20 Jahre MSC-Siegel Hat nachhaltige Fischerei was gebracht?

Die meisten Fischbestände weltweit gelten als ausgereizt oder überfischt bis hin zu kollabiert. Seit 20 Jahren gibt es das MSC-Siegel für nachhaltige Fischerei. Allen Verdiensten zum Trotz bleiben kritische Stimmen nicht aus.

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Kabeljaufang Quelle: dpa

Überfischte Ozeane. Delfine und Schildkröten als Beifang. Fälle von Sklaverei in der südostasiatischen Fischerei. Das Lebensmittel Fisch hat Kehrseiten, die den Appetit verderben können. Ein Logo mit einem stilisierten Fisch, einem Häkchen und den drei Buchstaben MSC will den Menschen das Ratgeber-Lesen während des Einkaufs ersparen: Das blau-weiße Siegel kennzeichnet Fisch und Meeresfrüchte aus „zertifizierter, nachhaltiger Fischerei“. Vor 20 Jahren wurde der MSC, kurz für Marine Stewardship Council, gegründet. Zeit, um zu fragen, was so ein Siegel leisten kann.

Rückblick: Anfang der 90er Jahre wurde Überfischung zum Thema, als in Kanada tausende Fabrikarbeiter und Fischer ihre Jobs verloren, weil die Kabeljau-Bestände zusammenbrachen. Bis dahin hielten viele die Meere für unerschöpflich. Nun wachten die ersten auf. Bis zur Gründung des MSC vergingen noch Jahre, bis 1997. Zwei ungleiche Partner waren es, die die gemeinnützige Organisation am 10. Dezember ins Leben riefen: die Umweltstiftung WWF und der Weltkonzern Unilever, zu dem damals der Tiefkühlkost-Hersteller Iglo gehörte.

Eine Umweltorganisation und ein großer Fischverarbeiter an einem Tisch. Dass es dazu kommt, spricht Bände. „Die Gründung des MSC war die Ausstellung eines Armutszeugnisses für die Politik“, sagte Robert Habeck, Schleswig-Holsteins grüner Umweltminister, kürzlich bei einer Konferenz zum MSC-Jubiläum in Berlin. Das Siegel als „spinnerte Idee“ - so wird die Gründung rückblickend von vielen bezeichnet - füllte eine Lücke. Vorwürfe in Richtung der Politik gibt es bis heute: „Der MSC wird ein Tropfen auf dem heißen Stein bleiben, wenn sich die Politik nicht ändert“, mahnt Heike Vesper, Leiterin des Internationalen WWF-Zentrums für Meeresschutz.

Der MSC beschreibt sich als Hüter und Entwickler einer Methode, um nachhaltige Fischerei zu überprüfen. Dieser Standard wurde nach MSC-Angaben von „mehr als 200 Wissenschaftlern, Entscheidungsträgern und Industrie- und Umweltgruppen“ entwickelt. Im Kern ist festgelegt, dass Fischer-Unternehmen nicht mehr Fisch fangen dürfen als nachwächst, keine irreversiblen Schäden im Ökosystem hinterlassen dürfen und „vorbildlich“ geführt sein müssen.

Laut der Welternährungsorganisation (FAO) sind bis zu 89 Prozent der kommerziell genutzten Fischbestände ausgereizt, überfischt oder gar zusammengebrochen. Von einer Stagnation spricht der Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei, Christopher Zimmermann. „Wir sehen noch keine globale Trendumkehr, aber es geht auch nicht weiter bergab.“

Aß jeder Deutsche in den 60er, 70er und 80er Jahren noch elf Kilo Fisch und Meeresfrüchte im Jahr, sind es inzwischen mehr als 14 Kilo. Die deutschen Verbraucher, Weißfisch-Fans, gelten als anspruchsvoll, aber preisbewusst: Am liebsten würden sie den Namen von Fisch und Fischer kennen, aber das Produkt solle möglichst nur 99 Cent kosten, beschreibt Iglo-Chefin Antje Schubert die Krux der Branche. Sie sagt: „Das Logo ist heute fast ein Muss.“ Es ermögliche, „Wertschätzung zu kreieren“, „eine Geschichte zu erzählen“. Es ist damit auch ein Schmiermittel, das Verbraucher tiefer in die Tasche greifen lässt.

Der Anteil der MSC-zertifizierten Wildfänge weltweit liegt bei zwölf Prozent und soll bis 2020 auf 20 Prozent wachsen, bis 2030 auf ein Drittel. Mehr als 27.000 Produkte mit Siegel stehen schon in den Regalen weltweit. Arbeit stehe etwa in Südeuropa, Japan, China und Südkorea bevor, gibt MSC-Chef Rupert Howes den Kurs vor.

Wenn der MSC-Anteil weiter wächst, weicht das nicht zwangsläufig den Standard auf? Vorwürfe, der MSC schaue nicht mehr so genau hin und habe das Siegel teils zu Unrecht vergeben, stehen schon länger im Raum. „Bisher sind viele eingestiegen, für die es leicht war, das Siegel zu bekommen“, sagt WWF-Expertin Vesper. Es sind vor allem große Fischereien, die sich die Zertifizierung leisten können. Bei den Kleinen hingegen wächst der Druck: Wie lange können sie noch Fisch ohne Siegel verkaufen? Sie dürften am Ende nicht die Dummen sein, forderte Politiker Habeck.

Mit Blick auf die Zukunft warnte Vesper: Wenn sich schwarze Schafe anhängten, sei das das Schlimmste. Der MSC-nahe Wissenschaftler Zimmermann rechtfertigt die Siegel-Vergabe auch bei umstrittenen Fischereien: In dem man „in kritische Organisationen“ reinwandere, lasse sich am meisten erreichen.

„Ein positiver Effekt durch die Gründung des MSC ist unbestritten“, sagt die Meeresbiologin Sandra Schöttner von Greenpeace. Es habe zu einem Umdenken bei Händlern und Verbrauchern geführt. Gleichwohl hat sie reihenweise Kritikpunkte am MSC: „Das größte Problem ist, dass der MSC Vorschusslorbeeren vergibt“, sagt sie. Die Zertifizierung werde zu früh im Prozess vergeben - für Versprechen auf dem Papier. Zudem stehe der MSC in einem Interessenkonflikte mit der Industrie. Wirklich nachhaltige Fischerei kann aus Sicht von Greenpeace aktuell keines der Labels auf dem Markt garantieren.

Während der WWF empfiehlt, Fisch als „nichtalltägliche Delikatesse“ zu betrachten, also auch bei der Konsumhäufigkeit anzusetzen, wartet man beim MSC auf derlei Hinweise zum Meeresschutz vergeblich. Auch auf die wiederholte Nachfrage einer Teilnehmerin, wie viel Fisch pro Woche gegessen werden könne, antwortet MSC-Chef Howes ausweichend. Er gerät aber ins Schwärmen, als er auf einen Japan-Aufenthalt zu sprechen kommt. Mit mehrmals Fisch auf dem Teller, pro Tag.

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