintergrund integrieren, dabei aber Werte, Religion und Sprache ihrer Heimat bewahren.
Gut zwei Wochen nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei spricht Sportminister Akif Cagatay Kilic in Köln auf einer Pro-Erdogan-Demonstration vor bis zu 40 000 Menschen. Eine Live-Zuschaltung des Präsidenten auf Großleinwand wurde angesichts der aufgeheizten Stimmung zuvor verboten.
Ministerpräsident Binali Yildirim wirbt vor rund 10 000 Menschen in Oberhausen für die Einführung des Präsidialsystems in der Türkei. Am Referendum im April können sich auch rund 1,4 Millionen wahlberechtigte Türken in Deutschland beteiligen.
Aus Sicherheitsgründen verweigert die Stadt Gaggenau dem türkischen Justizminister Bekir Bozdag einen Wahlkampfauftritt. Die Stadt Köln lehnt eine Anfrage für einen Auftritt von Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci ab. Tags darauf platzt auch ein Auftritt Zeybekcis in Frechen bei Köln.
Die UETD gilt vielen als Plattform der türkischen Regierungspartei AKP in Europa, offizielle Verbindungen zwischen der UETD und der AKP gibt es aber nicht. Der Verein selbst sieht sich vor allem als Interessensvertretung der in Europa lebenden Türken gegenüber den Regierungen in der Türkei und in Europa. Dennoch war die UETD in der Vergangenheit bei allen bedeutenden Wahlkampfveranstaltungen der AKP in Deutschland als Veranstalter aufgetreten.
Die Absage kommt durchaus überraschend, da Politiker der AKP zuletzt wiederholt betont hatten, trotz der Absagen in der Vergangenheit an weiteren Auftritten festzuhalten. Sirakaya begründet die Absage einerseits mit den zunehmenden Spannungen innerhalb der deutschtürkischen Gemeinde. „Es hat inzwischen bereits elfmal Angriffe extremistischer Gruppen auf unsere Einrichtungen gegeben“, so Sirakaya. „Wir fordern deshalb, dass der deutsche Staat sich um unsere Sicherheit kümmert.“ Vor allem aber führt Sirakaya das gesellschaftliche Klima in Deutschland ins Feld, das aus seiner Sicht derzeit keine freie Meinungsäußerung mehr zulasse. „Unser Ziel ist es, den Menschen die Möglichkeit zu geben, sich über das Referendum zu informieren. Das ist derzeit leider nicht möglich.“
Die AKP ist bei der Organisation ihrer Wahlkampfauftritte zwar nicht zwingend auf die UETD angewiesen. Als die örtlichen Behörden Anfang des Monats einen Auftritt des Außenministers Mevlüt Cavusoglu im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg abgesagt hatten, wich der kurzerhand ins türkische Generalkonsulat aus.
Um jedoch eine breitere Gruppe unter den Deutschtürken zu erreichen, ist die Zusammenarbeit mit der UETD von großer Bedeutung. Zudem ist es nur so möglich, dass die AKP-Politiker in Deutschland formell als Privatpersonen auftreten. Würden die Auftritte vom Generalkonsulat organisiert, wäre das nicht mehr durchzuhalten. Als offizielle Vertreter des türkischen Staats müsste dann jedoch der Bund den Auftritten explizit zustimmen.