Volkswagen Wie sich der CO2-Skandal in Luft aufgelöst hat

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Erstaunlich still

Die Behörden hinterfragen die Freshfields-Erkenntnisse offenbar kaum. Am 4. Dezember erfährt das KBA von VW offenbar mündlich, dass sich „die Großwetterlage ändern“ wird. So hält es ein VW-Mitarbeiter am 7. Dezember in einer E-Mail an das Amt fest. Gleichzeitig weist er die Beamten schon mal darauf hin, dass die angehängte Liste mit den kritischen Fahrzeugen „dann gegenstandslos wäre“. Obwohl der Konzern seinen eigenen Messungen also offenbar weiterhin misstraut, setzt er schon voll auf den juristischen Notausgang.

Ebenfalls am 7. Dezember sendet VW per Fax einen Entwurf ans KBA, in dem der Konzern darum bittet, den Bescheid aufzuheben, mit dem die Aufsicht die CO2-Werte selbst neu ermitteln will. „Umfangreiche interne Prüfungen“ hätten ergeben, dass fast alle Modelle nun doch den angegebenen Werten entsprechen. Thomas Steg, Cheflobbyist von VW und Ex-Vizeregierungssprecher von Kanzlerin Merkel, lässt sogar schon den Entwurf einer Pressemitteilung an Staatssekretär Odenwald schicken.

Was die neuen Abgas-Tests bedeuten
WLTP Quelle: obs
Was ändert sich genau unter diesem WLTP-Zyklus?Viele Details: So dauert der Labortest zehn Minuten länger und kommt nur noch auf 13 Prozent Stillzeit. Die gesamte Zykluslänge simuliert mit 23,25 Kilometern eine mehr als doppelt so lange Strecke wie der NEFZ. Die Maximalgeschwindigkeit liegt bei 131 Stundenkilometern statt bisher 120 Stundenkilometern. Außerdem werden Sonderausstattungen für Gewicht, Aerodynamik und Bordnetzbedarf berücksichtigt. Quelle: dpa
Wie werden denn auf der Straße Emissionen gemessen? Gemessen wird mit Hilfe eines portablen Messsystems namens PEMS („Portable Emission Measurement System“). Es wird an der Rückseite des Autos am Auspuff montiert und kann so ortsungebunden die Abgase einfangen. Quelle: dpa
Wie verlässlich sind diese Messungen? Die Messung am fahrenden Auto bringt gewisse Messungenauigkeiten mit sich. Denen trage aber die Gesetzgebung mit Konformitätsfaktoren Rechnung, heißt es bei Bosch. Zu Beginn dürfen die Emissionen noch das 2,1-Fache des Grenzwerts betragen. Von Januar 2020 ist nur noch die Messtechniktoleranz von 50 Prozent des Grenzwerts vorgesehen. Quelle: dpa
Sind dank RDE Unterschiede zwischen Labor und Realität Vergangenheit? Zumindest nähert man sich an: De facto würden Abweichungen von Abgaswerten zwischen Labor und Straße definitiv ausgeschlossen, heißt es beim VDA. Allerdings, warnt man beim ADAC, könne es auch hier im alltäglichen Betrieb zu Abweichungen kommen, da auch im RDE-Messverfahren nicht jede Fahrweise eines jeden Autofahrers abgedeckt werde. Quelle: dpa
Wie sieht es mit den neuen Labortests aus? Ziel der neuen Testmethoden im Labor ist es, realitätsnähere Kraftstoffverbräuche darzustellen. Erste Studien prognostizieren laut ADAC, dass durch die neuen Methoden die bisherige Lücke zwischen Messungen im Labor und auf der Straße halbiert werden könnte. Das genaue Ausmaß der Verbesserung ist derzeit jedoch schwer einzuschätzen, weil die neuen Vorgaben noch nicht gelten. Allerdings werden die Verbraucher sich auch darauf einstellen müssen, dass die Test zu höheren Normverbrauchswerten führen. Quelle: dpa
Muss ich mein Auto jetzt umrüsten? Nein: Die neuen Tests gelten nur für neue Fahrzeugmodelle. Autos, die bereits im Verkehr sind, sind davon nicht betroffen. Quelle: dpa

Zwei Tage später heißt es dann auch öffentlich, dass die „CO2-Thematik weitgehend abgeschlossen“ ist. Alles scheint gut: Die ursprünglich im Verdacht stehenden 800.000 Fahrzeuge scheinen die Behörden nicht mehr zu interessieren. Laut vertraulichen Unterlagen geht es fortan nur noch um Nachmessungen bei den bis zuletzt von VW „als kritisch eingestuften 9 Modellvarianten“. Das Ministerium widerspricht dem gegenüber der WirtschaftsWoche. Die umfangreichen Tests zur Neufeststellung der CO2-Werte hätten sich nicht auf nur neun Varianten beschränkt.

Mindestens bis ins Frühjahr 2016 werden Autos nachgemessen. Unterlagen und Berichten eines Insiders zufolge zeigen Nachmessungen unter Aufsicht des KBA bei 13 von 19 Fahrzeugen erhöhte CO2-Werte. Doch VW zweifelt die Resultate unter anderem mit dem Argument an, dass kein von VW ausgebildeter Fahrer die Tests gefahren sei. Andere für VW ungünstige Messergebnisse soll das KBA teilweise gar nicht erst zu sehen bekommen haben. Dem KBA seien nur gültige Messungen „nach Freigabe durch VW“ zu übermitteln gewesen, sagt ein Insider. Volkswagen schweigt dazu.

Welche Schadstoffe im Abgas stecken

Im ersten Quartal 2016 muss Volkswagen die CO2-Werte für sechs Fahrzeugtypen leicht anpassen – und das auch nur für die Zukunft. Wer das Auto neu kauft, zahlt höhere Steuern. Halter von Fahrzeugen, die schon auf der Straße fahren, müssen nichts fürchten. Es seien „keine rückwirkenden Anpassungen von Katalogwerten vorzunehmen“, teilt der Konzern mit. Einzige Ausnahme: eine Modellvariante des Golf Variant Alltrack, „die insgesamt aber nur 27 Fahrzeuge umfasst“, wie der Konzern heute erklärt. Ansonsten seien sämtliche Werte aus der Genehmigung bestätigt worden. Das Ministerium beteuert, dass sich „keine Belege“ für den ursprünglichen Verdacht gefunden hätten, dass es „rechtswidrige Veränderungen der Verbrauchsangaben von Serienfahrzeugen bei der Typzulassung gegeben“ habe.

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