Brexit-Verhandlungen EU beklagt „Blockade“

Beim Geld hört die Freundschaft auf, lautet eine alte Weisheit. Die Brexit-Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien scheinen das zu belegen. Der Zeitplan gerät ins Trudeln.

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Großbritanniens Brexit-Minister David Davis (vorne) und der EU-Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier (hinten) bei Ankunft auf der Pressekonferenz Quelle: REUTERS

Die Gespräche über den EU-Austritt Großbritanniens stecken in einer Sackgasse. EU-Chefunterhändler Michel Barnier beklagte am Donnerstag nach der fünften Verhandlungsrunde eine „Blockade“ Londons bei den Milliardenforderungen, die die Europäische Union unbedingt zuerst klären will. Brexit-Minister David Davis will Finanzzusagen vertagen und lieber zuerst über andere Themen verhandeln - was die EU kategorisch ablehnt.

Vier Monate nach dem Start der Brexit-Verhandlungen wächst damit die Furcht vor einem Scheitern und einem ungeordneten EU-Austritt im März 2019 - ein Szenario, das vor allem die Wirtschaft mit Sorge erfüllt. Beide Seiten streiten nicht nur über den Fahrplan. Durchbrüche in Sachfragen gibt es ebenfalls nicht. Jedenfalls sieht Barnier keinen „ausreichenden Fortschritt“, um dem EU-Gipfel nächste Woche eine Ausweitung der Verhandlungen zu empfehlen. Damit gerät der sehr enge Zeitplan der Unterhändler ins Rutschen.

Ursprünglich wollten die Unterhändler wichtige Fragen der Trennung bis Mitte Oktober klären und danach über die künftigen Beziehungen sprechen. Das gelang aber nicht. Barnier sagte, er hoffe auf entscheidende Fortschritte in den kommenden zwei Monaten, also bis Dezember.

Mögliche Zollkontrollen würden den deutsch-britischen Handel schwer belasten. Mindestens eine Milliarde Euro Mehrkosten befürchtet die DIHK durch den Brexit.

Knackpunkt sind finanzielle Forderungen der EU für gemeinsam eingegangene Verpflichtungen in der mehr als 40-jährigen Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs. Inoffiziell ist die Rede von bis zu 100 Milliarden Euro.

Die britische Premierministerin Theresa May habe zwar versprochen, finanzielle Zusagen einzuhalten, sagte Barnier. Das sei in den Verhandlungen aber nicht konkret unterfüttert worden. „In dieser Frage stecken wir in einer Blockade“, kritisierte der EU-Vertreter.

Brexit-Minister Davis stellte klar, dass Großbritannien das ganz bewusst so macht. „Dieser Prozess dient nicht dazu, sich im Einzelnen auf Verpflichtungen zu einigen - wir haben klar gesagt, das das erst später kommen kann.“ Die Positionen stehen somit unvereinbar nebeneinander.

Annäherung vermeldeten beide Seiten bei den künftigen Rechten der rund 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien und der 1,2 Millionen Briten in der übrigen EU. Gleiches galt für die Frage, wie die künftige EU-Grenze zwischen Irland und dem britischen Nordirland durchlässig gestaltet werden kann.

Davis sprach in seinem Statement mehr als ein halbes Dutzend Mal von „Fortschritt“, räumte aber ein, dass Lösungen bisher fehlten. Barnier äußerte sich - wie schon in früheren Runden - viel pessimistischer als sein britischer Kollege, schloss aber mit den Worten, er halte einen „entscheidenden Fortschritt“ binnen zwei Monaten für erreichbar.

Fünf Fakten zu den Brexit-Verhandlungen
Nach dem Votum einer knappen Mehrheit britischer Wähler für den EU-Austritt am 23. Juni 2016 schickte Premierministerin Theresa May am 29. März offiziell die Scheidungspapiere nach Brüssel Quelle: dpa
Als Emissär der nur noch geduldeten Minderheitsregierung May verhandelt Brexit-Minister David Davis mit dem EU-Chefunterhändler Michel Barnier. Quelle: dpa
Die EU hat drei Fragen zu Topthemen erklärt, die bei den Brexit-Verhandlungen bis Herbst weitgehend abgeräumt werden sollen. Quelle: AP
Alle EU-Bürger im Vereinigten Königreich sollen die Chance bekommen, sich um einen „gesicherten Status“ zu bewerben und zu bleiben. Doch der EU geht das nicht weit genug. Quelle: Reuters
EU-Chefunterhändler Michel Barnier: „Es ist unerlässlich, dass das Vereinigte Königreich die Existenz finanzieller Verpflichtungen anerkennt.“ Quelle: REUTERS
Die EU-Seite scheint bei den Brexit-Verhandlungen gefasst auf Stolpersteine und Theaterdonner. Quelle: AP

Denkbar wäre, dass dann der EU-Gipfel im Dezember die zweite Phase der Verhandlungen einläutet, die Großbritannien so wichtig ist. London wünscht sich eine „tiefe und besondere Partnerschaft“ - also vor allem ein Handelsabkommen, aber auch die Zusammenarbeit in Sicherheits- und anderen Fragen. Zudem will May eine Übergangszeit von etwa zwei Jahren, um den Brexit sanfter zu gestalten.

In dem historisch beispiellosen Prozess pokern beide Seiten mit hohen Einsätzen. Die EU nutzt die Abfolge der Gespräche als Hebel: Bevor es um die Wünsche Londons geht, will sie Finanzzusagen, zumal sonst Milliardenlöcher im laufenden Haushalt klaffen würden. May droht ihrerseits damit, notfalls den Verhandlungstisch zu verlassen: Kein Abkommen sei immer noch besser als ein schlechtes. May machte diese Woche Vorbereitungen für einen solchen Fall publik.

Um diese Linie wird aber in London gestritten. Schatzkanzler Philip Hammond machte diese Woche deutlich, dass er keinesfalls früher als nötig größere Summen für einen ungeregelten Brexit einplanen will - was die Drohung mit Abbruch der Verhandlungen aushöhlt. May widersprach ihrem Finanzminister. Das Geld würde zum Beispiel für die Ausweitung der Zollkontrollen gebraucht.

Die EU warnt vor chaotischen Folgen eines ungeregelten Brexits - von langen Staus an den Grenzen bis zu hohen Einfuhrzöllen auf beiden Seiten. „Kein Deal wäre ein sehr schlechter Deal“, sagte Unterhändler Barnier. Auch die deutsche Wirtschaft bangt. Der Bundesverband der Deutschen Industrie hatte zuletzt erklärt, die Unternehmen müssten schon jetzt „Vorsorge für den Ernstfall“ treffen.

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