Die rund 70 gebildeten Herrschaften, die sich an einem Novembertag in Berlin-Mitte versammelt haben, vereint vor allem eines: ihr gemeinsames Feindbild. Sie debattieren über das „fraktionale Reservesystem“, also die Art und Weise, wie das Geld heutzutage in die Welt kommt. Die versammelten Volkswirte der „Vollgeld-Initiative“ machen es für ziemlich alles verantwortlich, was aus ihrer Sicht in den Finanzzentren der Welt schiefläuft. „Spätestens in der Finanzkrise hat sich bei mir der Verdacht verdichtet, dass nicht die Akteure, sondern das System selbst zum Problem geworden ist“, spricht Thomas Mayer in den Saal des Tagungszentrums. Applaus kommt zurück. Mayer war bis vor zwei Jahren Chefvolkswirt der Deutschen Bank, für die versammelten Vertreter der Vollgeld-Initiative ist er so etwas wie die Eintrittskarte ins Establishment. Gerade hat Mayer sein Buch „Die neue Ordnung des Geldes“ veröffentlicht, eine Abrechnung mit dem aktuellen Finanzsystem. Wenn nun schon ein Insider wie Mayer ihnen die Ehre erweist, dann kann es nicht mehr weit sein bis zur Revolution. Mayer fährt fort: „Seitdem habe ich nach einem Hammer gesucht, mit dem ich den Nagel in die Wand schlagen kann –bei Ihnen bin ich fündig geworden.“
Europas Bankentests in Zahlen
...hartes Kernkapital müssen Banken am Ende von Bilanzcheck und Stresstest mindestens vorweisen. Kapital also, das im Falle von Verlusten uneingeschränkt zur Verfügung steht.
...aus Deutschland hat die EZB unter die Lupe genommen: 23 deutsche plus den Deutschland-Ableger der schwedischen SEB.
Spätestens 48 Stunden vor Veröffentlichung der Daten am Sonntag, 26. Oktober, 12.00 Uhr, wollen die Aufseher die Institute über ihre jeweiligen Resultate informieren.
...werden vom 4. November an zentral von der EZB überwacht.
...hat die Bankenaufsicht EBA im Stresstest untersucht, darunter auch in Nicht-Euro-Ländern wie Großbritannien oder Dänemark.
...nahm die EZB unter die Lupe.
...waren allein in Deutschland mit der Überprüfung der Banken beschäftigt.
...für die Bankentests, anhand der Daten zum Bilanzstichtag 31. Dezember wurde gerechnet.
...waren in ganz Europa mit den Tests befasst - plus zahlreiche Mitarbeiter bei den einzelnen Banken.
...sehen viele Banken die Kosten für die Übung.
...kosten die Bankenchecks nach Berechnungen der „Financial Times“ allein die EZB und Aufsichtsbehörden aus 8 Ländern.
Es spricht einiges dafür, dass die Initiative bald noch mehr Gehör findet. Der Ritterschlag durch Ökonom Mayer ist nur ein Anzeichen des Unwohlseins, das vielerorts in Europa um sich greift: Wie lange kann es noch gut gehen, dass Banken und Zentralbanken mit utopisch klingenden Geldsummen um sich werfen? Welchen Schaden richtet ein System an, in dem Notenbanken und Geschäftsbanken quasi auf Knopfdruck Geld in die Welt schießen, das anschließend die Preise von Aktien, Immobilien und Waren in die Höhe treibt?
In der Schweiz steht in einer Woche eine Initiative zur Abstimmung, die diesem Unwohlsein erstmals eine Stimme geben wird. Die Goldinitiative will die Schweizerische Nationalbank (SNB) verpflichten, mindestens 20 Prozent ihrer Reserven in Gold zu halten – und nie wieder Gold zu verkaufen. Schon jetzt versetzt die Initiative die Märkte in Aufruhr, die Kurse für Gold und Schweizer Franken sind umkämpft wie lange nicht. Der Grund: Kommt die Initiative durch, müsste die SNB Gold nachkaufen, um dessen Anteil an den Währungsreserven von derzeit 7,5 Prozent auf die angestrebten 20 Prozent aufzustocken. Das könnte dem Goldpreis mächtig Auftrieb geben.
2014 – ein heikles Jahr für die EZB
In gebührendem Abstand zu den Bankentürmen im Westend entsteht in Frankfurt das neue Hauptquartier der EZB. Wann genau die Notenbanker dort einziehen werden, ist noch nicht klar - geplant ist aber 2014. Die EZB bleibt aber auch im Frankfurter Euro-Tower. Hier werden die Bankenaufseher untergebracht. Geldpolitiker und Aufseher sollen also nach den Umzügen nicht unter einem Dach arbeiten - Interessenskonflikte sollen so auf ein Minimum reduziert werden.
Sabine Lautenschläger ist anstelle von Jörg Asmussen ins EZB-Direktorium eingezogen. Ebenfalls neu ist Lettlands Zentralbankchef Ilmars Rimsevics. Lettland ist das 18. Land, das den Euro eingeführt hat.
Lautenschläger, Rimsevics und die anderen Notenbanker müssen sich an eine neue Offenheit der EZB gewöhnen. Die Zentralbank könnte schon bald wie etwa die Federal Reserve in den USA Protokolle oder zumindest schriftliche Zusammenfassungen der Sitzungen des EZB-Rats publik machen.
Draghi will dem EZB-Rat dazu schon bald einen konkreten Vorschlag machen. Umstritten ist, wie genau sich die Öffentlichkeit künftig ein Bild vom Abstimmungsverhalten der einzelnen Notenbanker machen kann.
Die EZB geht mit einem rekordniedrigen Leitzins ins Jahr 2014: Seit November können sich die Geschäftsbanken bei ihr für 0,25 Prozent Zinsen refinanzieren. Zudem hat der EZB-Rat beschlossen, dass die Institute noch bis mindestens Mitte des übernächsten Jahres so viel Liquidität bekommen, wie sie bei der EZB abrufen - ohne Obergrenze. Damit ist das Finanzsystem zwar geschützt gegen Liquiditätsengpässe, doch stockt der Kreditfluss in den besonders krisengeplagten Ländern Südeuropas.
Zudem ist die Inflation in der Eurozone aus Sicht der Notenbanker zu niedrig. Die Zentralbanker betonen seit der letzten Zinssenkung, dass sie noch zahlreiche Pfeile im Köcher haben. Dazu gehören unter anderem weitere milliardenschwere Geldspritzen, um die Banken flüssig zu halten, sowie ein Strafzins für Banken, die Gelder lieber bei der EZB parken, als sie an Unternehmen und Haushalte als Kredit weiterzureichen.
Wenn die EZB wie geplant im November 2014 die Oberaufsicht über die Banken der Währungsunion übernimmt, hat sie zumindest die 128 größten Institute bereits auf Herz und Nieren geprüft. Denn in den nächsten Monaten steht der größte Gesundheitscheck der Branche auf dem Programm, den es je gegeben hat.
Ziel der EZB ist es, die Banken möglichst besenrein, also ohne schlummernde Altlasten in den Bilanzen, zu übernehmen.
Doch damit nicht genug. Eine Goldquote legte der SNB Fesseln an. Ihr Ziel, den Franken-Wechselkurs zum Euro nicht unter 1,20 sacken zu lassen, wäre kaum mehr zu realisieren. Um den Wechselkurs gegen den Aufwertungsdruck zu verteidigen, hat die SNB bisher in großem Stil Euro gekauft und das Bankensystem mit Franken geflutet. In Zukunft müsste sie bei Interventionen am Devisenmarkt neben Euro auch Gold kaufen, um dessen Anteil bei 20 Prozent zu halten.
Zäsur für das System
Für das globale Währungssystem wäre das eine Zäsur. Eine der wichtigsten Notenbanken der Welt verlöre ihre Flexibilität, ihr geldpolitischer Aktionsradius wäre eingeschränkt. Zum ersten Mal seit dem Zusammenbruch des Währungssystems von Bretton Woods 1971 rückte Gold wieder in das Zentrum der Geldpolitik.
Genau das dürfte der Grund sein, warum die Schweizer Goldinitiative prominente Unterstützung aus Amerika erhält. „Die Schweizer sind stolz darauf, wie ihre Vorfahren dafür gekämpft zu haben, eine starke Währung mit einer soliden Golddeckung zu schaffen“, sagt Ron Paul. Paul ist nicht irgendwer. Der ehemalige Kongressabgeordnete und frühere US-Präsidentschaftskandidat ist die Galionsfigur der libertären Bewegung in Amerika. Wie viele Beobachter, denen das zügellose Gelddrucken der großen Notenbanken Bauchschmerzen bereitet, hofft er, dass von der Schweiz ein Signal ausgeht, das rund um den Globus gehört wird. Paul, der in seinem Buch „End the Fed“ für die Abschaffung der US-Notenbank plädiert, ist Anhänger der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Auch Ex-Deutsche-Bank-Chefökonom Mayer hat die Lehren der Österreicher in den vergangenen Jahren für sich entdeckt. Deren wichtigste Vertreter waren Ludwig von Mises, Friedrich von Hayek und Murray Rothbard. Schon zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts analysierte Mises, wie das fraktionale Reservesystem den Banken im Zusammenspiel mit den Zentralbanken die unlimitierte Ausweitung von Geld und Kredit erlaubt – und so zur Ursache von schweren Rezessionen, Bankenkrisen und ungerechtfertigten Umverteilungen von Einkommen und Vermögen geworden ist.