Ein Besuch in Xingtai Die dreckigste Stadt Chinas

Auf der Klimakonferenz in Lima hat sich das Land erstmals zu einer Reduzierung seiner Emissionen verpflichtet. Kann das gelingen? Ein Besuch in der dreckigsten Stadt des Riesenreichs.

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Xingtai am Morgen Quelle: Eric Leleu für WirtschaftsWoche

In Xingtai husten die Menschen. Die Erwachsenen husten, während sie sprechen, die Kinder husten beim Spielen, die Alten husten im Sitzen vor ihren grauen Häusern. Die einzigen Farben in Xingtai sind die der Leuchtreklamen. Über alles andere, Häuser, Pflanzen, Menschen, hat der Rauch der Kohle- und Stahlwerke einen gelb-grauen Schleier gelegt.

Die Mittagssonne erscheint als trüber, rötlicher Ball am Himmel. Die Luft schmeckt nach Metall und kratzt beim Atmen. Auf der Brücke, die über den Fluss führt, kommt es zu einer gespenstischen Szene. Ein Mann nähert sich den Fremden auf einem Motorrad. Er trägt Cowboyhut und Atemschutzmaske. Kurz hält er an. „Das hier ist ein Albtraum“, ruft er den Besuchern zu und verschwindet im Nebel.

Xingtai, eine Stadt mit mehr als sechs Millionen Einwohnern, trägt einen traurigen Superlativ. Sie gilt als die Stadt mit der schlechtesten Luft Chinas. Die Werte an diesem Tag liegen bei 280 Mikrogramm Feinstaubbelastung pro Kubikmeter Luft. Als „very unhealthy“, „sehr ungesund“, stufen die Messstationen diese Feinstaubkonzentration ein; als Smogkatastrophe oder Simulation eines nuklearen Winters bezeichnen sie Umweltexperten.

Der Feinstaub ist für Menschen gefährlich, weil die Teilchen so klein sind, dass sie über die Lunge in den Blutkreislauf gelangen. Für die Bewohner von Xingtai ist es ein ganz normaler Tag. Der Jahresmittelwert liegt bei 190, das ist 19 Mal höher als der Grenzwert der Weltgesundheitsorganisation. In europäischen Städten wird bei Werten über 25 Smogalarm ausgelöst.

Xingtai liegt in der Provinz Hebei im Norden Chinas. Die ist etwa halb so groß wie Deutschland, hat aber 70 Millionen Einwohner. Sieben der zehn verschmutztesten Städte Chinas liegen hier. Die Provinz ist Chinas Energiezentrum.

Bewohner von Xingtai Quelle: Eric Leleu für WirtschaftsWoche

Sorgen um die Gesundheit

Und doch tut sich etwas in Xingtai: Vor dem Werk von Delong Steel, einem großen staatlichen Stahlproduzenten, schimmert eine Tafel lila und rot durch den Smog. Darauf zu sehen sind die neuesten Feinstaubwerte der Region. „Seit einem halben Jahr haben wir das“, sagt der zuständige Parteisekretär des Werkes. Zu einem Interview ist er nicht bereit.

Lange Zeit war der Regierung in Peking die schlechte Luft egal. Umweltschäden wurden dem Volk als „notwendiger Preis des Fortschritts“ verkauft. Doch in jüngster Zeit findet ein Umdenken statt. Schlechte Luft kennt keine Grenzen. Die Armen in Xingtai atmen sie genauso ein wie mehr als 300 Kilometer weiter nördlich die Kinder der Polit-Bonzen in Peking.

Vor allem die zu Wohlstand gekommene Mittelschicht in den großen Metropolen der Ostküste sorgt sich um die Gesundheit. Umweltschutz wird so auch zu einem Faktor für die politische Stabilität des Landes. Wegen der Luftverschmutzung werden Flüge gestrichen und Autobahnen gesperrt.

Die gesundheitlichen Folgekosten liegen bei 300 Milliarden Dollar im Jahr, schätzt die Weltbank. Hinzu kommt der Imageschaden, den die Bilder versmogter Städte hinterlassen: Immer mehr internationale Unternehmen haben Schwierigkeiten, Mitarbeiter für ihr China-Geschäft zu finden.

China

Abkommen unterzeichnet

Im November haben die USA und die Volksrepublik China ein Abkommen unterzeichnet. China will den CO2-Ausstoß bis 2030 deckeln. Peggy Liu, eine Umweltaktivistin, bezeichnet es als „revolutionär“, weil sich das Schwellenland China zum ersten Mal zu einer Begrenzung des CO2-Ausstoßes verpflichtet hat.

Schon Anfang des Jahres hat Peking den „War on Pollution“, den Krieg gegen die Luftverschmutzung, begonnen. Auf der Klimakonferenz in Lima ließ sich China deswegen als Musterschüler feiern. Aber kann das funktionieren, in einem Land, in dem Wachstum oberste Priorität hat?

Zitate von Xi Jinping

„Ich kann mich nicht erinnern, dass die Luft irgendwann mal gut war“, sagt Guo Na, eine Kellnerin. „Aber vor zwei Jahren wurde es extrem.“ Sorgen macht sich die 38-Jährige eher um ihre zwölfjährige Tochter als um sich selbst. Eine Atemschutzmaske trägt sie wie die meisten Bewohner Xingtais trotzdem nicht.

„Das nützt doch eh’ nix“, sagt sie. Nur wenige Meter von ihrem Lokal im Stadtzentrum entfernt dringt Rauch aus einem Schornstein. Durch den Nebel sieht man ihn kaum. Allein im Zentrum Xingtais gibt es drei Kraftwerke, vier Stahlmühlen und zwei Kokereien.

Wie viele es insgesamt in Hebei sind, weiß niemand. Bis 2017 will die Provinz ihre Stahlproduktion um 60 Millionen Tonnen und den Kohleverbrauch um 40 Millionen senken. In der Stadt Xingtai sollen dann vier Millionen Tonnen weniger Stahl produziert und drei Millionen Tonnen weniger Kohle verbraucht werden.

Doch kommt es wirklich so? Seit 2002 hat sich Chinas Kohleverbrauch fast verdreifacht; 2011 stieg er um 325 Millionen Tonnen, das ist mehr, als Deutschland in einem Jahr verbraucht. Knapp 70 Prozent ihres Energiebedarfs deckt die Volksrepublik mit Kohle.

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