Soja-Ersatz für Deutschland Gute Bohne, schlechte Bohne

Die Kritik an Soja wächst, heimische Pflanzen sollen die Bohne ersetzen. Etwa die Lupine. Doch es gibt gute Gründe, warum die hiesigen Eiweiß-Hoffnungsträger im Hintertreffen sind.

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Soja sieht der Lupine extrem ähnlich - es ist der Anbauort, der den großen Unterschied machen soll. Quelle: dpa

Die eine Bohne ist etwas größer als ein Maiskorn, zunächst grün und später gelblich. Aus ihr wachsen im Frühling grüne Blätter, die genauso unspektakulär aussehen wie die Bohne selbst. Doch sie steht für alles, was falsch läuft in der Landwirtschaft: abgeholzte Regenwälder, ungezügelte Gentechnik und gigantische Monokulturen.

Die andere Bohne ist etwas dunkler, etwas unförmiger und aus ihr wachsen schöne blaue Blüten. Optisch sind die Lupinen dem Soja deutlich überlegen. Für manch einen bedeutet sie aber auch: schonende Bodenbehandlung, lokaler Anbau und hochprozentige Eiweiße.

Soja und Lupine, zwei Hülsenfrüchte, von denen eine für unsere Ernährung essentiell ist – und die andere es bald werden könnte. Denn die heimischen Lupinen gewinnen immer mehr Unterstützer.

Soja und der schlechte Ruf

Deutschland ist bislang hochgradig Soja-abhängig. Die Bundesrepublik hat 2014 3,7 Millionen Tonnen Sojabohnen und 2,75 Millionen Tonnen Sojaschrot importiert, den Großteil aus Südamerika. Das entspricht der diesjährigen Getreideernte von ganz Niedersachsen.

Blaue Süßlupine (Lupinus angustifolius) im Sommer 2016 am Julius Kühn-Institut in Groß Lüsewitz (Mecklenburg-Vorpommern) Quelle: dpa

Und so entspricht auch die Fläche, die wir für das Soja in den Exportländern belegen, einem kleinen Bundesland. Laut WWF handelt es sich etwa um die Größe von Hessen.

Zu Soja gibt es – beim derzeitigen Preis – nämlich keinen Ersatz: Ob als Milchsubstitut oder Futtermittel für Rinder, Schweine und Geflügel: Unzählige pflanzliche Eiweißprodukte basieren auf Soja. Deshalb fahren die Pflanzen einmal um die halbe Welt – und die tausenden Tonnen an Emissionen, die das verursacht, lassen sich kaum schätzen.

Anbau heimischer Körnerleguminosen 2015 (Quelle: Statistisches Bundesamt, zum Vergrößern klicken)

"Die Sojafläche hat sich in den letzten fünfzig Jahren verzehnfacht", sagt WWF-Landwirtschaftsexpertin Birgit Wilhelm. "Dies geht vor allem auf Kosten natürlicher Ökosysteme." Regenwälder, aber auch artenreiche Savannengebiete müssen Ackerland weichen.

Hinzu kommt der Anbau in riesigen Monokulturen. "Zehntausende Hektar Sojafelder an einem Stück", so Wilhelm. Mit Pestiziden besprüht, die bei uns aus gutem Grund verboten seien. Mehr als 80 Prozent aller Sojabohnen auf der Welt sollen gentechnisch verändert sein. Und zwar so, dass sie resistent gegen Totalherbizide sind, die sämtliche Pflanzen in den Monokulturen abtöten – mit Ausnahme des gentechnisch veränderten Sojas.

Die Vorteile der Lupinen

Die Lösung scheint einfach: "Die Lupine ist bei uns und weltweit besser anbaubar als Soja und jede andere Eiweißpflanze", findet Malte Stampe von Prolupin, einem Start-up, das Lebensmittel wie Joghurt, Eis und Aufstrich auf Lupinenbasis entwickelt. "Alle Produkte, die aus Soja hergestellt werden können, können auch aus Lupinen hergestellt werden."

Die Blaue Süßlupine vor der Verarbeitung. (Foto: Fraunhofer IVV)

Die Lupinen, die sich an ihren blau-violetten, gelben oder weißen kerzenförmigen Blüten erkennen lassen, gehören zur Pflanzenfamilie der Leguminosen und sind mit Ackerbohnen und Erbsen verwandt. Das ist wenig exotisch. Dennoch gehört Prolupin zu nur sehr wenigen Unternehmen, die den Samen der Blauen Süßlupine verarbeiten. Dafür ohne Gentechnik oder fragwürdige Pestizide.

Pudding und Eis aus Lupinen von Prolupin. Quelle: dpa

Der Bedarf ist da: Deutschland baut für seinen Eigenbedarf zu wenige Eiweißpflanzen an, etwa Raps, Ackerbohnen, Erbsen oder eben die Lupinen. "Eiweißlücke" – so nennen Landwirtschaftsexperten das Problem. Derzeit pflanzen Bauern auf 29.600 Hektar Lupinen an, magere 0,25 Prozent der gesamten Ackerfläche. Ein Nischenprodukt.

Trotzdem glauben Wissenschaftler, Unternehmer und Verbände an eine lupinenreiche Zukunft. "Die Blaue Süßlupine ist recht anspruchslos und wächst auf sandigen und sauren Böden in trockenen Regionen", beschreibt Manuela Specht von der Union zur Förderung von Öl- und Proteinpflanzen. Die UFOP abgekürzte Vereinigung ist ein Lobbyverband, hinter dem wiederum zahlreiche landwirtschaftliche Verbände stehen.

Die Produktionshalle der Firma Prolupin GmbH in Grimmen (Mecklenburg-Vorpommern). Quelle: dpa

UFOP spricht sich für einen Anbau in strukturschwachen Regionen aus, wie es sie in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg gibt. Und zwar im großen Stil, nicht nur für Tiere, auch für Menschen. Denn in den Lupinen steckten alle acht essentiellen Aminosäuren, die der menschliche Körper braucht. Natürlich nicht exklusiv, dennoch sehe der Verband ein "großes Potenzial", sagt Specht.

Dumpfer Geschmack, ranziger Abgang

Auf der einen Seite das unbeliebte Soja, auf der anderen der Alleskönner Lupine – warum setzen Landwirte da nicht komplett auf die heimische Bohne? Weil es eben doch nicht so einfach ist. Das liegt vor allem an den unliebsamen Geschmacksstoffen in den Lupinen.

Der hohe Anteil an Bitterstoffen und ein dumpfer Geschmack mit leicht ranzigem Abgang machen den Lupinen das Leben schwer. Als Kulturpflanze ist sie seit der Antike bekannt und konnte sich dennoch nie durchsetzen. Lupinenmehl gibt es zwar schon länger, andere Derivate wie Lupinen-Fleischersatzprodukte liegen erst seit Kurzem in den Supermarkt-Regalen.

Dass sich diese überhaupt verkaufen liegt auch am Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV) in Freising. Das IVV experimentiert seit über 20 Jahren mit Lupinensamen. Die Fraunhofer-Forscher haben viele der störenden Aromen identifizieren können, rund 50 an der Zahl, und ein Verfahren entwickelt, um diese Stoffe aus den Samen der Blauen Süßlupine zu entfernen.

Das funktioniert mittlerweile ganz gut: Übrig bleibt ein neutral schmeckendes Pulver mit einem Eiweißgehalt von mehr als 90 Prozent: Lupinenprotein-Isolat. "Wir haben uns dann gefragt: Was machen wir nun mit diesen funktionellen Proteinen?", sagt Michael Schott, Verfahrenstechniker am Fraunhofer IVV. Die Produktentwicklung empfahl: Eiscreme.

Vor zwei Jahren hat das Institut mit Prolupin – einer Ausgründung der Forscher - den Deutschen Zukunftspreis bekommen. Mittlerweile produziert das Unternehmen in der pommerschen Kleinstadt Grimmen mit 15 Mitarbeitern den Extrakt im größeren Stil. Und das längst nicht mehr nur für Eis. Zwölf Landwirte liefern ihre Lupinen an, geschält und zu Flocken gepresst landen sie in Tonnen-Säcken bei Prolupin.

Landwirtschaftliche Fabrikarbeit in Deutschland

Im Herstellungsraum, einer hohen, hellen Halle, dröhnen die Motoren von großen Rührbehältern. Deckenstrahler tauchen den Raum in ein klinisch-weißes Licht. Zwei Mitarbeiter in weißen Schutzkitteln und weißen Gummistiefeln wachen über die Produktion. Nur ihre Ohrenschützer bilden einen roten Farbpunkt.

Prolupin-Mitarbeiter Marc Zillmann öffnet die Lupine-Maschine. (Foto: Opitz)

Einer der beiden öffnet einen der Metallbehälter und steckt einen Rührstab in eine gelbliche Brühe, die Lupinen-Masse. Sein Kollege kontrolliert die digitalen Temperatur- und Druck-Anzeigen. Unzählige blaue Schläuche schlängeln sich durch die Halle. In ihnen fließen die Lupinen von einer Verarbeitungs-Station zur nächsten.

Der erste Produktionsschritt ist die Entölung. Dafür wird Kohlenstoffdioxid bei 32 Grad unter Druck gesetzt. Die 74 Bar sind gut 40-mal mehr als in einem Schnellkochtopf herrschen. "Dadurch entsteht sogenanntes überkritisches CO2, ein Zwischenzustand zwischen Gas und Flüssigkeit", erklärt Schott.

Dieses überkritische CO2 dient als Lösungsmittel und trennt die ölhaltigen Substanzen und Aromastoffe von den Lupinen-Flocken. Sechs bis sieben Stunden dauert diese Prozedur, bevor man die Fasern entnehmen und weiterverarbeiten kann. Aus den Fasern werden nämlich mit großen Mengen Wasser Proteine gelöst, Zucker entfernt und andere Aromastoffe abgetrennt. Zum Schluss presst eine spezielle Zentrifuge das Wasser aus den Proteinen, das Extrakt fällt in einen Metallbehälter.

Die isolierten Proteine (die deshalb Lupinenprotein-Isolat heißen) liefert Prolupin an mehrere Auftragsfirmen. Diese stellen daraus Eis, Joghurt, Frischkäse, Drinks, Dessert, Nudeln und Mayonnaise her, insgesamt 20 Artikel. Alles ohne Milch oder Eier.

Ein Blick in die Herstellungshalle von Prolupin. (Foto: Opitz)

Mittlerweile führen die großen Supermarkt-Ketten wie Edeka, Rewe, Real und Veganz die Prolupin-Erzeugnisse. Die anfallenden Nebenprodukte – die Lupinen-Schalen, das Öl und die Fasern – landen ebenfalls in der Lebensmittelverarbeitung, etwa für Backwaren. Zielgruppe sind derzeit Veganer, Vegetarier, Flexitarier und Menschen mit Lebensmittel-Unverträglichkeiten.

Künftig könnten alle Menschen zur Zielgruppe werden, sagt Malte Stampe von Prolupin: "Tierische Eiweiße werden in absehbarer Zeit nicht mehr reichen, um die wachsende Weltbevölkerung proteinreich zu ernähren."

Seine Pläne sind ehrgeizig: Zuerst ein flächendeckender Verkauf in allen Supermarkt-Ketten hierzulande, dann die Expansion nach Skandinavien, Westeuropa, Nordamerika, Asien. "Der Lupinen-Anbau und die Produktion des Proteins lassen sich auf andere Länder wie Indien adaptieren", sagt er. Ein Weltmarkt für Lupinen? Eine Hülsenfrucht als Hoffnungsträgerin, um Welternährungs-Probleme zu lösen? Und Deutschland als Zentrum der Eiweiß-Revolution?

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