Denn zwischen 1999 bis 2008 stiegen die Lohnstückkosten in Deutschland wesentlich langsamer an als im Rest der Währungsunion. Allerdings lag in dieser Phase die deutsche Arbeitslosenquote auch höher als im EWU-Durchschnitt. Im Jahr 2005 wies Deutschland eine Unterbeschäftigung von mehr als elf Prozent auf, zwei Prozentpunkte mehr als der EWU-Schnitt und höher als selbst in Griechenland, Spanien und Portugal. Deutschland war damals „der kranke Mann Europas“.
Die zurückhaltende Lohnpolitik der Tarifpartner kann als eine angemessene Reaktion auf das Ungleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt gewertet werden, wie sie in einer Währungsunion mit festen Wechselkursen erforderlich ist. Im Jahr 2007 sank die Arbeitslosenquote in Deutschland dann wieder unter den EWU-Durchschnitt, und seit 2008 steigen hierzulande die Lohnstückkosten schneller als in den anderen Euro-Ländern. Dieser Mechanismus funktioniert jedoch nicht überall: In Frankreich und Italien haben die Lohnstückkosten in den vergangenen Jahren kaum auf die überproportional hohe Arbeitslosigkeit reagiert.
Schwacher Ölpreis lässt Überschuss wachsen
Zum jüngsten Anstieg des deutschen Leistungsbilanzsaldos hat schließlich auch die Schwäche des Ölpreises einen wichtigen Beitrag geleistet. Zur Jahresmitte 2013 stand der Ölpreis noch bei rund 110 US-Dollar pro Barrel, der deutsche Leistungsbilanzüberschuss betrug 6,4 Prozent des BIP. Zwei Jahre später war der Preis für ein Fass Brent-Öl auf 50 US-Dollar gesunken und der Saldo der deutschen Leistungsbilanz auf plus 9,2 Prozent angestiegen. Das billigere Öl lässt den Wert der deutschen Einfuhren sinken und den Leistungsbilanzsaldo ansteigen.
Angela Merkels wirtschaftliche Bilanz
Die deutsche Wirtschaft steckt in einer ihrer längsten Aufschwungphasen: Sie dürfte 2017 bereits das achte Jahr in Folge wachsen, ein Ende des Booms ist vorerst nicht in Sicht.
Mit rund 2,5 Millionen registrierten Personen ist die Zahl der Arbeitslosen so niedrig wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr, die Zahl der Beschäftigten liegt mit 44,1 Millionen auf einem Höchststand.
Die Kaufkraft der Verbraucher ist drei Jahre in Folge gestiegen, weil die Löhne stärker kletterten als die Preise.
Der Geschäftsklima-Index des Münchner Ifo-Instituts als wichtigster Frühindikator für die deutsche Wirtschaft erreichte im Juli den dritten Monat in Folge ein Rekordniveau.
Das GfK-Konsumklima, das die Stimmung der Verbraucher misst, ist so gut wie seit 2001 nicht mehr. Ihre finanziellen Aussichten schätzen die Deutschen so positiv ein wie noch nie seit der Wiedervereinigung.
Der Staat dürfte 2017 zum vierten Mal in Folge schwarze Zahlen schreiben.
Die nominale und die reale Entwicklung des deutschen Außenhandels sind zuletzt auseinander gelaufen. Während in nominaler Rechnung die deutschen Exporte seit dem Jahr 2013 stärker angestiegen sind als die Importe, ist die Reihenfolge in realer Rechnung genau umgekehrt. Damit hat sich, zumindest wenn man die Preiseffekte herausrechnet, der Überschuss in der deutschen Handels- und Leistungsbilanz in den letzten drei Jahren nicht erhöht, sondern vermindert.
Zusammengenommen lässt sich die These, dass der Überschuss in der deutschen Leistungsbilanz vor allem auf einer übertriebenen Lohnzurückhaltung beruht, also nicht aufrechterhalten. Zwar spielt das – im Vergleich zur gesamten Wirtschaftsleistung – schwächere Wachstum von verfügbaren Einkommen und Konsumausgaben sicher eine Rolle. Ursache hierfür ist aber nicht ein geringeres Tempo der Lohnsteigerungen, sondern vor allem das Niedrigzinsumfeld, das die Entwicklung der Vermögenseinkommen dämpft.
Damit läuft auch die grundsätzliche Kritik am deutschen Wirtschaftsmodell, wie sie nicht zuletzt von angelsächsischer Seite zuletzt verstärkt zu hören war, ins Leere. Die Lohnzurückhaltung vor allem der Jahre 1999 bis 2007 war eine angemessene Reaktion der Tarifpartner auf die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland und hat – zusammen mit den Hartz-Reformen – einen wichtigen Beitrag zur Konjunkturerholung und dem kräftigen Beschäftigungswachstum der folgenden Jahre geliefert.
Wenn die gute Konjunktur in Deutschland weiter anhält und die Rohstoffpreise ihren leichten Aufwärtstrend fortsetzen, dann werden auch die Überschüsse in der deutschen Leistungsbilanz wieder abgebaut. Hektisches wirtschaftspolitisches Gegensteuern ist hier jedenfalls fehl am Platz.