Es war wohl auch die seltsame Parallelität der Ereignisse, die diesem Auftritt Wolfgang Schäubles seine besondere Note verlieh. Während Kanzlerin Angela Merkel am Mittwoch nach Brüssel gereist war, um sich mit ihren Kollegen im Europäischen Rat über die Spitzenjobs in der europäischen Kommission zu einigen, war ihr Finanzminister in Berlin geblieben. Auf Einladung der deutsch-italienischen Stiftung „Villa Vigoni“ sprach er über seine Visionen für Europa: „Eine Union für das 21. Jahrhundert – wie Europa in gute Verfassung kommt.“ Es sollte der größtmögliche Kontrast zum Brüsseler Posten-Geschacher werden.
Denn in Europas Hauptstadt zeigte sich wieder einmal, dass sich die Interessen der europäischen Staaten derzeit eher voneinander entfernen, anstatt sich anzunähern. Einig wurde man sich nicht, nach einer mehrstündigen Sitzung vertagten die Regierungschefs ihre Entscheidung. Man mag das im nationalen, deutschen Interesse gutheißen, für die Handlungsfähigkeit der Union war es ein weiterer Rückschlag.
Wie sich die EU finanziert
Der größte Teil der traditionellen Eigenmittel sind die Einnahmen aus Zöllen, die bei der Einfuhr von Erzeugnissen aus Nicht-EU-Staaten erhoben werden, sowie Zuckerabgaben. Das sind Abgaben, die sich aus der Gemeinsamen Marktorganisation für Zucker ergeben und von den Produzenten auf die Zucker- und Isoglukosequoten zu entrichten sind (123,4 Millionen Euro im Haushalt 2012). In den 1970er Jahren waren die traditionellen Eigenmittel neben den nationalen Beiträgen die Haupteinnahmequelle. Sie machten etwa 1974 mehr als 60 Prozent der Einnahmen aus. Im Haushaltsplan für das Jahr 2012 liegt der Anteil der traditionellen Eigenmittel an den gesamten Einnahmen nur noch bei 14,9 Prozent (19,294 Milliarden Euro).
Die Mehrwertsteuer-Eigenmittel beruhen auf einem einheitlichen Prozentsatz, der auf die harmonisierte MwSt-Bemessungsgrundlage jedes Mitgliedstaats angewandt wird. Sie betragen im aktuellen Jahr 14,498 Milliarden Euro. Die MwSt-Grundlage ist auf 50 Prozent des Bruttonationaleinkommens jedes Mitgliedstaats begrenzt. Mit dieser Kappung soll vermieden werden, dass die weniger wohlhabenden Mitgliedstaaten, in denen der Verbrauch und somit die Mehrwertsteuer einen verhältnismäßig höheren Anteil am Nationaleinkommen ausmachen, einen Betrag abführen müssen, der nicht in Relation zu ihrer Beitragskapazität steht.
Die BNE-Eigenmittel basieren auf einem einheitlichen Prozentsatz, der auf das Bruttonationaleinkommen (BNE) jedes Mitgliedstaats angewandt wird. Mit ihnen werden die Haushaltseinnahmen und ‑ausgaben ausgeglichen, das heißt es wird der Teil der Ausgaben finanziert, der von anderen Einnahmequellen nicht abgedeckt ist. Diese eigentlich als Ergänzung gedachte Einnahme stellt heute mit 93,718 Milliarden Euro die wichtigste Einnahmequelle dar.
In den Haushalt fließen auch sonstige Einnahmen, darunter fallen Steuern, die auf die Gehälter der EU-Bediensteten erhoben werden, Beiträge von Drittländern zu bestimmten EU-Programmen sowie Bußgelder von Unternehmen, die gegen das Wettbewerbsrecht oder andere Rechtsvorschriften verstoßen haben. Dadurch sollen im laufenden Jahr 1,575 Milliarden Euro in die Kassen kommen.
Einige Länder haben kritisiert, dass ihr eigener Beitrag zum EU-Haushalt zu hoch ist und die einzelnen Mitgliedstaaten ungleich belastet werden. Zur Korrektur dieser Ungleichgewichte wurden unter anderem folgende Korrekturmechanismen eingeführt: Großbritannien werden zwei Drittel seines Nettobeitrags (Differenz zwischen den Zahlungen und Rückflüssen) erstattet. Die finanzielle Belastung aufgrund des Briten-Rabatts wird proportional zum Anteil der einzelnen Mitgliedstaaten am BNE der EU auf die übrigen Mitgliedstaaten aufgeteilt. Seit 2002 jedoch ist dieser Betrag für Deutschland, die Niederlande, Österreich und Schweden, die ihren Beitrag zum EU-Haushalt für zu hoch hielten, auf 25 Prozent ihres eigentlichen Pflichtanteils begrenzt.
Darüber hinaus gibt es weitere Ausnahmen: Schweden und die Niederlande werden Pauschalbeträge gezahlt, beide Länder haben – wie Österreich und Deutschland auch – zudem reduzierte Mehrwertsteuer-Abrufsätze vereinbart.
Die Europäische Union hat 2010 nach eigenen Angaben 127,795 Milliarden Euro eingenommen. Für 2012 ist eine Steigerung der Einnahme auf 129,088 Milliarden Euro geplant.
Nationalstaaten für Problemlösung ungeeignet
Währenddessen blickte Schäuble nach vorne, in ein Europa, wie er es sich wünscht. Von nationalen Interessen war dabei nicht die Rede, stattdessen verwendete Schäuble die Vokabel „intergouvernemental“ nur, um Rückschritte der Union zu kennzeichnen. Stattdessen machte er klar, dass seine Vorstellung von Europa immer weniger mit dem zu tun hat, was sich in Brüssel tatsächlich abspielt. Während die Alternative für Deutschland (AfD) mit europakritischen Thesen der Union Stimmen abjagt und Kanzlerin Merkel nicht müde wird, den Beitrag der Briten zu einem subsidiären Europa zu loben, doziert Schäuble lieber vom Ende des Nationalstaats. „In einer Zeit der Globalisierung sind Nationalstaaten offensichtlich nicht mehr geeignet, um Probleme zu lösen oder Interessen wirksam zu vertreten.“
Daraus leitet er ab, wie es mit Europa weitergehen soll: Mehr Integration, nicht weniger. Das ist eine These, mit der man sich schnell unbeliebt machen kann in diesen Tagen. Aber Schäuble macht das nichts aus. Er verwendet all die Vokabeln, die Europakritiker sonst gegen ihn verwenden. Da werden weitere Aufgaben „vergemeinschaftet“. Auch den Begriff der „Vereinigten Staaten von Europa“ finde er „im Prinzip nicht schlecht, er wird bloß schon zu eindeutig mit dem Staatsmodell der USA verbunden.“ Die aber seien eindeutig ein Bundesstaat, und zumindest das kann auch Schäuble sich für Europa nicht vorstellen. Aber ziemlich viele andere Dinge, die manch einen erschaudern lassen werden.