Der Abgasskandal hat in den vergangenen Jahren bereits einige skurrile Episoden geboten. Doch die Vorwürfe, die am Wochenende aufkamen, muten unglaublich an: Im Auftrag einer von der deutschen Autoindustrie finanzierten Lobbygesellschaft sollen Affen und auch Menschen Abgasen ausgesetzt worden sein, um zu demonstrieren, wie "sauber" die Emissionen moderner Autos sind. Rund zweieinhalb Jahre nach Beginn des Abgasskandals kommen damit immer neue Details ans Licht.
Wurden wirklich Menschen in Versuchen Autoabgasen ausgesetzt?
Nein, nicht direkt. Man muss auch stark zwischen den Menschen- und Affenversuchen unterscheiden: Die Versuchsreihe mit Menschen fand in Deutschland an einem Institut des Universitätsklinikums Aachen statt, die Tierversuche in New Mexico. Wie die "Stuttgarter Zeitung" und "Süddeutsche Zeitung" berichten, soll die von den Konzernen VW, Daimler und BMW gegründete Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT) eine "Kurzzeit-Inhalationsstudie mit Stickstoffdioxid bei gesunden Menschen gefördert" haben. Dies stehe in einem als Tätigkeitsbericht für die Jahre 2012 bis 2015 herausgegebenen Report.
Dabei wurden die 25 Probanden jeweils über mehrere Stunden gezielt Stickstoffdioxid (NO2) in unterschiedlichen Konzentrationen ausgesetzt. Laut der 2017 aufgelösten EUGT wurde hierbei keine Wirkung festgestellt. Der zuständige Institutsleiter Thomas Kraus sagte der "Stuttgarter Zeitung" jedoch, die 2016 veröffentlichte Studie sei nur eingeschränkt aussagekräftig. Zum einen ließen sich die Befunde nicht auf die gesamte Bevölkerung übertragen, zum anderen sei Stickstoffdioxid nur ein Teil der gesamten Luftbelastung durch Autoabgase.
Der Nachrichtenagentur DPA sagte Kraus, er sehe keine Verbindung zum Abgasskandal. Die Studie aus dem Jahr 2013 – also lange vor dem VW-Dieselskandal – habe sich mit dem Stickstoffdioxidgrenzwert am Arbeitsplatz befasst, erklärt er. Weil der Grenzwert herabgesetzt worden sei und es keine Studien zu Menschen gegeben habe, seien 25 gesunde Probanden Belastungen ausgesetzt worden, die unterhalb der Belastungen am Arbeitsplatz lägen. Die Ethikkommission habe die 2016 veröffentlichte Studie als vertretbar bewertet. Allerdings habe die von den Konzernen VW, Daimler und BMW gegründete Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT) die Studie gefördert, die Forscher jedoch "in keinster Weise" beeinflusst, sagte Kraus.
Wie gefährlich sind Stickoxide?
Unter dem Begriff Stickoxide (NOx) werden Stickstoffmonoxid (NO) und Stickstoffdioxid (NO2) zusammengefasst. Beide kommen in der Natur kaum vor. Motoren emittieren vor allem NO, welches dann in der Atmosphäre zu NO2 oxidiert. Stickstoffdioxid reizt die menschlichen Schleimhäute und Atemwege. Akute Entzündungen können durch hohe Konzentrationen von mehr als 200 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft ausgelöst werden, was wiederum langfristig zu chronischer Bronchitis oder Asthma führen kann. Bei Menschen mit bereits geschädigten Atemwegen können auch geringere Konzentrationen zu Beschwerden führen.
Welche Schadstoffe im Abgas stecken
Stickoxide (allgemein NOx) gelangen aus Verbrennungsprozessen zunächst meist in Form von Stickstoffmonoxid (NO) in die Atmosphäre. Dort reagieren sie mit dem Luftsauerstoff auch zum giftigeren Stickstoffdioxid (NO2). Die Verbindungen kommen in der Natur selbst nur in Kleinstmengen vor, sie stammen vor allem aus Autos und Kraftwerken. Die Stoffe können Schleimhäute angreifen, zu Atemproblemen oder Augenreizungen führen sowie Herz und Kreislauf beeinträchtigen. Pflanzen werden dreifach geschädigt: NOx sind giftig für Blätter und sie überdüngen und versauern die Böden. Außerdem tragen Stickoxide zur Bildung von Feinstaub und bodennahem Ozon bei.
Kohlendioxid (CO2) ist in nicht zu großen Mengen unschädlich für den Menschen, aber zugleich das bedeutendste Klimagas und zu 76 Prozent für die menschengemachte Erderwärmung verantwortlich. Der Straßenverkehr verursacht laut Umweltbundesamt rund 17 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen in Deutschland – hier spielt CO2 die größte Rolle. Es gibt immer sparsamere Motoren, zugleich aber immer größere Autos und mehr Lkw-Transporte. Außerdem mehren sich Hinweise darauf, dass Autobauer nicht nur bei NOx-, sondern auch bei CO2-Angaben jahrelang getrickst haben könnten.
Bei der Treibstoff-Verbrennung in vielen Schiffsmotoren fällt auch giftiges Schwefeldioxid (SO2) an. In Autos und Lkws entsteht dieser Schadstoff aber nicht, was am Kraftstoff selbst liegt: Schiffsdiesel ist deutlich weniger raffiniert als etwa Pkw-Diesel oder Heizöl und enthält somit noch chemische Verbindungen, die bei der Verbrennung in Schadstoffe umgewandelt werden.
Winzige Feinstaub-Partikel entstehen entweder direkt in Automotoren, Kraftwerken und Industrieanlagen oder indirekt durch Stickoxide und andere Gase. Die Teilchen gelangen in die Lunge und dringen in den Blutkreislauf ein. Sie können Entzündungen der Atemwege hervorrufen, außerdem Thrombosen und Herzstörungen. Der Feinstaub-Ausstoß ist in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre deutlich gesunken. Städte haben Umweltzonen eingerichtet, um ihre Feinstaubwerte zu senken.
Feinstaub entsteht aber nicht nur in den Motoren. Auch der Abrieb von Reifen und Bremsen löst sich in feinsten Partikeln. Genauso entstehen im Schienenverkehr bei jedem Anfahren und Bremsen feiner Metallabrieb an den Schienen. All das landet ebenfalls als Feinstaub in der Luft.
Katalysatoren haben die Aufgabe, gefährliche Gase zu anderen Stoffen abzubauen. In Autos wandelt der Drei-Wege-Kat giftiges Kohlenmonoxid (CO) mit Hilfe von Sauerstoff zu CO2, längere Kohlenwasserstoffe zu CO2 und Wasser sowie NO und CO zu Stickstoff und CO2 um. Der sogenannte Oxidations-Kat bei Dieselwagen ermöglicht jedoch nur die ersten beiden Reaktionen, so dass Dieselabgase noch mehr Stickoxide enthalten als Benzinerabgase. Eingespritzter Harnstoff („AdBlue“) kann das Problem entschärfen: Im Abgasstrom bildet sich so zunächst Ammoniak, der anschließend in Stickstoff und Wasser überführt wird.
Was hat es mit den Affenversuchen auf sich?
2014 – also ebenfalls vor Bekanntwerden des Dieselskandals – sollen am Lovelace Respiratory Research Institute in New Mexico zehn Affen stundenlang Abgase eines VW Beetle eingeatmet haben, während ihnen zur Beruhigung Zeichentrickfilme gezeigt wurden. So beschreibt Jake McDonald, was sich auf Betreiben von Volkswagen in seinem Forschungsinstitut in Albuquerque abgespielt haben soll. Die Studie wurde vom EUGT in Auftrag gegeben, federführend war laut Studienleiter McDonald dabei VW.
Laut Forscher McDonald wollte man die Experimente anfangs sogar mit Menschen durchführen. Doch nachdem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Dieselabgase als krebserregend eingestuft habe, seien wegen rechtlicher Bedenken Affen zum Einsatz gekommen. Die entscheidenden Anweisungen habe stets VW gegeben. Was damals noch keiner wusste: Der getestete Beetle hatte eben jene Software zur Abgas-Manipulation an Bord, die Volkswagen im darauffolgenden Jahr in eine der tiefsten Krisen der Konzerngeschichte stürzen sollte. Interessante Randnotiz: Laut den Gerichtsakten wurde der Test-Beetle von VW-Ingenieur James Liang an die Forschungseinrichtung übergeben – jener Liang, der wegen seiner Rolle in der Abgasaffäre zu drei Jahren und vier Monaten Gefängnis sowie zu einer Geldstrafe von 200.000 Dollar verurteilt wurde.