Sozialstaat Finnland testet bedingungsloses Grundeinkommen

Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle - das fordern nicht nur linke Kapitalismuskritiker, sondern auch manche Unternehmer. Aber werden dann nicht alle faul? Die Finnen testen das jetzt.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Finnland testet das bedingungslose Grundeinkommen. Quelle: Aleksi Poutanen für WirtschaftsWoche

Am 1. Mai, als die meisten Finnen den Tag im T-Shirt und ohne Arbeit verbringen, stemmt sich Steffie Eronen auf den Wagenheber an ihrem alten Volvo. Daneben steht ihr achtjähriger Neffe, der wissen möchte, wie man die Reifen eines Autos wechseln kann. Eronen, eine kleine Frau mit tiefer Stimme, die selten, aber herzlich lacht, wollte heute eigentlich nichts tun, wie all die anderen. Die ganze Familie saß bei ihren Schwiegereltern zusammen, ein typischer Feiertag eben. Dann aber sagte der kleine Neffe, dass alles am Auto eine typische Männerarbeit sei, und Eronens Arbeitseifer war geweckt. „Dass ein Kind das tatsächlich glaubt, hat mich so wütend gemacht, das konnte ich nicht stehen lassen.“ Und schließlich ist es für sie ohnehin egal, ob sie nun den Feiertag für Arbeit opfert oder nicht. Denn die Frage nach Arbeit oder Nichtstun hat für die 39-Jährige eine ganz andere Bedeutung als für die meisten Europäer.

Konzepte zur Förderung eines bedingungslosen Grundeinkommens

Die gebürtige Deutsche ist eine von 2000 Menschen in Finnland, die Geld bekommen, auch wenn sie nicht arbeiten. Selbst wenn sie nicht einmal aktiv nach Arbeit sucht. Denn Eronen ist Teil eines staatlichen Experiments: Seit Anfang des Jahres testet Finnland das bedingungslose Grundeinkommen.

Es ist das hipste Thema, das die Debatte um den Sozialstaat westlicher Prägung derzeit befeuert. Linke Kapitalismuskritiker wollen den Menschen vom Zwang der Lohnarbeit befreien, indem der Staat all seinen Bewohnern eine materiell sichere Existenz ohne Gegenleistung garantiert. In jüngster Zeit aber fordern auch Unternehmer wie die Silicon-Valley-Größen Peter Thiel und Elon Musk oder Dax-Chefs wie Timotheus Höttges und Joe Kaeser ein solches Grundeinkommen, damit die Menschen auch noch Geld haben, wenn Roboter die Arbeit übernehmen. Genauso vehement wie diese Befürworter äußern sich Kritiker: Gewerkschafter, die das Ende des Arbeitszeitalters befürchten; Sozialdemokraten, die argwöhnen, Konzerne wollten sich so ihrer Verantwortung für das Sozialgefüge entziehen; konservative Ökonomen, die Faulheit grassieren sehen, sollte der Mensch mangels materieller Not nicht mehr zum Arbeiten gezwungen sein. Was Gegnern wie Befürwortern bislang fehlt, ist eine empirische Grundlage für ihre Thesen: Was passiert wirklich, wenn Menschen nicht mehr arbeiten müssen? Werden sie faul, oder setzen sie neue Kräfte frei? Das finnische Experiment liefert erstmals Antworten auf diese Fragen.

Steffie Eronen wäre nie Versuchsperson geworden, hätte sie nicht nach Arbeit gesucht. Sie zog vor sechs Jahren hierher, nachdem sie sich in einen Finnen verliebt hatte. Die beiden heirateten und bekamen eine Tochter. Ihr Mann arbeitet als Elektriker in einer Baufirma und verdient jeden Monat um die 3000 Euro brutto. Solange sie sparsam sind, reicht es gerade so. „Doch ich wollte unabhängig sein. Ich will keine finanzielle Angst haben und mich alleine versorgen können“, sagt sie. Als das Kind alt genug für den Kindergarten war, ging sie zum Arbeitsamt, um eine Stelle zu finden.

Doch ohne fließendes Finnisch bekam die Deutsche nicht einmal im Supermarkt einen Job. Ihre Arbeitsvermittlerin machte ihr einen Vorschlag: Das Land brauche Sozialarbeiter und unterstützt deshalb alle finanziell, die sich in dem Bereich weiterbilden. Also begann Eronen ein Studium der Sozialen Arbeit und wurde damit eine von rund 177.000 Menschen, die Geld vom Arbeitsamt bekommen.

Und genau diese Arbeitslosenkartei wurde ein halbes Jahr später zum Lostopf eines bislang einzigartigen Experiments. Marjukka Turunen, Chefjuristin bei Kela, der Sozialbehörde Finnlands, wurde auserkoren, es zu leiten. Die Frau mit rechteckiger Hornbrille und blondem Pagenschnitt arbeitet seit 20 Jahren für die Institution: „Das Problem des jetzigen Systems ist: Entweder fangen die Menschen einen Vollzeitjob an, oder sie arbeiten gar nicht und sind auf Unterstützung angewiesen. Alles dazwischen lohnt sich nicht“, sagt sie. Deswegen sollte sie erforschen: Arbeiten die Leute weniger oder mehr, wenn sie Geld bekommen, aber zu nichts gezwungen werden? 2000 Menschen sollten aus der Arbeitslosenkartei gezogen werden, die ab Jahresanfang jeden Monat 560 Euro überwiesen bekommen. Ohne dass der Staat wie bisher eine Gegenleistung verlangt – also aktive Arbeitsplatzsuche, eine Weiterbildung oder Ähnliches.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%