Es ist ein schwarzer Donnerstag für Takata: Die Aktien des angeschlagenen japanischen Autozulieferers gaben um weitere 52 Prozent nach – dabei war der Kurs in den vergangenen drei Jahren wegen des Rückrufdesasters von fehlerhaften Airbags bereits rapide gefallen. Die wichtigsten Antworten zur Lage des Unternehmens.
Warum ist der Aktienkurs am Donnerstag erneut so stark gefallen?
Weil die Anleger den Durchhalteparolen des Managements nicht mehr glauben. Seit Wochen mehren sich die Gerüchte über eine dramatische Verschärfung der finanziellen Lage, doch das Unternehmen beteuert das Gegenteil – offensichtlich ohne Überzeugungskraft. In der vergangenen Woche berichteten die japanische Wirtschaftszeitung „Nikkei“ und die Agentur Kyodo unter Berufung auf informierte Quellen, Takata könnte möglicherweise noch Ende dieses Monats vor Gericht Insolvenz beantragen. Inzwischen wird spekuliert, dass das Unternehmen am kommenden Montag Gläubigerschutz beantragen könnte – weshalb die Anleger ihre Papiere jetzt panikartig verkaufen wollen.
Was war nochmals das Problem bei Takata?
Takata beliefert viele Autobauer mit Airbags. Einige davon können unvermittelt explodieren und mit umherfliegenden Metallsplittern verletzen. Weltweit stehen mindestens 16 Todesfälle mit defekten Aufblasvorrichtungen von Takata in Verbindung. Mehr als 100 Millionen Airbags wurden zurückgerufen, davon allein in den USA 70 Millionen. Betroffen sind dort etwa 42 Millionen Fahrzeuge.
Fünf Gründe für die häufigen Rückrufe
Die technische Komplexität der Fahrzeuge ist in den letzten 10 bis 15 Jahren enorm gestiegen, wodurch die Fahrzeuge zwar grundsätzlich sicherer geworden sind. Allerdings führte die technische Komplexität auch zu einem Anstieg der Fehlerhäufigkeit und Fehleranfälligkeit. Hierzu tragen unter anderem passive und aktive Sicherheitssysteme (wie ABS, ESP, Airbags; Fahrassistenzsysteme) bei, die gleichzeitig die Fahrzeugsicherheit deutlich erhöht haben. Darüber hinaus sind motortechnische Optimierungen (Start/Stopp-Systeme, Aufladung etc.) sowie zahlreiche Komfortmerkmale wie etwa Navigations-, Telefon und Internetdienste im Fahrzeuge zu nennen. Es ist zu erwarten, dass im Zuge der Entwicklung weiterer Komfort- und Sicherheitsfeatures auch künftig der Komplexitätsgrad der Fahrzeuge zunimmt.
Quelle: "Die Rückruf-Trends der globalen Automobilhersteller im Jahr 2014 (AutomotivePeformance 2015)" des Center of Automotive Management
Die Produktentwicklungszyklen wurden in den vergangenen zehn Jahren deutlich verkürzt. Aufgrund der hohen Wettbewerbsintensität der Branche bringen die globalen Hersteller in immer kürzerer Zeit neue Modelle bzw. Derivate in Umlauf und verbreitern damit ihr Produktportfolio kontinuierlich. Wer es schafft, mit neuen Modellen beziehungsweise Modellvarianten schnell am Markt zu sein, hat im globalen Wettbewerb Vorteile. Der hohe Zeitdruck in der Produktentwicklung wirkt sich negativ auf
die Qualitätssicherung aus.
Um Kosten-, Zeit- und Innovationsvorteile zu realisieren, wurden erhebliche Teile der Wertschöpfung auf die Automobilzulieferer übertragen. Ihr Wertschöpfungsanteil ist mittlerweile auf rund 75 Prozent gestiegen. Gleichzeitig steigen mit dieser Verlagerung die Anforderungen an unternehmensübergreifendes Qualitätsmanagement, das darüber hinaus auf globaler Ebene sichergestellt werden muss. Es muss einerseits nicht nur die eigene Produktqualität, sondern auch durch geeignete Prozesse die Teilequalität der globalen Lieferanten gesichert werden. Andererseits steigt die Komplexität eines Qualitätsmanagement auch dadurch, dass die Automobilhersteller nicht nur die zugelieferten Teile, sondern meist auch die Qualität der international verteilten Produktionsanlagen ihrer Zulieferer einschätzen und durch Prozesse absichern müssen.
Die Automobilhersteller stehen aufgrund der hohen Wettbewerbsintensität auch unter enormen Kostendruck. Gleichzeitig geben die Hersteller den Kostendruck an die Automobilzulieferer weiter, die dazu angehalten sind, ihre eigene Kosten beziehungsweise die ihrer Teile- und Rohstofflieferanten zu drücken. Hier besteht die Gefahr, dass der Kostendruck auf zu Ungunsten der Produktqualität geht.
Um Kosten zu sparen und die Entwicklungsgeschwindigkeit zu erhöhen, müssen die Hersteller zunehmend auf Gleichteile- oder Baukastenstrategien setzen. Hierbei nutzen die OEM die gleichen Komponenten und Module in möglichst vielen Modellen, um von den hiermit verbundenen Mengeneffekten zu profitieren. So plant BMW etwa die Zahl der hergestellten Fahrzeuge je Plattform bis zum Jahr 2019 etwa zu verdoppeln, Volkswagen (durch die Einführung des MQB) diese sogar fast zu verdreifachen. Diese Strategie entwickelt sich zu einem wichtigen Erfolgs- und Überlebensfaktor der Hersteller, da sich aus ihr erhebliche Kostenvorteile ergeben können. Gleichzeitig steigt jedoch das Risiko, dass bei Qualitätsproblemen einzelner Teile oder Komponenten eine große Menge von Fahrzeugen über Baureihen hinweg zurückgerufen werden müssen.
Wie ernst ist die Lage?
Angesichts gewaltiger Verbindlichkeiten in Höhe von mehr als einer Billion Yen (rund 8,1 Milliarden Euro) wäre dies die größte Pleite eines Produktionsunternehmens in der japanischen Nachkriegsgeschichte. Das Problem: Seit Ausbruch der Krise 2014 verdient Takata kein Geld mehr, die Zahlen sind tiefrot. Umgerechnet stand in dem Ende März zu Ende gegangenen Geschäftsjahr ein Minus von umgerechnet 640 Millionen Euro in den Büchern. Da das japanische Unternehmen mit den gigantischen Rückrufzahlen das Verhältnis zu seinen Kunden stark beschädigt hat, brechen zunehmend Folgeaufträge weg – und es wird noch schwerer, die Krise zu überwinden.
Wie geht es jetzt weiter?
Der von der Nachrichtenagentur Reuters zitierte Insider geht davon aus, dass Takata am Montag einen Antrag auf Gläubigerschutz am zuständigen Bezirksgericht in Tokio einreichen wird. Anschließend werde Takata bei der Sumitomo Mitsui Financial Group Überbrückungskredite beantragen. Am kommenden Dienstag steht dann die Hauptversammlung des Autozulieferers an – spätestens dann wird das Management seine Pläne den Aktionären erklären müssen.
Wie ist die Lage in den USA?
Im Januar hatte Takata mit den US-Behörden eine Einigung im Airbag-Skandal erzielt. Danach zahlt die Firma unter anderem eine Milliarde Dollar und stellt sich drei Jahre lang unter die Aufsicht eines unabhängigen Prüfers.
Wer war alles von den fehlerhaften Takata-Airbags betroffen?
Von den deutschen Herstellern unter anderem Daimler, Volkswagen und BMW. Alle haben im Zusammenhang mit der Rückrufaktion hohe Millionenbeträge zurückgestellt. Takata beliefert aber auch viele japanische und amerikanische Hersteller. Gemessen an der Anzahl der zurückgerufenen Autos war Honda am stärksten von dem Takata-Debakel betroffen.
Was war die Ursache für die Airbag-Probleme?
Eine Kombination aus drei Faktoren: fehlende wasserabsorbierende Chemikalien, hohe Temperaturen und eine mangelhafte Bauweise. Das sagen zumindest zehn betroffene Autobauer. Die Unternehmen – darunter BMW, Toyota und General Motors – hatten sich im Dezember 2014 zu einer unabhängigen Testkoalition zusammengeschlossen und die Untersuchung in Auftrag gegeben. Ein bestimmtes Ammoniumnitrat, das Takata verwendet hat, kann keine Flüssigkeiten aufnehmen. Steht und fährt der Wagen lange Zeit in einem feucht-warmen Klima, kann die mangelhafte Konstruktion nicht verhindern, dass Feuchtigkeit eindringt – der Teufelskreis ist komplett. Diese Hypothese wird durch die Tatsache gestützt, dass die meisten der tödlichen Unfälle im warmen Süden der USA registriert wurden.