„Sonstige“ Parteien Mit Yoga in den Bundestag

Neben den etablierten Größen treten bei der Bundestagswahl auch mehr als 30 kleine Parteien an – die „Sonstigen“ eben. Doch wofür stehen die überhaupt? Und hilft das Kreuz für eine Spaßpartei in Wirklichkeit der AfD?

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Die Ökologisch-Demokratischen Partei ist eine der 35 kleinen Parteien, die am Sonntag zur Wahl stehen. Quelle: dpa

Düsseldorf Manch ein Laternenpfahl ist so zugepflastert mit Plakaten, dass die einzelnen Parteien kaum noch rausstechen aus dem Wust von beliebigen Sprüchen. „Soziale Gerechtigkeit jetzt“ (SPD), „Jetzt wieder verfügbar: Wirtschaftspolitik“ (FDP), nicht zu vergessen: „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ (CDU). Aber ganz unten sticht ein kunterbuntes Plakat heraus: „Für ein Deutschland, in dem wir supi dupi und mega nice leben“, steht darauf. Es ist das Wahlplakat der Satirepartei mit dem schlichten Namen „Die Partei“. Und die sorgt in diesen Tagen ganz schön für Furore im Netz.

Martin Kaul von der Zeitung „taz“ findet sie „elitär, bourgeois und amoralisch.“ Sascha Lobo befindet bei „Spiegel Online“: „Man muss es sich leisten können und wollen – angesichts der Welt zwischen Trump, AfD und Tausenden Toten im Mittelmeer –, seine Stimme im ironischen Klosett runterzuspülen.“ Andere wollen ihre Stimme gerade deswegen einer Spaßpartei geben. Die Satirepartei von Ex-Titanic-Chef Martin Sonneborn stößt damit eine Debatte über das Kreuzchen für eine der „sonstigen“ Parteien an. Bei der Bundestagswahl 2017 treten insgesamt 42 Parteien an, von denen wahrscheinlich nur die ersten sieben wirklich bekannt sind.

CDU, CSU, SPD, Linke, Grüne, FDP und AfD hängen mit ihren Plakaten an vielen Ecken – ihre Forderungen sind allgegenwärtig. Von den anderen 35 Parteien sind nur vier in ganz Deutschland wählbar, 23 stehen auf einzelnen Landeslisten, und nur acht treten mit Wahlkreiskandidaten an. Sie sind wählbar und genau wie die sieben bekannteren Parteien auf Stimmenfang. Aber immer wieder wird der Vorwurf laut: Wer seine Stimme einer der kleinen Parteien gibt, unterstütze damit eigentlich die Alternative für Deutschland (AfD). Denn je mehr Stimmen an die anderen Parteien im Bundestag gingen, desto weniger Sitze bekäme die rechtspopulistische AfD, so die Rechnung der Kritiker.

„Die Partei“ gilt nicht umsonst als Spaßpartei. Die Forderungen für die Bundestagswahl sprechen für sich: Sie macht sich für die Kopplung von Manager-Gehältern an die BH-Größe, eine bundesweite Bierpreisbremse und eine „nachweisbare Gläserleerstandsquote“ stark. Auch im EU-Parlament, wo Sonneborn bei der Europawahl 2014 einen Sitz im Parlament ergattern konnte, macht der Parteivorsitzende immer wieder von sich reden, wenn er zum Beispiel dem damaligen Digitalkommissar Günther Oettinger (CDU) auf einer Anhörung Fragen stellt und ihn bittet, diese auf Englisch zu beantworten.

Aus eben diesen Gründen ruft taz-Autor Kaul dazu auf, die Satirepartei nicht zu wählen: „Es geht um deine Wahl und um deine Verantwortung, und dann, irgendwann, also falls, werde ich dich einmal fragen: ‚Was hast du getan, als 2017 die AfD ins Parlament kam?‘ und du wirst mir antworten müssen: ‚Ich habe eine Spaßpartei gewählt.‘“

Medienkritiker Stefan Niggemeier bringt den Streit auf seinem Twitteraccount auf den Punkt: Eine Stimme für die Spaßpartei wäre verschenkt, „weil sie nicht dazu beiträgt, dass die AfD weniger Sitze bekommt“. Denn „Die Partei“ werde es mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in den Bundestag schaffen, twittert Niggemeier – und die meisten anderen „Sonstigen“ wahrscheinlich auch nicht.

Also alles Spaßparteien außer den Großen? Wer sind diese „sonstigen“ Parteien und wofür setzen sie sich ein?

Bei den Freien Wählern geht das Rätselraten oft schon los, dabei ist diese Gruppierung in allen Bundesländern wählbar, und das können immerhin nur drei der anderen Splitterparteien von sich behaupten. Trotzdem weiß kaum jemand, wofür die 6.000 Mitglieder starke Partei eigentlich steht. Komisch, denn ihr aktuelles Wahlprogramm orientiert sich an verschiedenen Grundwerten – da müsste doch eigentlich für jeden was dabei sein: Gemeinschaft und Respekt, Anstand und Ordnung, Sicherheit und Stabilität, Ehrlichkeit und Fleiß, Familie und Ehe, Demokratie und Bürgertum sowie Region und Heimat.

Die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschland (MLPD) dürfte auch von dem ein oder anderen Wahlplakat bekannt sein. Sonst hält sich die Partei eher bedeckt und gibt nicht viel preis, auch die genauen Mitgliederzahlen sind nicht bekannt. Ein Detail ist trotzdem öffentlich: Die MLPD überholt in einer bestimmten Kategorie regelmäßig die großen Parteien: Die größte Einzelspende einer natürlichen Person in Höhe von 2,66 Millionen Euro ging auf das Konto der linksextremen Partei.

Eine Partei, die aktuell umso häufiger in den Schlagzeilen steht, ist die Allianz Deutscher Demokraten (ADD). Hier versammeln sich überwiegend türkischstämmige Mitglieder. Sie wurde gegründet, nachdem der Bundestag die Ermordung von bis zu 1,5 Millionen Armeniern während des Ersten Weltkrieges offiziell als Völkermord bezeichnet hatte. Momentan fällt sie in vielen NRW-Städten durch ihre Wahlplakate mit dem Konterfei des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan auf.

Die Vorsitzenden der ADD wurden in der WDR-Doku „Die kleinen Parteien“ gefragt, ob Erdogan mit seiner Aufforderung, nicht die großen etablierten Parteien zu wählen, dazu aufgerufen habe, die ADD zu wählen. Ihre Antwort: Laut Erdogan solle man nicht SPD, CDU und die Grünen wählen, weil diese türkeifeindlich seien. „Und wir können von uns behaupten, dass wir nicht türkeifeindlich sind. Ob er mit der Aussage tatsächlich uns gemeint hat, müssen wir ihn fragen“, erklärt Slcuk Cingi dem Reporter.

Es geht aber auch harmloser, mit flauschigem Fell und großen Kulleraugen. Die Tierschutzpartei setzt bei ihren Wahlplakaten ganz auf das Motto: „Tierkinder ziehen immer“. Irgendwie muss man ja auffallen. Logischerweise steht der Tierschutz bei der Tierschutzpartei damit ganz oben auf der Agenda. Zusätzlich sieht sich die Partei aber auch als Sprachrohr für Menschen, die innerhalb von Gesellschaft und Politik oft übersehen werden.

Darunter fallen für die Tierschutzpartei Homo-, Bi-, Trans- und Intersexuelle, Arme, Kranke, Behinderte oder auch Opfer körperlicher und seelischer Gewalt. Ein wichtiger Themenschwerpunkt, der oft schon aufgrund des abgekürzten Parteinamens nicht vermutet wird. In der langen Version wird das schon deutlicher: „Partei ergreifen! Mensch, Umwelt, Tierschutz“.


Gärten, Hip-Hop und Yoga

Noch mehr Tierliebhaber finden sich in den Reihen der „V-Partei^3“. Die Partei für Veränderung, Vegetarier und Veganer scheint ihren Namen wohlüberlegt zu haben. Sie spricht sicherheitshalber nur Menschen an, die keine Tiere essen. Die Forderungen sind naheliegend: keine Tierschlachtung, keine Tierversuche. Aber das sogenannte Sterbefasten, eine Form des Suizids bei todkranken Menschen, soll unterstützt werden. Obwohl diese Themen eine wachsende Gruppe in Deutschland ansprechen, sind die Veganer nur in Berlin wählbar. Da wohnen aber auch gefühlt die meisten potenziellen Wähler der Trendpartei.

Wer kein Herz für Tiere hat, aber trotzdem gerne etwas für die Umwelt tun möchte, sollte sich die „Magdeburger Gartenpartei“ ansehen. Die Partei setzt sich, wer hätte es gedacht, für den Schutz von Grünflächen und Gartenvereinen ein, möchte sich aber nicht nur „auf Gärtner und Magdeburger“ beschränkt sehen. Kleiner Haken: Die Gartenpartei ist nur in Sachsen-Anhalt wählbar.

Damit nicht das Gefühl aufkommt, alle 35 kleinen Parteien würden sich um Tiere und Gärten kümmern, hat sich die Ökologische Demokratische Partei andere Forderungen überlegt: Die Partei setzt sich für die Begrenzung sowie Neudefinierung des Wachstumsbegriffs ein. Noch konkreter wird es bei den Forderungen für die Zukunft: Ausstieg aus Braunkohle und Kernenergie sowie ein Verbot von Konzern- und Verbandsspenden an politische Parteien. Davon sind mehr als 6.000 Parteimitglieder überzeugt.

Ob das eine vernünftige Zukunftsplanung ist, können die Politiker der „Partei der Vernunft“ (PDV) beantworten – zumindest dem Namen nach. Eigentlich, so Generalsekretär Dirk Hesse, sei seine Partei aber „die kapitalistischste Partei Deutschlands“. Hier steht das Kollektiv über dem Individuum. Doch Ziele wie die Neuordnung des Geld- und Finanzsystems und die Abschaffung der Zentralbanken überzeugten bei der letzten Bundestagswahl nur 0,1 Prozent der Wähler. „Wir treten aber auch nur im Saarland an“, erklärt Hesse. Damit ist die PDV nur von ungefähr einem Prozent der Wahlberechtigten wählbar.

„Die Urbane. Eine Hip-Hop-Partei“, abgekürzt die „du.“, existiert erst seit Mai 2017 und soll eine „urbane, globale, emanzipatorische Bewegung“ sein. Die Partei ist von vier Prozent der Wahlberechtigten wählbar, denn sie steht nur in Berlin auf dem Wahlzettel. Wie der Parteiname schon vermuten lässt, sind die Gründer eine Gruppe von Hip-Hop-Aktivisten. Eine Parteiforderung: „Hip-Hop in der Schule“.

Wie aus Hip-Hop politische Ziele entstehen, können die Kollegen der Partei „Menschliche Welt“ wahrscheinlich noch am ehesten nachvollziehen. Die Partei kommt auch aus dem Bewegungsbereich, hat ihren Schwerpunkt allerdings auf Yoga gelegt. Von einem Yoga-Lehrer gegründet, orientiert sich die „Menschliche Welt“ mit ihren politischen Wünschen an den Lehren eines indischen Philosophen. Das Hauptziel der Partei ist Friedenspolitik: eine Politik der Verhandlung und der Verständigung.

Trotzdem stellt sich unweigerlich die Frage, ob die „Menschliche Welt“ ihre Yoga-Politik Ernst meint – besonders nach ihrem Auftritt in der „heute-show“. Parteivorsitzender Dada Madhuvidyananda sitzt in einem orangenen Gewand samt farblich passendem Turban neben Lutz van der Horst und wird zusammen mit Kandidaten von der Magdeburger Gartenpartei, der „Feministischen Partei“ und der „Geraden Partei“ zu ihren Forderungen befragt.

Wer die „heute-show“ kennt, kann sich die Gesprächsrichtung vorstellen. Madhuvidyananda kannte die Sendung vorher nicht und ist enttäuscht über das Ergebnis. „Aus anderthalb Stunden Drehmaterial wurden fünf Minuten zusammengeschnitten, und da kam dann das Lächerlichste bei raus“, sagt er. Der Vorsitzende ist sich sicher, dass seine Partei ernsthaft wählbar ist. „Uns geht es wirklich darum, als Partei zu wachsen und pragmatische Lösungsvorschläge anzubieten.“

So lustig und locker die Ziele der kleinen Parteien teilweise auch sein mögen, die Wahl am Sonntag ist es nicht. Die Kontroverse um die Splitterparteien zeigt, dass jede Stimme zählt und nicht aus Spaß abgegeben werden sollte. Trotzdem rät Clemens Albrecht, Professor für Soziologie an der Universität Bonn von einer strategischen Wahl ab, denn „keiner weiß, ob die ganzen Vorüberlegungen tatsächlich eintreten.“ Die Befürchtung, dass eine Stimme für die kleinen Parteien am Ende doch die AfD unterstützt, entkräftet er: „Die Stimmen für eine Partei, die dann nicht in den Bundestag kommt, ist zwar verloren, das heißt: Sie wird bei der Zusammensetzung des Bundestages nicht mehr gezählt. Aber davon profitieren alle Parteien, die in den Bundestag kommen – und das ist dann nicht nur die AfD.“

Die Demokratie solle grundsätzlich eher auf der Basis einer Gesinnungswahl funktionieren. Sprich: Jeder wählt die Partei, die seinen politischen Überzeugungen entspricht. Und keine Sorge, sollte das eine kleine Partei sein, ist das Kreuz trotzdem nicht „verloren“. Parteien, die bei der Bundestagswahl mindestens 0,5 Prozent der Stimmen gewinnen, erhalten bis zur nächsten Wahl jährlich 0,70 Cent pro für sie abgegebener, gültiger Stimme.

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