Kurz vor einem umstrittenen Referendum in Ungarn über die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union hat Amnesty International dem Land Misshandlung von Asylbewerbern vorgeworfen. Das ungarische Asylsystem sei offensichtlich so angelegt, Flüchtlinge davon abzuhalten, in dem Land Asyl zu beantragen, heißt es in dem am Dienstag veröffentlichten Bericht. In den vergangenen Wochen hatten bereits andere Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch ähnliche Vorwürfe erhoben. Die Ungarn sollen am Sonntag in einem von der Regierung initiierten Referendum über die Pläne der Europäischen Union abstimmen, Flüchtlinge nach einem Quotensystem auf ihre Mitgliedsstaaten zu verteilen. Die ungarische Regierung ist einer der Hauptgegner dieses Vorhabens und will sich durch die Volksabstimmung politische Unterstützung für ihren Kurs sichern.
Wegen ihrer Kampagne sieht sich die Regierung mit dem Vorwurf konfrontiert, Fremdenfeindlichkeit und Vorurteile gegen Flüchtlinge zu schüren. Der Wortlaut der Referendumsfrage soll lauten: „Wollen Sie, dass die Europäische Union auch ohne Zustimmung des Parlaments die verpflichtende Ansiedlung von nicht ungarischen Staatsbürgern in Ungarn vorschreiben kann?“
Der für Europa zuständige Amnesty-Direktor John Dalhuisen warf Ungarn vor, „die schreckliche Behandlung und das labyrinthartige Asylverfahren“ seien „eine zynische List“, Flüchtlinge von der ohnehin so stark wie noch nie militarisierten Grenze des Landes fernzuhalten. „Vor dem Hintergrund einer vergifteten Referendumskampagne, erreicht die vergiftete Anti-Flüchtlingsrhetorik den Siedepunkt“, monierte er.
Das ist Viktor Orbán
Viktor Orbán, 1963 geboren, wuchs in bescheidenen Verhältnissen in einem Dorf bei Szekesfehervar - 70 Kilometer südwestlich von Budapest - auf. Im ländlichen Umfeld seiner Kindheit galt er als schwer erziehbar.
Als Jurastudent in der Hauptstadt Budapest rebellierte Orbán mit Gleichgesinnten gegen den geistlosen Obrigkeitsstaat im späten Kommunismus. Der Fidesz, den er mitbegründete, war die erste unabhängige Jugendorganisation dieser Zeit.
1998 übernahm Orbán erstmals die Regierungsgeschäfte. Mit 35 Jahren war er damals der jüngste Ministerpräsident der ungarischen Geschichte.
Als Orbán 2002 überraschend die Wahl und damit die Regierungsmacht verlor, wollte er sich damit nicht abfinden. Er ließ seine Anhänger aufmarschieren und reklamierte auf "Wahlbetrug". Die regierende Linke setzte der Oppositionsführer immer wieder mit Straßenkundgebungen und Volksabstimmungen unter Druck.
Die Wahlen im Frühjahr 2010 brachten Orbán die langersehnte Rückkehr an die Macht, noch dazu mit der verfassungsrelevanten Zweidrittelmehrheit für seine Fidesz-Fraktion.
Nach seiner Rückkehr sprach Orbán umgehend von einer "Revolution der Wahlkabinen" und von der Ankunft eines neuen "Systems der nationalen Zusammenarbeit".
Das bedeutete in der Praxis die Aushöhlung demokratischer Institutionen. Kritiker zufolge ordnet Orbán seine ganze Politik seinen Machtbedürfnissen unter. So würden auch die kürzlich verabschiedeten Verfassungsänderungen vor allem dazu dienen, dass Orbán noch mehr schalten und walten kann, wie er will.
Für die nächsten 15 bis 20 Jahre, so erklärte Orbán vor Partei-Intellektuellen, müsse "ein einziges politisches Kraftfeld die Geschicke der Nation bestimmen".
Amnesty forderte die europäischen Staats-und Regierungschefs auf, „den Verletzungen von EU-Recht durch Ungarn kräftig“ entgegenzutreten, damit sich ein solches Verhalten nicht auch andere EU-Staaten aneignen könnten.
Die Organisation wandte sich auch gegen im Juli in Ungarn verabschiedete Gesetze, nach denen Asylbewerber wieder nach Serbien abgeschoben werden können, die in einem Umkreis von bis zu acht Kilometer von der Grenze aufgegriffen wurden. Einige dieser Flüchtlinge klagten, sie seien geschlagen, getreten und von Hunden verfolgt worden, als sie zwangsweise zurückgebracht wurden.
Ungarns Schwächen
Einzelne Sektoren wie Banken oder Energie haben in Ungarn mit extremen steuerlichen Belastungen zu kämpfen.
Vor allem in technischen Berufen herrscht in Ungarn Fachkräftemangel.
Trotz des günstigen Investitionsumfelds fiel die Investitionsquote Ungarns auf nur noch 17 Prozent.
Durch das schwindende Vertrauen Ungarns im Ausland sinkt der FDI-Zufluss (Foreign Direct Investment, ausländische Direktinvestitionen)
Durch die Zuspitzung der Kreditklemme im Land drohen Insolvenzen und Zahlungsausfälle.
Durch den Beschluss Ungarns, an den beiden „Transitzonen“ an der Grenze zu Serbien nur bis zu 15 Asylanträge am Tag zu bearbeiten, waren Hunderte von Flüchtlinge auf der serbischen Seite des Stacheldrahtzaun gestrandet. Den Bau dieses Zauns hatte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban im vergangenen Jahr angeordnet. Kritik an ihrem Kurs in der Flüchtlingspolitik hatte Ungarn bereits in den vergangenen Wochen zurückgewiesen.
Regierungssprecher Zoltan Kovacs sagte, die Vorwürfe, dass die Polizei Flüchtlinge schlage, seien „pure Lügen“. Alle Berichte über Missbrauch seien untersucht worden. Die Änderungen des Asylsystems, darunter die Schließung von Empfangszentren und weniger Hilfe bei der Integration, seien nötig, „weil die Migranten das existierende System bewusst missbraucht“ hätten.