Volkswagen Wie sich der CO2-Skandal in Luft aufgelöst hat

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Die Horrorvorstellung

Staatshilfe für VW – für die Bundesregierung ist das eine Horrorvorstellung. Umgehend verlangt das Verkehrsministerium Klarheit. Die Antwort aus Wolfsburg lässt wenig Zweifel daran, dass eine Katastrophe droht. „Die weiteren Untersuchungen“, teilt VW mit, hätten ergeben, dass „bei bestimmten Fahrzeugen selbst bei weiter Interpretation der legalen Handlungsspielräume die ursprünglich angegebenen Werte nicht reproduzierbar waren“. Auf Deutsch: Die früher angegebenen Verbrauchswerte sind bei nochmaliger Prüfung nicht mehr erreichbar.

Das ganze Ausmaß des Desasters bleibt erst mal unklar. Am 13. November 2015 schreibt der neue VW-Chef Matthias Müller an Verkehrsminister Alexander Dobrindt, dass nun immerhin alle „betroffenen Fahrzeuge aus dem Modelljahr 2016“ identifiziert seien. Wenige Tage darauf meldet Volkswagen dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) und dem Ministerium weitere verdächtige Autos aus den Jahren 2013 bis 2016.

Gleichzeitig arbeitet der Konzern wohl schon daran, den potenziellen Skandal doch noch abzuwenden. Am 19. November marschieren Anwälte von Volkswagen ins Berliner Verkehrsministerium. Für das Treffen mit Vertretern der Regierung im Raum C 1.091 sind satte drei Stunden angesetzt. Die Juristen der Großkanzlei Freshfields wecken hier erstmals Zweifel an der bisherigen Darstellung ihres Mandanten. VW werde die bislang kommunizierten Angaben zur bewussten Manipulation der CO2-Werte nicht aufrecht erhalten, sagen sie.

Der Konzern müsse erst mal gründlich nachmessen. Das aber werde dauern. „Hinsichtlich des Zeithorizontes gibt VW zu bedenken, dass ein Abschluss der Messungen für das Modelljahr 2016 noch im Dezember 2015 möglicherweise aus Kapazitätsgründen nicht zu erreichen ist“, heißt es in einem Aktenvermerk.

Um zusätzlich verdächtige Modelle aus den Vorjahren zu überprüfen, würden sicher noch weitere Monate ins Land gehen. Schließlich stuft VW selbst noch am 1. Dezember in einem vertraulichen Papier rund 80 Prozent der fraglichen VW-Modelle als kritisch ein. Nur bei knapp 20 Prozent stimmen die CO2-Werte nach Ansicht von VW.

Der VW-Ingenieur James Liang wurde zu 40 Monaten Haft verurteilt. Sein Verteidiger, Gero von Pelchrzim, über die Haftbedingungen, die Rolle seines Mandanten im Dieselskandal und die Frage, ob er das Urteil annimmt.
von Andreas Macho

Doch dann löst sich das Problem überraschend schnell in Luft auf. Am 3. Dezember 2015 teilt VW der Regierung mit, dass sich die ursprünglich genannte Zahl von Hunderttausenden Autos nicht bestätigt habe. Nur noch neun Modellvarianten statt zuvor weit über Hundert seien auffällig. Statt 800.000 Autos sind nur noch 36.000 betroffen – eine gigantische Reduktion innerhalb von gerade mal zwei Tagen. „Von entscheidender Bedeutung“ dafür sei, hält VW in einem Schreiben fest, „die Tatsache, dass die internen Überprüfungen der Messverfahren und Messstandards bei Volkswagen nach heutigem Erkenntnisstand keine Beweise für illegale oder manipulative Maßnahmen ergeben haben“.

Als Beleg legt VW zwei Entwürfe von Gutachten der Kanzlei Freshfields vor. Die rechtfertigen die Messverfahren, mit denen VW einst die – später nicht mehr erreichbaren – Messwerte für die Zulassung der Autos ermittelt hatte. Mehr noch: Die Angabe eines niedrigeren Wertes durch den Hersteller sei gesetzlich nicht unzulässig, da es „keine Vorgaben“ für die Ermittlung der Herstellerangabe gebe. Selbst wenn ein Hersteller mit „vollständig gegriffenen“ – also frei erfundenen – „Werten“ arbeite, bewege er sich im legalen Bereich.

So ganz trauen die Anwälte ihrem erstaunlichen Befund offenbar selbst nicht. So halten sie schriftlich fest, dass sich nicht ausschließen lasse, dass Gerichte oder Behörden zu anderen Einschätzungen kommen.

Pikant: Einen Tag zuvor, am 2. Dezember, war ein Treffen von VW-Leuten mit Verkehrs-Staatssekretär Michael Odenwald terminiert. Hat dieses Treffen den Sinneswandel beflügelt? Das Ministerium weist das zurück, Volkswagen will sich nicht äußern.

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