Freytags-Frage

Wie kann der Brexit für beide Seiten abgefedert werden?

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Durchgreifen wäre fehl am Platz

Die generellen Probleme sind schnell benannt: Wenn Großbritannien die Europäische Union verlässt, muss sie sämtliche Handelsbeziehungen neu regeln. Das gilt zunächst für Europa, aber natürlich auch für alle Freihandelsabkommen, welche die EU mit anderen Ländern oder Regionen abgeschlossen hat. Großbritannien muss dann erst einmal mit dem Meistbegünstigungsstatus auskommen; vermutlich ist es das einzige WTO-Mitglied in so einer Lage.

Das vom Brexit geschwächte britische Pfund ist für zwar die britische Exportindustrie zunächst ein Vorteil, Importe aber werden teurer. Das gilt vor allem für die Unternehmen, die in globale Wertschöpfungsketten eingebunden sind und Vor- und Zwischenprodukte im Ausland beziehen. Sie verteuern sich durch den Verlust der Zollpräferenzen zudem noch einmal, sofern die britische Regierung nicht einseitigen Freihandel einführt. Das aber entspricht nun gar nicht dem Zeitgeist, auch nicht auf der liberalen Insel.

Der harte Brexit und die Folgen – für beide Seiten ein Schreckensszenario

Auch müssen die zahlreichen britischen Pensionäre in Spanien, vor allem auf den Balearen und Kanaren, einen erheblichen Kaufkraftverlust verkraften. Für viele ist der Aufenthaltsstatus ungeklärt.

Schon jetzt zeigt sich, dass ausländische Arbeitnehmer, die in der Regel recht gut, zum Teil sogar besser ausgebildet sind und geringeren Lohn verlangen als ihre britischen Kollegen, abwandern. Gleichzeitig bleiben Zuwanderer aus. Ob man die Lücke mit gleich produktiven und bezahlten Briten füllen kann? Man stelle sich nur vor, wie der britische Gesundheitsdienst damit fertig werden soll, falls es zur Abwanderung polnischer und litauischer Pflegekräfte und hoher Zuwanderung britischer potentieller und echter Pflegefälle kommt.

Außerdem denken schon jetzt zahlreiche Finanzdienstleister darüber nach, ihre Aktivitäten aus London in die EU zu verlagern, allerdings ohne deshalb den Standort London völlig aufzugeben. Verlagerungen nach Paris, Frankfurt, Zürich und Amsterdam aber wird es in jedem Fall geben. Damit wird ein Zugpferd der britischen Wirtschaft nachhaltig geschwächt.

In den europäischen Metropolen freut man sich darüber, denn es gibt neue Jobs und erhöhte Kaufkraft in den betroffenen Regionen. Gleichzeitig wird es auch Vorbehalte gegenüber den Neuankömmlingen geben, also den Bankern, die auf den Kontinent versetzt werden und deren Kaufkraft vermutlich so hoch ist, dass die Preise der Mieten, Häuser oder Privatschulen stark steigen wird. Das wird die Schwierigkeiten von Familien mit mittleren Einkommen, bezahlbaren Wohnraum zu bekommen, noch steigern und in der politischen Debatte die Befürworter von weiteren marktwidrigen und deshalb ungerechten Interventionen stärken.

Vor diesem Hintergrund sind Häme, Aggressivität und lautstark vorgetragenes „Durchgreifen“ von Seiten der EU auch fehl am Platze. Denn kommt es zur Desintegration mit Großbritannien, verlieren nicht nur die Briten, sondern auch die Kontinentaleuropäer – wenn auch vermutlich in geringerem Maße.

Deshalb muss das Jahr genutzt werden, um einen friedlichen Übergang Großbritanniens vom EU-Mitglied zum EU-Partner hinzubekommen oder den Brexit doch noch zu verhindern. Letzteres ist allein eine britische Angelegenheit und daher sehr unwahrscheinlich. Denn in einer Aussage haben die Minister Hammond und Davis in ihrem Gastbeitrag Recht: Großbritannien und der Kontinent sind weiterhin Partner und Verbündete. Die Inkompetenz der gegenwärtigen Regierung in London sollte nicht dazu verleiten, sich ihr herablassend zu nähern.

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