Die EU hatte beste Absichten, als sie die Staubsauger-Verordnung verabschiedete. Staubsauger, so die Idee, sollten fortan leiser, umweltfreundlicher, langlebiger und effizienter arbeiten. Dafür legte Verordnung Nummer 666/2013 Richtwerte für Lautstärke, Staubemission, Haltbarkeit der Bauteile und den Energieverbrauch fest. Eigentlich eine gute Sache für den Verbraucher, bald würde er nur noch saubere und stromsparende Staubsauger im Angebot finden. Doch bei vielen EU-Bürgern kam die Verordnung ganz anders an.
Britische Verbraucherschützer warnten, bald gebe es die besten Staubsauger nicht mehr. Von einem „Bann“ besonders leistungsfähiger Staubsauger war daraufhin in seriöseren Zeitungen die Rede. Die Boulevardblätter waren weniger zurückhaltend. Sie wortspielten: „EU rules that suck“. Im Englischen bedeutet „suck“ aufsaugen – aber in der Vulgärsprache auch: „Das ist beschissen“.
Aus einer sinnvollen Verordnung war innerhalb weniger Tage die Nachricht der nimmersatten Regulierer und Bürokratie-Akrobaten aus Brüssel geworden – wieder einmal. Ob Vorschriften für Seilbahnen, vermeintliche Dekolleté-Verbote oder der Klassiker von der angeblichen Vorschrift für die Krümmung von Gurken: Immer steht die EU als Geld und Freiheit vernichtendes Bürokratiemonster da, das mit dem Leben der Leute nichts mehr zu tun hat.
Die fünf großen Baustellen der EU
Die Folgen des globalen Finanzbebens 2008 spalten Europa bis heute - wirtschaftlich und politisch. Während europäische Statistiker für Deutschland zuletzt auf 4,2 Prozent Arbeitslosigkeit kamen, waren es für Griechenland 23,5 Prozent. Das überschuldete Land will finanzielle Freiräume, um die Wirtschaft anzukurbeln. Bei einem Südgipfel holte sich Athen jetzt Rückendeckung von Italien und Frankreich. Nicht nur deutsche EU-Politiker fordern strikte Sparsamkeit und reagieren gereizt. Aber auch Österreichs Bundeskanzler Christian Kern meint, der Sparkurs sei die eigentliche Ursache für die zunehmend antieuropäische Stimmung.
Der Zustrom von Hunderttausenden reibt die Gemeinschaft politisch auf. Hier verlaufen die Risse nicht nur zwischen Nord und Süd, sondern auch zwischen Ost und West. Beschlossen ist eine Verteilung von bis zu 160.000 Asylsuchenden aus den Anlandestaaten Italien und Griechenland in der EU. Erledigt waren aber bis Juli gerade einmal gut 3000 Fälle - 2213 Schutzsuchende aus Griechenland und 843 weitere aus Italien.
Die EU-Kommission drängelt, doch vor allem die Visegrad-Staaten Ungarn, Slowakei, Tschechien und Polen weigern sich. Stattdessen verlangen sie schärferen Grenzschutz. Das trieb nun offenbar Asselborn zu seiner Breitseite gegen die Regierung in Budapest. „Wer wie Ungarn Zäune gegen Kriegsflüchtlinge baut oder wer die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz verletzt, der sollte vorübergehend oder notfalls für immer aus der EU ausgeschlossen werden“, sagte Asselborn der „Welt“ (Dienstag). Die Grenzzäune würden immer höher. „Ungarn ist nicht mehr weit weg vom Schießbefehl gegen Flüchtlinge.“
Die islamistischen Anschläge in Frankreich, Belgien und zuletzt auch in Deutschland haben Lücken bei Absprachen und Austausch offenbart. Die Verunsicherung ist groß, die Forderung nach einer engeren Zusammenarbeit laut. Und es gibt Querverbindungen zum Flüchtlingsstreit: Vor allem nach den Anschlägen eines mutmaßlichen Afghanen in Würzburg und eines Syrers in Ansbach im Juli sehen sich die Gegner eines großzügigen Asyls bestätigt. EU-Ratspräsident Donald Tusk fordert jetzt eine lückenlose Erfassung aller, die in die EU einreisen.
Die vielfältigen Krisen schwelen seit langem, doch es war das Votum der Briten für ein Ausscheiden aus der EU vom 23. Juni, das daraus eine Existenzkrise für die Union machte. Wird der Ausstieg tatsächlich vollzogen, verliert die Gemeinschaft ihre drittgrößte Wirtschaftskraft, den zweitgrößte Nettozahler und ein diplomatisches Schwergewicht im UN-Sicherheitsrat. Sie wird also kleiner und schwächer. Vor allem aber macht der Schritt EU-Gegnern allerorten Mut, auch in den Gründerstaaten Niederlande, Frankreich und Italien. Denn bei allen Sollbruchstellen scheint die EU fast gespenstisch geeint in populistischer Feindseligkeit gegen Brüssel.
Die simple These, die Eurokraten seien verantwortlich für alles Übel auf dem Kontinent, überdeckt einen Machtkampf der Institutionen: Was darf die EU-Kommission bestimmen? Wie viel Einfluss hat das Parlament? Und worüber entscheiden allein die Einzelstaaten? Über möglichst viel, meinen die Osteuropäer. Die Kommission solle sich zurückhalten, denn die „wirkliche Legitimität“ liege bei den Mitgliedsländern und Parlamenten, sagt Tschechiens Regierungschef Bohuslav Sobotka. Wie nervös die EU-Exekutive ist, zeigt der Streit um die Abschaffung der Roaming-Gebühren: Nach Murren aus Parlament und Mitgliedstaaten kassierte Kommissionspräsident Juncker flugs den Plan, die Streichung der Zusatzgebühren für Handytelefonate im EU-Ausland auf 90 Tage zu befristen.
Dabei hat die EU ihren Bürgern seit der Grundsteinlegung durch die Römischen Verträge vor 60 Jahren viel Gutes gebracht: Frieden, Freiheit, Erasmus, grenzenloses Reisen. Es ist eine Liste, die man erweitern könnte. Das Problem ist: Bei einem Großteil der Bürger kommen die positiven Aspekte und Botschaften nicht mehr an.
Das belegen die Ergebnisse des Eurobarometers, einer regelmäßigen Umfrage im Auftrag der EU. Während vor zehn Jahren noch jeder zweite EU-Bürger ein positives Bild der EU hatte, blicken heute nur noch 35 Prozent der Europäer positiv auf die Union. Die Zukunft der EU beurteilen die Bürger ebenso skeptisch. 44 Prozent glauben, dass es in den nächsten Jahren schwierig für die Union wird. Vor zehn Jahren hatte bloß ein Viertel der Befragten so pessimistisch in die Zukunft geblickt.
Laura Shields beschäftigt sich seit Jahren mit den Defiziten der EU-Kommunikation. Sie arbeitet in Brüssel als Kommunikationsberaterin, die schlechten Umfragewerte überraschen sie nicht. Drei Hauptprobleme hat sie in der europäischen Kommunikation ausgemacht, die für das miese Image verantwortlich sind.
Erster Punkt: das sogenannte EU-Blaming. Ein Fachausdruck, bei dem viele Brüsseler PR-Leute genervt aufstöhnen. Er beschreibt das Verhalten der EU-Mitgliedsstaaten, schöne Erfolge als Ergebnis nationaler Politik zu verkaufen – und bei Fehlschlägen auf die EU zu verweisen. „Das ist ein riesiges Problem“, sagt PR-Expertin Shields. Viele Regierungen erlägen ständig dieser Versuchung.