Wenn die Bundesregierung deutsche Interessen in Europa vertreten will, muss sie mitunter über Bande spielen. Als größter Mitgliedsstaat steht Deutschland vor allem bei den kleinen EU-Ländern schnell im Verdacht, seine Linie mit Gewalt durchsetzen zu wollen. In der Vergangenheit griff Bundeskanzlerin Angela Merkel deshalb immer wieder zum Telefon und bat den niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte, kritische Punkte anzusprechen. Den musste sie meist nicht lange überreden. In Wirtschaftsfragen und vor allem beim Thema Euro decken sich deutsche und niederländische Interessen sehr häufig.
Auch eine Etage tiefer, bei den Finanzministern, könnte der kurze Draht von Berlin nach Den Haag in Zukunft wichtig werden. Noch ist nicht ausgemacht, wer in einer Jamaika-Koalition künftig das Amt des Finanzministers übernehmen wird. Aber in Wopke Hoekstra (sprich: Hukstra), der am Donnerstag in Den Haag als neuer niederländischer Finanzminister vereidigt wird, wird der künftige deutsche Amtsinhaber einen natürlichen Verbündeten finden.
Die Niederländer drängen traditionell auf eine strenge Auslegung des Stabilitätspakts und sehen französische Pläne für ein Eurogruppenbudget und einen Eurogruppenminister mit einiger Skepsis.
Bei seinen Auftritten in der Eurogruppe in Brüssel – der erste steht am 5. November an – wird Christdemokrat Hoekstra sehr viel freier agieren können als der deutsche Finanzminister, der in den kommenden Monaten bei der Reform der Eurozone auf den angestrebten deutsch-französischen Kompromiss Rücksicht nehmen muss. Denn in Berlin und Paris beugen sich bereits Arbeitsgruppen in den Finanzministerien über den Umbau und die EU-Kommission wird Anfang Dezember einen Vorschlag dazu vorlegen.
Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sind sich einig, dass sie eine Führungsrolle in dem Reformprozess übernehmen müssen. Ohne enge Zusammenarbeit der beiden größten Länder wird es keinen Kompromiss geben. Aber genau diese Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner schränkt den deutschen Finanzminister in seiner Handlungsfreiheit ein. Beide Länder würden schließlich auch für ein Scheitern verantwortlich gemacht. In einem solchen Prozess ist ein kleines Land wie die Niederlande sehr viel freier, extremere Positionen zu besetzen – Hoekstra wird daher leichter klare Kante zeigen können.
Die bisherige Karriere des 42-jährigen Juristen deutet darauf hin, dass er eines der intellektuellen Schwergewichte unter den 19 Ministern der Eurozone wird. Seit 2006 ist er Partner bei der Unternehmensberatung McKinsey mit dem Schwerpunkt Energie und öffentlicher Sektor. Nach seinem MBA bei Insead hatte der friesische Professorensohn zunächst für Shell in Berlin, Hamburg und Rotterdam gearbeitet.
Bereits 2010 drängten ihn Parteifreunde, für ein Abgeordnetenmandat zu kandidieren, doch er zog 2011 die erste Kammer, den Senat, vor, weil der politische Posten mit seinem Job bei McKinsey vereinbar war. Die erste Kammer tritt nur einmal in der Woche, zusammen, um die vom Parlament verabschiedeten Gesetze zu begutachten.
Im vergangenen Jahr schaffte Hoekstra es als Zweitjüngster auf die Liste der 200 einflussreichsten Niederländer der Tageszeitung „Volkskrant“ auf Platz 135. Dabei wurde seine Rolle bei dem Wahlprogramm der Christdemokratischen Partei (CDA) gewürdigt. Hoekstra war verantwortlich für das Programm, an dem 1000 Parteimitglieder mitgearbeitet haben. Ihm war es dabei wichtig, eine „klare Vision“ zu formulieren, und keine „Einkaufsliste“ zu präsentieren. Bei den Wählern kam das Programm an, die CDA gewann im März fast vier Prozent an Stimmen beziehungsweise sechs Sitze hinzu.
Wissenswertes über die Niederlande
Flächenmäßig sind die Niederlande nur das 131. größte Land der Welt. Aber: Statistisch gesehen sind die Niederländer das Volk mit den körperlich größten Menschen weltweit. Im Durchschnitt sind die Männer 1,83 Meter groß, die Frauen 1,72 Meter.
Kaum ein anderes Land ist so dicht besiedelt wie die Niederlande. Mehr als 16,5 Millionen Menschen leben hier auf einer Fläche, die kaum größer ist als Baden-Württemberg. Auf einen Quadratkilometer Landfläche kommen so fast 400 Niederländer.
Maschinen und Transportmittel, chemische Produkte und lebende Tiere.
Mit mehr als 378 Milliarden Dollar Umsatz ist das Mineralöl- und Gasunternehmen Royal Dutch Shell das größte niederländische Unternehmen und gleichzeitig das zweitgrößte weltweit. Auch die ING Group stammt aus den Niederlanden und positioniert sich an 17. Stelle der größten Firmen der Welt. Auch Philips und Unilever stammen aus unserem Nachbarland.
Wer von den Niederlanden spricht, sagt oft Holland. Dabei ist Holland eigentlich nur eine Region innerhalb der Niederlande, genauer gesagt zwei Provinzen: Nord- und Südholland. Sich selbst ruft der Oranje-Fan allerdings auch Holländer. Der Schlachtruf der niederländischen Fußballfans ist „Hup, Holland, Hup“, was soviel heißt wie „Auf geht’s, Holland“.
Der Landesname im Plural hat einen historischen Hintergrund. Im Mittelalter war das Land Teil des Herrschaftsgebiets des Hauses Burgund, dass sich in viele kleinere Ländereien aufspaltete, darunter auch die oberen und die niederen Lande. Als das Burgundische Erbe schließlich an die Habsburger fiel, ging das Oberland an Frankreich verloren (die heutigen Regionen Bourgogne und Franche Comté), während die „Niederlande“ das heutige Staatsgebiet markieren.
In der Partei gilt der leidenschaftliche Schlittschuhläufer Hoekstra als wahrscheinlicher Nachfolger des aktuellen Vorsitzenden Sybrand Buma. Sowohl in der eigenen Partei wird er bereits als der „neue Ruud Lubbers“ gehandelt. Christdemokrat Lubbers hatte die Niederlande von 1982 an zwölf Jahre als Ministerpräsident regiert. Bisherige Senatskollegen anderer Parteien bescheinigen ihm Brillanz und einen eigenen Kopf.
Hoekstra beschreibt sich selbst als „Post-Liberalen“. Er betont damit, dass ihm das Zusammenleben in der Gesellschaft sehr wichtig ist. „Wir sind an einem Punkt der Hyper-Individualisierung in der Geschichte angelangt“, so der Vater von vier Kindern. „Es stellt sich die Frage, wie wir dafür sorgen, dass Menschen nicht nur ihre eigenen Interessen im Blick behalten?“ Die liberale Seite wird deutlich, wenn er konkrete, durchaus unkonventionelle Vorschläge macht, wie die Gesellschaft künftig funktionieren könnte: „Wenn es an Spendernieren fehlt, dann sollte die Regierung die Rechte von Nicht-Spendern einschränken können.“