WirtschaftsWoche: Professor Kooths, Professor Horn, die Politik von US-Präsident Donald Trump und die Brexit-Entscheidung der Briten wirbeln derzeit die Wirtschaftspolitik durcheinander. Wird das die deutsche Konjunktur bremsen?
Horn: Die Ereignisse gehen nicht spurlos an der deutschen Wirtschaft vorüber. Die Exporte laufen schlechter als in früheren Jahren. Aber der private Konsum, der vom Beschäftigungsboom und kräftigen Lohnzuwächsen profitiert, stützt die Konjunktur und schützt uns noch vor außenwirtschaftlichen Verwerfungen.
Kooths: Es sind nicht nur die neoprotektionistischen Tendenzen, die die deutsche Wirtschaft gefährden. Der Aufschwung geht mittlerweile in sein viertes Jahr. Doch unter der Oberfläche haben sich große Risiken angesammelt. Die Europäische Zentralbank (EZB) drückt die Zinsen seit Jahren künstlich nach unten und verzerrt so die Produktionsstrukturen. Setzt die EZB die lockere Geldpolitik fort, werden die Fehlinvestitionen zunehmen und das künftige Wachstumspotenzial gefährden.
Wissenswertes zum internationalen Handel
Die Frage, ob Handel gut oder schlecht ist, gilt in der Volkswirtschaftslehre längst als geklärt. Eine weit überwiegende Mehrheit von Ökonomen vertritt die Meinung, dass internationale Arbeitsteilung nützlich ist und den Wohlstand steigert. Indes unter einer wichtigen Voraussetzung: Die Regeln müssen fair sein, damit das Kräfteverhältnis zwischen den Handelspartnern nicht aus dem Gleichgewicht gerät. Das kann auf verschiedenen Wegen erreicht werden - nachfolgend eine Übersicht.
Einfache Handelsverträge etwa zwischen zwei Ländern sind die unkomplizierteste Form von Handelsabkommen. Im Gegensatz etwa zu multilateralen Vereinbarungen sind nur zwei Parteien an den Verhandlungen beteiligt, was eine Einigung deutlich vereinfacht. Zudem geht es bei solchen Verträgen meistens nur um Handelsströme, insbesondere die Höhe von Zöllen. Andere Fragen wie Umweltstandards werden meist ausgeklammert. Das führt jedoch zum größten Nachteil solcher Abkommen: Von ihnen kann nicht erwartet werden, dass sie zwei Wirtschaftsräume umfassend miteinander verbinden, weil viele Fragen ungeklärt bleiben.
Wollen zwei oder mehr Länder über den Tausch von Waren und Dienstleistungen hinausgehen und ihre wirtschaftlichen Beziehungen umfassend regeln, werden die benötigten Abkommen umfangreicher und komplexer. Beispiele sind das zwischen der EU und den USA angedachte TTIP, das asiatisch-pazifische Abkommen TPP oder das asiatische Freihandelsprojekt RCEP. Derartige Abkommen regeln nicht nur Handelsfragen oder Zölle. Vielmehr geht es auch um Fragen des Verbraucherschutzes, der Umweltverträglichkeit von Waren und Diensten, den Schutz von Unternehmensinvestitionen oder die Angleichung von Produktstandards. Die Länder versprechen sich davon einen noch reibungsloseren Handel und mehr Wohlstand.
Eine Steigerung zu TTIP & Co. sind feste Verbünde aus mehreren souveränen Staaten. Als Paradebeispiel gilt die Europäische Union (EU), die nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine - wenn auch unvollendete - politische Union ist. Die Beziehungen der Länder sind über den EU-Vertrag geregelt. Der gemeinsame Binnenmarkt der EU verfügt über weitgehende Bewegungsfreiheit von Gütern, Dienstleistungen, Arbeitnehmern und Kapital. Auch sind viele rechtliche Fragen stark angeglichen, was Kritikern mitunter zu weit geht. Großbritannien bemängelte die Vereinheitlichung schon lange, beschloss den Austritt aber vor allem wegen des Zustroms ausländischer Arbeitskräfte. Wie kompliziert ein Abschied aus einem Wirtschaftsverbund ist, wird der Brexit zeigen.
Die WTO ist quasi eine Dachorganisation für den Welthandel. Ihr gehören 164 Mitgliedsländer an, darunter die Staaten der Europäischen Union, die USA und China. Die WTO als Handelsverbund zu bezeichnen, ginge viel zu weit. Vielmehr soll die Organisation die allgemeinen Regeln für den Handel überwachen und weiterentwickeln. Der Einfluss der WTO auf ihre Mitglieder ist indes begrenzt und basiert vor allem auf Kooperation. Eigene Sanktionsmittel im Falle des Regelbruchs hat die WTO im Grunde nicht.
Mit der Globalisierung galt der Protektionismus eigentlich als überwunden. Er ist das Gegenteil von Freihandel, weil dabei versucht wird, sich nach außen abzuschotten. Dazu dienen hohe Einfuhrzölle und -verbote, verbunden mit der Subventionierung eigener Exporte. Protektionismus kennt nach ökonomischer Lehre keine Gewinner, weil meist Vergeltungsmaßnahmen ergriffen werden. Ergebnis ist ein kleineres und teureres Güterangebot, das den Wohlstand verringert. Dennoch will US-Präsident Donald Trump der amerikanischen Industrie zu neuem Glanz verhelfen, indem er sie vor ausländischer Konkurrenz schützt. Kritiker wenden ein, dass nicht nur die Globalisierung, sondern auch die fortschreitende Technisierung für den Verlust von Arbeitsplätzen verantwortlich sei.
Derzeit halten sich die Unternehmen mit Investitionen aber zurück ...
Horn: ... weil sie extrem verunsichert sind. Sie fragen sich, ob es den Euro-Raum in einigen Jahren noch geben wird. Das hält sie davon ab, ihre Kapazitäten zu erweitern. Die EZB hält die Zinsen richtigerweise niedrig, weil sie hofft, dass die Unternehmen dann mehr investieren.
Sie tun es aber nicht.
Horn: Deshalb muss die Geldpolitik durch die Finanzpolitik unterstützt werden. Wir brauchen einen öffentlichen Investitionsschub im Euro-Raum.
Was die Schulden in die Höhe treibt.
Horn: Die EU-Schuldenregeln sind ökonomisch willkürlich gewählt. In keinem Lehrbuch steht, dass Haushaltsdefizite maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen dürfen. Die Regeln sind ein starres Korsett, in dem sich die Wirtschaft nicht entfalten kann. Daher benötigen wir mehr fiskalpolitische Flexibilität.
Kooths: Die Euro-Zone leidet darunter, dass es keine gemeinsame Vorstellung über die Bedeutung von Regeln gibt. Deutschland setzt auf Regelbindung, Staaten wie Frankreich und Italien lehnen Regeln ab, weil sie mehr Spielraum für Interventionismus wollen. Solange sich an diesem Dissens nichts ändert, bleibt der Euro-Raum ein fragiles Gebilde. Konjunkturprogramme, wie Herr Horn sie fordert, würden die Konjunktur in Deutschland überhitzen. Dem Boom folgt der Bust auf dem Fuße. Auch im übrigen Euro-Raum sind Konjunkturprogramme fehl am Platz. Die dort seit Jahren währende Schwächephase zeigt, dass die Länder unter strukturellen Problemen leiden – denen man mit Konjunkturprogrammen nicht beikommt.
Horn: Sie machen einen fundamentalen Denkfehler: Sie trennen zwischen Konjunktur und Wachstum. Wenn Unternehmen investieren, kurbelt das die Nachfrage nach Investitionsgütern und damit die Konjunktur an. Andererseits steigen dadurch die Produktionsmöglichkeiten, was das langfristige Wachstumspotenzial erhöht. Daher macht es in jedem Fall Sinn, die Investitionen zu steigern.
Kooths: Das ist reines Tonnendenken nach dem Motto: Mehr ist immer besser. Tatsächlich kommt es aber darauf an, einen marktfähigen Kapitalstock aufzubauen. Das können nur die Unternehmer leisten, die bei Investitionen nach Rentabilitätsgesichtspunkten entscheiden. Investitionen und Produktion müssen letztlich dem Konsum dienen. Das tun sie nur, wenn sie durch Marktsignale gesteuert werden.