Ökonom Stefan Kooths "Das Schicksal des Euro entscheidet sich an den Wahlurnen“

Der Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Stefan Kooths, warnt vor einer Dauer-Niedrigzinszone in Europa und sieht die EZB in einem Dilemma.

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EZB-Gebäude in Frankfurt. Quelle: dpa Picture-Alliance

WirtschaftsWoche: Professor Kooths, die Steuerquellen in Deutschland sprudeln, der Staat schwimmt im Geld. Was soll der Finanzminister mit den Einnahmeüberschüssen machen?

Stefan Kooths: Die Überschüsse sind eine Folge der guten Konjunktur. Die Wirtschaft wächst derzeit schneller als im langjährigen Durchschnitt. Wir erwarten für dieses Jahr ein Plus beim Bruttoinlandsprodukt von 1,7 Prozent. Dazu kommt, dass der Staat auf der Ausgabenseite von den niedrigen Zinsen profitiert, die ihm nicht zuletzt die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank beschert. Beides,  Konjunktur und Zinsen, werden aber nicht ewig so günstig für den Staat bleiben. Unter stabilitätspolitischen Gesichtspunkten sollte der Finanzminister mit den Einnahmenüberschüssen daher in erster Linie Schulden tilgen.

Die EZB schreibt sich den Aufschwung auf die Fahnen. Ohne die niedrigen Zinsen, so argumentiert sie, hätte sich die Wirtschaft nicht erholt.

Die niedrigen Zinsen haben die Wirtschaft angekurbelt. Doch müssen wir uns fragen, ob der Boom gesund ist. Die künstlich nach unten gedrückten Zinsen lösen Fehlinvestitionen aus und verzerren die Produktionsstruktur der Wirtschaft. Langfristig besteht die Gefahr, dass wir in eine Zombifizierungs-Spirale abrutschen, die unseren Wohlstand schmälert.

Was meinen Sie damit?

Die Banken geben die niedrigen Zinsen bei der Kreditvergabe an die Unternehmen weiter. Das hält Firmen im Markt, die eigentlich nicht mehr lebensfähig sind. Die sinkenden Ausfallraten bei den Krediten veranlassen  die Banken dazu, die Ausfallprämien bei den Zinsen zu reduzieren. Das schmälert die Fremdkapitalkosten der Unternehmen zusätzlich und hält weitere marode Betriebe am Leben. So wird der Strukturwandel ausgebremst. Das Produktivitätswachstum lässt nach, unser Wohlstand fällt geringer aus als es sonst der Fall wäre.

Kritiker fordern die EZB auf, die Zinsen rasch anzuheben…

…was sie aber nicht tun wird.

Warum?

Die EZB ist zur Gefangenen der Märkte und der Regierungen geworden. Sie wollten den Politikern mit niedrigen Zinsen Zeit kaufen, tatsächlich aber hat sie den Druck des Marktes ausgehebelt und die Konsolidierungs- und Reformanreize in den Ländern der Währungsunion geschmälert. Nun zögert sie den Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik hinaus, weil sie weiß, wie schwierig er wird.

Was bedeutet das für die Zukunft der Währungsunion?

Im schlimmsten Fall wird der Euroraum zu einem Weichwährungsgebiet, bei dem die Symptome unterlassener Strukturreformen und mangelnder Haushaltskonsolidierung immer wieder durch billiges Geld überdeckt werden, ähnlich wie es in Italien und Frankreich in den Jahrzehnten vor der Einführung des Euro üblich war. Grundlage für eine stabile Entwicklung im Euroraum ist ein gemeinsames monetäres Grundverständnis. Sollten die im Maastricht-Vertrag vereinbarten Voraussetzungen für eine stabilitätsorientierte Geldpolitik nicht mehr im Konsens getragen werden, dann bleibt als einzig glaubwürdiger Ausstieg aus dieser Politik für die stabilitätsorientierten Mitgliedsländer nur, die Währungsunion zu verlassen. Für die Deutschen bedeutete dies freilich einen einmaligen Vermögensverlust. Dieser wird aber mit der Zeit nicht kleiner, sondern größer.

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