Europa Wie Italien jede Krise übersteht - bis jetzt

Bisher hat die drittgrößte Euro-Volkswirtschaft noch jede Krise überlebt. Eine Erklärung in vier Schritten - und warum ausgerechnet ein Italiener nun daran rüttelt.

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Er ist wieder da: Viel Italiener wünschen sich ein Comeback von Silvio Berlusconi. Quelle: REUTERS

An einem Donnerstagnachmittag im vergangenen Jahr, der Mailänder Sommer neigte sich seinem Ende entgegen, saß Carlo Messina in der ausladenden Sitzgruppe seines Büros in einem Mailänder Palazzo und verbreitete Optimismus. Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte seiner Bank Intesa Sanpaolo bescheinigt, das einzige italienische Geldhaus mit funktionierendem Geschäftsmodell zu sein, und erfolgreicher als die meisten deutschen Banken war man auch. Allein der Zustand der anderen italienischen Banken trübte die sommerliche Stimmung. Denn deswegen meldeten sich immer wieder Politiker, ob Messina nicht die eine oder andere Krisenbank übernehmen könne. Und um solche Ideen abzuwürgen, versicherte Messina: „Ich werde keine Bank übernehmen, die keine Werte schafft.“

Italiens große Baustellen

Gut zehn Monate später hat sich das sonnige Gemüt Messinas weiter aufgeheitert, obwohl er sich selbst widerlegt hat. Messina hat am Wochenende die Reste zweier quasi bankrotter Volksbanken - Veneto Banca und die Volksbank Vicenza - aus dem Nordosten übernommen. Aber ihm ist dabei ein Kunststück gelungen: Intesa Sanpaolo zahlt nur einen Euro, bekommt vom italienischen Steuerzahler aber eine Fünf-Milliarden-Euro-Mitgift. „Von einem Geschenk zu sprechen“, versicherte Messina, „wäre ganz falsch. Wir haben Sparer gerettet, viele Arbeitsplätze und viele Unternehmen, die Kredite brauchen.“

Was in den Worten des Bankers zu einem Höhepunkt in Sachen Altruismus geriet, bedeutet für Europas Bankenunion einen Tiefpunkt. Wieder haften Steuerzahler für Banken, wenn auch für deren Abwicklung und nicht für deren Weiterleben als Zombie-Institute. Und wieder versetzt Italien die Euro-Zone in Aufruhr. In Berlin und Brüssel, wo man nie wieder Banken mit Steuergeld retten wollte, schimpft man über den Regelbruch. Man habe einen „ungeordneten Zusammenbruch“ verhindert, hielt Italiens Regierungschef Paolo Gentiloni dagegen.

Italien, immer wieder Italien. Die drittgrößte Volkswirtschaft des Euro-Raums ist ihr größtes Sorgenkind. Seit Schmuddel-Zampano Silvio Berlusconi das Land bis 2011 vor die Wand regierte, fürchten die Märkte halbjährlich den Zusammenbruch samt horrender Folgen für die Währungsunion. Doch ob Pleite von Banken oder nationaler Fluggesellschaft, Regierungskrisen oder Euro-Regelbrüche: Genauso zuverlässig wie die Warnungen vor dem Untergang folgt in regelmäßigen Abständen die Rettung Italiens. Wie gelingt das immer wieder? Eine Erklärung des Italienprinzips in vier Schritten.

von Sven Prange, Silke Wettach

1. Schaffe politisches Chaos

Das Auditorium der Fakultät für Philosophie der Universität Trento ist an diesem frühen Abend bis auf den letzten Platz gefüllt, obwohl 30 Grad und Sonne in die nahen Berge locken. Enrico Letta zieht eine bunte Mischung aus Menschen ins Auditorium: Ökonomiestudenten, Trentiner Bürger im Festtagsgewandt, einige Hobbyrevolutionäre und ein paar wenige Rentner sitzen schon eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung in lebhafter Diskussion vereint und erwarten den Gast. Letta ist so eine Figur, die es nur in der italienischen Politik, dort aber zu häufig, gibt. Er war Parteifunktionär, Ministerpräsident, römische Eminenz, derzeit hat er einen Lehrstuhl an einer Universität in Paris, es soll eher eine Zwischenstation sein. Nun hat er ein Buch geschrieben, das die Sicht vieler Italiener auf die Dinge im Land widerspiegelt, weswegen er vorerst wieder hoch im Kurs steht.

„Wir stehen vor der letzten Gabelung zwischen einem richtigen und einem falschen Weg für Europa“, sagt Letta und lässt wenig Zweifel, dass er Italien nicht auf dem richtigen Weg sieht. „Es gibt in Italien eine Eigenart, die Schuld immer eher bei anderen zu suchen. Aber unsere schlechte Wettbewerbsfähigkeit ist wirklich nicht die Schuld der Deutschen“, sagt Letta, und die Begeisterung im Saal kühlt herunter. Um dann wieder hochzufahren, als die Zuhörer merken, dass er nicht sie beschimpft, sondern seine Politikerkollegen. Es gebe zu wenige politische Führer mit Rückgrat in Italien.

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