Unstrittig ist, dass sich Merkel 2010 gegen eine Verschärfung der Stickoxidgrenzwerte für Autos in den USA stark machte. Das gab sie im Untersuchungsausschuss zu. Das ist für sich genommen schon ziemlich skandalös. Denn es waren ausgerechnet diese strengen, amerikanischen Stickoxidgrenzwerte, die Volkswagen nicht einhalten konnte und deshalb seine Betrugssoftware programmierte. Offenbar wusste die Kanzlerin also schon 2010 – immerhin fünf Jahre vor Dieselgate – wie heikel das Stickoxidthema für deutsche Autobauer war. Aber warum stellte sie dann die Umweltgesetze Kaliforniens in Frage?
Die frühere Umweltministerin hätte stattdessen auch Volkswagen in die Pflicht nehmen können, hätte dem Konzern raten können, es so zu machen wie etwa BMW: Mit einer teureren, aber besseren Abgasreinigung die Grenzwerte einzuhalten. Volkswagen, seinen Mitarbeitern und dem „Made in Germany“-Image wäre viel erspart geblieben. Es kam anders. Die Kanzlerin engagierte sich lieber für schlechtere Luft in Kalifornien.
Merkel, der lange Arm betrügerischer Autohersteller? Die Kanzlerin musste wissen, dass dieser schlimme Verdacht im Raum stand, als sie am 8. März zur Befragung im Untersuchungsausschuss erschien. Entsprechend heikel war für sie die Frage des Ausschussvorsitzenden Herbert Behrens: Wie sie überhaupt darauf kam, dass die Grenzwerte in USA ein Problem für deutsche Dieselautos seien? Merkel hätte sagen können, dass die deutsche Autoindustrie das zuvor der Bundesregierung mitgeteilt hatte. So zumindest liest sich der Sprechzettel, mit dem das Kanzleramt Merkel auf den US-Termin vorbereitet hatte. Doch Merkel erwähnte das im Untersuchungsausschuss mit keinem Ton.
Stattdessen führte sie aus, dass sie als frühere Umweltministerin eine Expertin für solche Fragen sei („Ich hatte halt viele Jahre Klimaverhandlungen geführt, und deshalb war ich da in der Materie einigermaßen fit“) und folglich von niemand in der Sache beraten werden musste. Leider hat der Ausschuss das damals so stehen lassen, obwohl er es hätte besser wissen können. Denn der fragliche Sprechzettel lag dem Ausschuss vor. So hat der Sprecher der Bundesregierung recht, wenn er nun betont, dem Ausschuss hätten alle relevanten Unterlagen vorgelegen, „Nachfragen oder kritische Bemerkungen seitens der Ausschussmitglieder“ seien aber „nicht erfolgt.“
Nachfragen sind nicht erfolgt – damals nicht, das ist richtig. Aber jetzt. Die Wirtschaftswoche wollte von der Bundesregierung wissen: Hat Merkel im Ausschuss die Wahrheit gesagt? Hat sie den Sprechzettel mit der Position der Autoindustrie vor dem Treffen mit Schwarzenegger gelesen? War die Autoindustrie in der Frage der US-Grenzwerte mit dem Kanzleramt in Kontakt? Solche Fragen kann man mit ja oder nein antworten. Das geht ganz schnell. Doch das Kanzleramt brauchte mehr als zwei Tage, um sich zu einem Antwortschreiben durchzuringen, das keine einzige der Fragen beantwortete.
Stattdessen gab es Allgemeinplätze („Der Artikel entbehrt jeder Grundlage“) und Ausweichmanöver: „Die Bundeskanzlerin hat dem 5. Untersuchungsausschuss des Bundestages klar ihre Erinnerungen zu dem 2010 stattgefundenen Gespräch mit Gouverneur Schwarzenegger dargelegt.“
Es ist unstrittig, dass Merkel über ihre Erinnerungen sprach. Die Frage aber bleibt, ob sie damit die Wahrheit sagte. Die Antwort darf gern noch nachgereicht werden. Der Redaktionsschluss ist zwar längst verstrichen, aber für das Kanzleramt machen wir immer eine Ausnahme.