Mahid Al-Saigh vom Information Departement der Opec setzt ganz auf die Erinnerung an alte Größe, als er vor die chinesischen Studenten im Pressesaal tritt. Das Symbol der Opec – vier gekreuzte Fässer – prangt als Einstecknadel am Sakko des Irakers mit dem fein getrimmten Schnauzer. Um die gelangweilten Touristen zu unterhalten, legt Al-Saigh ein Video über die Entstehung der Opec ein.
Unterlegt mit dramatischer Hintergrundmusik, feiert die Organisation darin ihre Gründung 1960 und den Sieg über die westlichen Ölkonzerne, die sogenannten sieben Schwestern, die bis dahin die gesamte Lieferkette kontrollierten. Das Video zeigt, wie aus dem Zusammenschluss der Länder Iran, Irak, Kuwait, Saudi-Arabien und Venezuela das machtvolle Bündnis entstanden ist.
Verstaubte Erinnerungen
Ein Hit ist das Video bei den jungen Zuschauern im Pressesaal erkennbar nicht. Und auch als Al-Saigh die chinesische Reisegruppe danach durch das Opec-Gebäude führt, vorbei an langen Gängen mit Bildern von Minaretten in Saudi-Arabien und einer Art kubistischen Würfelansicht aus verschleierten Frauen im Irak, kann er seine Zuhörer nicht recht fesseln.
Fracking
Fracking an sich war gar nicht verboten. Es gab nur ein Moratorium, also eine Art Stillhalteabkommen der Gasförderer mit der Politik. Sie stellten keine Anträge und warteten auf ein Gesetz. Fracking in Sandstein, sogenanntes konventionelles Fracking, gibt es in Deutschland seit den 60er Jahren. Meist ist mit Fracking aber die „unkonventionelle“ Förderung von Gas etwa in Schiefergestein gemeint. Das ist die Methode, die aus den USA bekannt ist. Unkonventionelles Fracking wird verboten – höchstens vier Probebohrungen in ganz Deutschland zu wissenschaftlichen Zwecken werden erlaubt.
Die Länder dürfen entscheiden, ob es bei ihnen Probebohrungen für die Wissenschaft geben soll. Keinem Bundesland kann Fracking „aufgezwungen“ werden. Das freut vor allem Nordrhein-Westfalen, wo Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) gleich sagte, mit ihr werde es das nicht geben. Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies ist ebenfalls zufrieden – er will der konventionellen Förderung in Niedersachsen „eine Zukunft geben“.
Es ist überall dort verboten, wo es ums Trinkwasser geht - in Wasserschutz- und Heilquellenschutzgebieten, an Talsperren und Seen wie dem Bodensee, die zur öffentlichen Wasserversorgung dienen. Nicht nur das Bergrecht, auch das Wasserrecht bestimmt künftig, wo Erdgas so gefördert werden darf. Die kommunale Wasserwirtschaft und die Wasserversorger finden das gut: „Es trägt zum Trinkwasserschutz bei. Die derzeit unklare Lage schadet dem Schutz unserer Wasserressourcen“, sagt Martin Weyand, der Hauptgeschäftsführer der Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).
Der ursprüngliche Gesetzentwurf, den das Kabinett im April 2015 verabschiedet hatte, war nicht so streng wie der jetzt gefundene Kompromiss. Fracking ist in vielen Wahlkreisen in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ein gewaltiges Thema – sowohl in der Union als auch bei der SPD forderten daher Abgeordnete Nachbesserungen. In SPD-Kreisen hieß es zuletzt, der Entwurf liege bei den Fraktionschefs, aber die Union blockiere eine Einigung.
Grüne und Linke sind, jedenfalls auf Bundesebene, gegen Fracking mit Chemikalien. Erst im April hatten die Grünen mit einem Gesetzentwurf den Bundestag aufgescheucht. Sie wollten Fracking nach dem Bergrecht verbieten und darüber namentlich abstimmen lassen – keine einfache Sache für Abgeordnete, die in den heimatlichen Wahlkreisen nicht als Fracking-Freunde dastehen wollten. In Fraktionskreisen wurde geseufzt: „Bei dem Thema kann man nur verlieren.“
Weder SPD noch die Union haben Interesse daran, sich im Wahlkampf mit dem Aufreger-Thema Fracking herumzuschlagen. Eine Einigung vor der Sommerpause hilft allen. Den Ausschlag gab wohl Druck aus Niedersachsen, wo rund 95 Prozent der deutschen Erdgas-Vorkommen liegen. Förderunternehmen dort hatten angekündigt, wieder Anträge zu stellen, auf die sie freiwillig verzichtet hatten. Ein guter Anlass für die Bundes-Fraktionschefs Thomas Oppermann und Volker Kauder, die Sache zu klären.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) nennt die Einigung „haarsträubend“. Die Gefahren, die die Methode für Gesundheit, Natur und Trinkwasser berge, seien nicht gebannt, sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. Umweltschützer befürchten vergiftetes Trinkwasser oder sogar Erdbeben durch Fracking. Zudem werde die Ära der fossilen Brennstoffe verlängert. „Um die schlimmsten Folgen des Klimawandels zu vermeiden, müssen Kohle-, Öl- und Gasvorräte im Boden bleiben“, fordern Umweltschützer.
Dabei ist die Geschichte der Opec nicht eben arm an Dramatik. Etwa jenen Tagen, als 1975 durch ein Terrorkommando unter der Führung des venezolanischen Terroristen Ilich Ramírez Sánchez, genannt Carlos, die Wiener Opec-Zentrale besetzt wurde, damals eben noch das Symbol der Weltpolitik. Doch die Geschichte interessiert die chinesischen Besucher nicht sonderlich. „Was bedeutet das Fracking der Amerikaner für die Opec?“, will eine chinesische Wirtschaftsstudentin lieber wissen. Ausgerechnet.
Al-Saigh sieht die Fragestellerin lange an, mit angespanntem Gesicht, er überlegt sich seine Antwort sehr genau. „Das Fracking-Verfahren ist extrem umweltbelastend und gerade in Zeiten des Klimawandels höchst fragwürdig“, sagt er schließlich. „Zudem wissen wir nicht, wie reichhaltig die Quellen in Amerika wirklich sind.“
Wie scharf die Opec das Fracking der Amerikaner beobachtet, berichtet Al-Saigh danach im Gespräch mit der WirtschaftsWoche: „Es gibt durch das Fracking ein Problem im Ölmarkt, und das haben wir erkannt. Nun beobachten wir diese Situation und ihren Verlauf sehr genau. Und dann werden wir entsprechend handeln.“
Was den Ölpreis bestimmt
Der Ölbedarf hängt stark von der Konjunktur ab. Mit zunehmenden Wirtschaftswachstum steigt auch der Ölverbrauch. So ist der Bedarf nach Öl in den boomenden Schwellenländern China, Indien und Russland in den vergangenen Jahren massiv gestiegen und hat diese Länder zu den größten Ölverbrauchern der Welt gemacht. Hinzu kommen saisonale Einflüsse, etwa vor dem Winter mit steigendem Heizölbedarf oder der so genannten „Driving Season“ in den USA, weil dann der Benzinverbrauch sprunghaft steigt.
Der Ölpreis hat kaum Auswirkungen auf die Nachfrage, da der Ölverbrauch bei steigendem Ölpreis nicht einfach so eingeschränkt werden kann – man spricht von einer preisunelastischen Nachfrage.
Der Verbund der Erdöl fördernden Länder spricht sich regelmäßig bezüglich der Fördermenge ab, was natürlich Auswirkungen auf den Ölpreis hat. Sollten sich vor allem die arabischen Länder auf ein Senkung der Fördermenge einigen, verknappt dies das Angebot und treibt den Preis für Rohöl.
Erdöl ist grundsätzlich ein knappes Gut, aber es herrscht auch viel Unsicherheit darüber, wie lange die Vorkommen reichen. Hinzu kommt, dass mit steigendem Ölpreis auch der Abbau nur zu höheren Produktionskosten abbaubarer Ölvorkommen eher lohnt, z.B. die Ölgewinnung aus Ölschiefer, Ölsand oder durch Tiefsee-Bohrungen. Außerdem neigen die großen Raffinerien ebenso wie Staaten dazu, ihre Lagerhaltung auszuweiten, wenn der Ölpreis starken Schwankungen unterliegt. Stocken diese Marktteilnehmer ihre Lagerbestände massiv auf, sorgt die erhöhte Nachfrage kurzfristig für neue Preishochs.
An den Börsen wird Öl in Form von Terminkontrakten gehandelt. Die Marktteilnehmer kaufen also Öl, das erst zu einem späteren Zeitpunkt zum vereinbarten Preis geliefert wird. Vom Spotpreis wird gesprochen, wenn es sich um kurzfristige Terminkontrakte handelt, bei denen das Öl innerhalb von zwei Wochen geliefert wird. Längerfristige Terminkontrakte können auch für Spekulanten attraktiv sein.
Der US-Dollar ist die Standardwährung im Rohstoffmarkt. Eine Änderung des Dollar-Kurse hat somit Einfluss auf die Ertragslage des Erdölexporteurs. Auf Staatenebene spielt dabei eine Rolle, wie viele Güter in der Handelsbilanz stehen, die in Dollar bezahlt werden. Die erdölexportierenden Länder haben daher Interesse daran, bei einem fallenden Dollarkurs die Exportpreise für Erdöl etwa durch Angebotsverknappung anzuheben.
Wie genau die Opec handeln will, bleibt die große Unbekannte in diesem geopolitischen Machtpoker.
Den Ölpreis kann das Bündnis derzeit jedenfalls nicht bewegen. Zwar produziert die Opec immer noch rund 40 Prozent des weltweiten Rohöls, und ihre Mitgliedstaaten verfügen über zwei Drittel der globalen Ölquellen. Doch die Macht des Kartells scheint gebrochen: Selbst als die Opec-Staaten im Januar dieses Jahres eine Förderbremse bis März 2018 beschlossen, führte dies nur kurzfristig zu einem leichten Anstieg des Ölpreises.
Was kann die Opec dann überhaupt noch bewirken?
Antworten auf diese Fragen bekommt man wenige Gassen vom Opec-Gebäude entfernt. Die Analysten von JBC Energy residieren in einem Altbau in der Wiener Innenstadt. Alexander Pögl, Leiter der Geschäftsentwicklung von JBC Energy, steht in einem Konferenzraum vor einem Regal, gefüllt mit kleinen Fläschchen voller Erdöl.
„Bitumen“, „Kerosin“, „Rohöl“, „Heizöl“ steht auf den Etiketten. Pögl schüttelt die Fläschchen und demonstriert, wie unterschiedlich die einzelnen Flüssigkeiten reagieren. Manche wippen wie Wasser, andere bleiben zähflüssig in ihrer angestammten Form.
Chaos im Bündnis
Seit zehn Jahren analysiert Pögl den Ölmarkt. Die Entwicklung des Frackings hat den Experten genauso wie alle anderen Marktbeobachter überrascht. Mit ihr drehten sich Pögls Zahlen und Prognosen drastisch und zogen den Ölpreis von mehr als 100 Dollar pro Barrel im Sommer 2014 stetig nach unten.
Doch nicht nur das Fracking sei schuld am Verfall des Ölpreises, sagt der Experte: „Auch viele Nicht-Opec-Länder wie Kasachstan oder Brasilien steigern ihre Produktionskapazitäten gerade in jüngster Vergangenheit wieder massiv und verändern damit den globalen Markt.“