Historiker Heinz A. Richter "Der Kapitalfehler war, die Griechen in den Euro zu lassen"

Die Griechen verarmen, doch an den Ursachen der Finanzmisere ändert die Regierung nichts. Historiker Heinz Richter über Parteien als Klientelverbände, versickerte deutsche Reparationszahlungen und eine verpasste Chance.

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Industrieruine in Griechenland. Quelle: Getty Images

WirtschaftsWoche: Sie sind Historiker. Aber reden wir zunächst über die Gegenwart. Sie kommen gerade aus Griechenland zurück. Wie empfanden Sie die Stimmung dort?

Richter: Ich war auf Samos. Die Taverne, in der ich immer einkehre, war bis vor zwei Jahren abends immer gut gefüllt. Doch jetzt waren wir fast alleine. Die Leute müssen sparen, sie sind arm geworden. Griechenland ist ein fast deindustrialisiertes Land. Als ich 1976 in Athen lebte, gab es nur einen Supermarkt mit europäischen Waren. Heute gibt es fast keine einheimischen Produkte mehr zu kaufen. Sogar ein Teil des Weins stammt aus Zypern oder gar Australien. Leiden tun in Griechenland vor allem die kleinen Leute, inklusive der unteren Mittelschicht, die abdriftet. Eine Mittelschicht gibt es immer weniger. Die Oberschicht, die griechische Oligarchie, lebt ohnehin steuerfrei seit der Unabhängigkeit 1832 und leidet offensichtlich nicht unter der Krise.

Heinz A. Richter

Seit damals war Griechenland mehrfach bankrott. Wie konnte Griechenland in der Vergangenheit aus dem Schlamassel kommen?

Im Grunde ist der griechische Staat fast durchgehend pleite gewesen. Aber früher gab es immer Schutzmächte, die die Schulden übernahmen. Das war bis 1947 vor allem Großbritannien. Dann haben die Amerikaner im Rahmen der Truman-Doktrin übernommen. 1981, als Griechenland der Europäischen Gemeinschaft beitrat, nahm die Schuldenmacherei noch deutlich zu. Bis dahin waren die Schulden so gering, dass die Schutzmächte sie begleichen konnten. Aber unter der PASOK-Regierung in den 1980er Jahren stiegen sie gewaltig.

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Warum?

Weil man in Athen den Eindruck gewann, eine Quelle angezapft zu haben, ohne kritische Fragen beantworten zu müssen. Bis zur Einführung des Euro hielt sich das noch einigermaßen im Rahmen. Die letzte Drachmen-Anleihe musste mit neun Prozent verzinst werden.  Mit dem Euro rutschten die Zinsen nach unten. Nicht nur der griechische Staat, auch die Banken machten nach der Euro-Einführung munter Schulden, während man die Bevölkerung zum Konsum drängte. Jeder Bankkunde bekam eine kostenlose Kreditkarte.

Warum konnten die europäischen Staaten das nicht verhindern?

Man versteht nicht, wie der griechische Klientelismus funktioniert.

Unter politischem Klientelismus versteht man ein inoffizielles System von Gefälligkeiten gegen politische Unterstützung, letztlich eine Art Korruption. Sie halten das für ein wesentliches Merkmal der Balkan-Länder inklusive Griechenlands.

Der Klientelismus in Griechenland hat mit dem in Westeuropa nichts zu tun. Bei uns geht es da um Verbindungen wie die FDP und die Hoteliers. In Griechenland ist es ein Gesamtsystem, das die ganze Gesellschaft bestimmt. Und das geht auch unter der Regierung Tsipras munter weiter. Er hat in jedes Amt seine Leute gesetzt. Der öffentliche Dienst ist sogar noch weiter aufgebläht worden. Zur Zeit der Nea Demokratia waren die Berater in den Ministerien meist Anwälte. Die Syriza hat sogar einen Kellner zum Regierungsberater ernannt – mit Pensionsberechtigung. Tsipras sagt: Wir werden dies und jenes tun. Aber es passiert absolut nichts. Was man von ihm hört, klingt gut, aber es steht nichts dahinter.

Und das obwohl Tsipras und seine Syriza-Partei nicht zu dem alten Parteiensystem gehören?

Solange er von der Macht noch fern war, war Tsipras vernünftig. Aber als er an die Macht kam, passierte dasselbe wie früher mit der PASOK, also den Sozialdemokraten. Die waren 1981mit vielen guten Vorsätzen angetreten. Doch es änderte sich nichts am Klientelismus. Im Gegenteil. Die PASOK hat den Turbo-Klientelismus eingeführt. Man darf nicht vergessen: Die Syriza besteht zur Hälfte aus ehemaligen PASOK-Leuten. Griechische Parteien sind keine Programm-Parteien, wie wir sie kennen, sondern Klientelverbände mit einem Boss oder einer Clique an der Spitze.

Zusammengehalten werden diese Parteien nur durch so genannte „Rousfetia“ - Gefälligkeiten, das heißt, indem man staatliches Geld von oben nach unten weiterverteilt oder Posten im öffentlichen Dienst vermittelt. Innerparteiliche Demokratie, wie wir sie kennen, existiert nicht. Nur Parteien, die keine Chance haben, an die Macht zu kommen, zum Beispiel die Grünen, ähneln unseren Parteien. Die haben Programme und Vorstellungen. Sobald eine Partei an der Macht ist, benimmt sie sich wie alle Vorgänger und wird zum Klientelverband. 

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