Von Pisa bis zum Föderalismus Die drei Mythen der deutschen Bildungspolitik

Lesen, schreiben, rechnen – oft hakt es an den Grundfertigkeiten bei deutschen Schülern und Schülerinnen. Quelle: dpa

Seit dem Pisa-Schock ist das deutsche Bildungssystem auf dem richtigen Weg, meinen viele Bildungspolitiker und Experten. Eine Reihe von Wirtschaftsdaten lassen daran aber zweifeln – und nicht nur an diesem Mythos.

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Die Aussichten für junge Schulabsolventen könnten besser kaum sein. In Deutschland herrscht nahezu Vollbeschäftigung, es gibt eine Million offene Stellen, darunter allein 237.500 Stellen im Mint-Bereich, wie der Arbeitgeberverband jüngst meldete. Ob Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften oder Technik - wer sich für ein Studium oder eine Berufsausbildung in diesen Bereichen entscheidet, hat im Anschluss besonders gute Jobaussichten. Und gut bezahlt sind die Jobs ohnehin, Mint-Absolventen steigen für gewöhnlich deutlich über dem durchschnittlichen Jahresgehalt ein.

PISA, TIMSS, IQB, IGLU, VERA - Schulvergleichstests im Überblick

Wie gesagt: Die Aussichten könnten besser kaum sein. Wären da nicht allerlei Probleme im deutschen Bildungssystem. Im Jahr 2015 brach rund ein Viertel der Azubis ihre Ausbildung ab, im Handwerk ist es ein Drittel. Auf dem Weg zum gelernten Friseur bleibt sogar die Hälfte auf der Strecke. Laut einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung brauchen zudem immer mehr Azubis im Handwerk „nachholenden Schulunterricht“. Lesen, schreiben, rechnen – oft hakt es an den Grundfertigkeiten. Deutschland riskiert sein wichtigstes Kapital, die Fachkräfte der Zukunft. Drei Mythen der deutschen Bildungspolitik.

1. Mythos: Nach Pisa wurde alles besser

Ohne Jürgen Zöllner hätte es den Pisa-Schock in Deutschland nie gegeben. 15 Jahre lang leitete der SPD-Mann das Bildungsministerium in Rheinland-Pfalz, fünf weitere Jahre war er Schulminister des Landes Berlin. Anfang des neuen Jahrtausends setzte sich Zöllner dafür ein, dass sich Deutschland an den Vergleichstest der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) beteiligt. „Wir brauchten damals den PISA-Schock“, sagt Zöllner im Rückblick. „Unterschwellig wussten wir alle, dass unsere Schulen nicht gut genug sind. Aber wir brauchten es endlich schwarz auf weiß.“

Danach floss mehr Geld ins Bildungssystem, die Schulen wurden besser und effizienter. Mittlerweile liegt Deutschland auf Rang 16 der 72 Pisa-Länder, solides Mittelfeld. Doch gut ist die Lage noch immer nicht, wie eine Studie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), eine Art nationales Pisa, im vergangenen Jahr zeigte. Während die Schüler im Osten der Republik sich in Sachen Rechtschreibung verbesserten, verschlechterten sich die Schüler in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen deutlich. Beim Lesen fiel Baden-Württemberg, einstige Bildungshochburg, im Vergleich zu der Erhebung 2009 von Platz drei auf Platz 13 zurück. Beim Zuhören rutschten die Baden-Württemberger von Platz zwei auf 14 ab, in der Orthografie von zwei auf zehn. Einst Spitzenreiter, jetzt nur noch unterer Durschnitt – der Absturz des Ländle ist eine Art zweiter Pisa-Schock.

Wie passt das zusammen? International holen deutsche Schüler auf, in nationalen Tests rutschen sie ab. Andreas Schleicher, Direktor für die Pisa-Studie bei der OECD hat eine Erklärung: „Der Abstand zwischen dem, was Schule leisten kann und was erwartet wird, hat sich vergrößert. Die deutsche Schule ist nicht schlecht, aber sie ist auch nicht so gut wie sie sein könnte“, sagt Schleicher. 

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