Vordenker im Osten Wie die sächsische CDU Populismus bekämpfen will

Michael Kretschmer Quelle: dpa Picture-Alliance

Ökonomische und soziale Verwerfungen gelten als Ursachen für den Erfolg von Populisten. Wer sich bei der CDU in Sachsen nach dem Erfolg der AfD erkundigt, hört andere Theorien. Eine Reportage.

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Die schwarze Limousine rollt langsam auf Dresden zu, als Kurt Biedenkopf über seine Zukunftspläne spricht. Draußen wird es dämmrig, es ist der Vorabend des zweiten Advents. Ein paar Stunden hat der 87-Jährige gemeinsam mit seiner Ehefrau Ingrid auf dem Landesparteitag der sächsischen CDU im grenznahen Löbau verbracht, nun sind beide bester Stimmung. Vielleicht, sagt der frühere sächsische Ministerpräsident und blickt vergnügt auf die Großstadtlichter am Horizont, werde man demnächst wieder häufiger in Dresden sein.

Eigentlich wohnt das Paar in einem großen Haus am Chiemsee, aber nun gibt es neben privaten auch politische Gründe, mehr Zeit in Sachsen zu verbringen. Der wichtigste heißt Michael Kretschmer, ist 42 Jahre alt, trägt einen rotbraunen Bart und ist neuerdings Ministerpräsident, also einer von Biedenkopfs Nachfolgern. Kretschmer soll verhindern, dass ein Vertreter der AfD nach der Landtagswahl im Sommer 2019 in die Staatskanzlei einzieht. Gelingt ihm das, wird die CDU ihn auf Händen tragen und sein Erfolgsmodell studieren. Allerdings lag die AfD bei der Bundestagswahl hier mit 27 Prozent knapp vor der Union. „Wenn wir helfen können, tun wir das“, sagt Ingrid Biedenkopf.

Wie konnte das passieren?

Dass die beiden über Achtzigjährigen eigens angereist sind, zeigt, wie ernst die Lage ist. In Sachsen geht es jetzt auch um eine Grundsatzfrage: Kann eine Volkspartei ihren populistischen Konkurrenten mit Sozialpolitik bekämpfen? Oder funktioniert eher eine offensive Wirtschaftsagenda, die den Mittelstand unterstützt? Ökonomische Umbrüche, der Verlust von Arbeitsplätzen oder die Angst davor, das sind Gründe für den Wahlerfolg der AfD – so eine weit verbreitete These.

Doch stimmt das überhaupt?

von Elisabeth Niejahr, Gregor Peter Schmitz

Die meisten Unionspolitiker rätseln noch, was genau diejenigen Wähler erwarten, die der CDU nach 27 Jahren ununterbrochener Regierungszeit im Land offensichtlich nicht mehr vertrauen. Bei seinen ersten öffentlichen Auftritten als Ministerpräsident gab Kretschmer meist der Kanzlerin und ihrer Flüchtlingspolitik die Schuld für das Wahldebakel: Es sei wichtig, nicht nur den Kurs zu korrigieren, sondern auch Fehler zuzugeben. Und zu versprechen, dass sie sich nicht wiederholen würden.

Die Umfragedaten aus Sachsen helfen ratlosen Christdemokraten momentan nicht weiter. Bei einer Untersuchung der Landeszentrale für politische Bildung gaben mehr als 90 Prozent der Befragten an, es sei eine dringende staatliche Aufgabe, die soziale Ungleichheit zu verringern. In den grenznahen Wahlkreisen, in denen die AfD besonders gut abschnitt, gibt es zwar keinen Jobmangel, aber die Löhne sind niedrig.

Prozent

„Schauen Sie hier mal an einem Montagmorgen auf die Autobahn, die A 4“, sagt Tino Chrupalla, Malermeister aus Gablenz. „Hier pendelt jeder Zweite.“ Eine Untersuchung ergab gerade, dass kaum irgendwo in Deutschland die Kaufkraft so gering ist wie rund um Görlitz, die Heimatstadt von Kretschmer. In anderen ostdeutschen Bundesländern greift die AfD solche Stimmungen auf und fordert mehr Sozialleistungen als bisher, ähnlich wie der französische Front National.

Doch die Sachsen ticken anders. „Für diejenigen, die in erster Linie mehr Umverteilung wollen, gäbe es ja ein politisches Angebot, aber das kommt nicht an“, sagt Antje Hermenau, heute Beraterin, zuvor grüne Bundestagsabgeordnete sowie Fraktionschefin ihrer Partei im Landesparlament. SPD und Linke sind für die Union keine Konkurrenz auf Augenhöhe.

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