Die Behörden hinterfragen die Freshfields-Erkenntnisse offenbar kaum. Am 4. Dezember erfährt das KBA von VW offenbar mündlich, dass sich „die Großwetterlage ändern“ wird. So hält es ein VW-Mitarbeiter am 7. Dezember in einer E-Mail an das Amt fest. Gleichzeitig weist er die Beamten schon mal darauf hin, dass die angehängte Liste mit den kritischen Fahrzeugen „dann gegenstandslos wäre“. Obwohl der Konzern seinen eigenen Messungen also offenbar weiterhin misstraut, setzt er schon voll auf den juristischen Notausgang.
Ebenfalls am 7. Dezember sendet VW per Fax einen Entwurf ans KBA, in dem der Konzern darum bittet, den Bescheid aufzuheben, mit dem die Aufsicht die CO2-Werte selbst neu ermitteln will. „Umfangreiche interne Prüfungen“ hätten ergeben, dass fast alle Modelle nun doch den angegebenen Werten entsprechen. Thomas Steg, Cheflobbyist von VW und Ex-Vizeregierungssprecher von Kanzlerin Merkel, lässt sogar schon den Entwurf einer Pressemitteilung an Staatssekretär Odenwald schicken.
Zwei Tage später heißt es dann auch öffentlich, dass die „CO2-Thematik weitgehend abgeschlossen“ ist. Alles scheint gut: Die ursprünglich im Verdacht stehenden 800.000 Fahrzeuge scheinen die Behörden nicht mehr zu interessieren. Laut vertraulichen Unterlagen geht es fortan nur noch um Nachmessungen bei den bis zuletzt von VW „als kritisch eingestuften 9 Modellvarianten“. Das Ministerium widerspricht dem gegenüber der WirtschaftsWoche. Die umfangreichen Tests zur Neufeststellung der CO2-Werte hätten sich nicht auf nur neun Varianten beschränkt.
Mindestens bis ins Frühjahr 2016 werden Autos nachgemessen. Unterlagen und Berichten eines Insiders zufolge zeigen Nachmessungen unter Aufsicht des KBA bei 13 von 19 Fahrzeugen erhöhte CO2-Werte. Doch VW zweifelt die Resultate unter anderem mit dem Argument an, dass kein von VW ausgebildeter Fahrer die Tests gefahren sei. Andere für VW ungünstige Messergebnisse soll das KBA teilweise gar nicht erst zu sehen bekommen haben. Dem KBA seien nur gültige Messungen „nach Freigabe durch VW“ zu übermitteln gewesen, sagt ein Insider. Volkswagen schweigt dazu.
Welche Schadstoffe im Abgas stecken
Stickoxide (allgemein NOx) gelangen aus Verbrennungsprozessen zunächst meist in Form von Stickstoffmonoxid (NO) in die Atmosphäre. Dort reagieren sie mit dem Luftsauerstoff auch zum giftigeren Stickstoffdioxid (NO2). Die Verbindungen kommen in der Natur selbst nur in Kleinstmengen vor, sie stammen vor allem aus Autos und Kraftwerken. Die Stoffe können Schleimhäute angreifen, zu Atemproblemen oder Augenreizungen führen sowie Herz und Kreislauf beeinträchtigen. Pflanzen werden dreifach geschädigt: NOx sind giftig für Blätter und sie überdüngen und versauern die Böden. Außerdem tragen Stickoxide zur Bildung von Feinstaub und bodennahem Ozon bei.
Kohlendioxid (CO2) ist in nicht zu großen Mengen unschädlich für den Menschen, aber zugleich das bedeutendste Klimagas und zu 76 Prozent für die menschengemachte Erderwärmung verantwortlich. Der Straßenverkehr verursacht laut Umweltbundesamt rund 17 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen in Deutschland – hier spielt CO2 die größte Rolle. Es gibt immer sparsamere Motoren, zugleich aber immer größere Autos und mehr Lkw-Transporte. Außerdem mehren sich Hinweise darauf, dass Autobauer nicht nur bei NOx-, sondern auch bei CO2-Angaben jahrelang getrickst haben könnten.
Bei der Treibstoff-Verbrennung in vielen Schiffsmotoren fällt auch giftiges Schwefeldioxid (SO2) an. In Autos und Lkws entsteht dieser Schadstoff aber nicht, was am Kraftstoff selbst liegt: Schiffsdiesel ist deutlich weniger raffiniert als etwa Pkw-Diesel oder Heizöl und enthält somit noch chemische Verbindungen, die bei der Verbrennung in Schadstoffe umgewandelt werden.
Winzige Feinstaub-Partikel entstehen entweder direkt in Automotoren, Kraftwerken und Industrieanlagen oder indirekt durch Stickoxide und andere Gase. Die Teilchen gelangen in die Lunge und dringen in den Blutkreislauf ein. Sie können Entzündungen der Atemwege hervorrufen, außerdem Thrombosen und Herzstörungen. Der Feinstaub-Ausstoß ist in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre deutlich gesunken. Städte haben Umweltzonen eingerichtet, um ihre Feinstaubwerte zu senken.
Feinstaub entsteht aber nicht nur in den Motoren. Auch der Abrieb von Reifen und Bremsen löst sich in feinsten Partikeln. Genauso entstehen im Schienenverkehr bei jedem Anfahren und Bremsen feiner Metallabrieb an den Schienen. All das landet ebenfalls als Feinstaub in der Luft.
Katalysatoren haben die Aufgabe, gefährliche Gase zu anderen Stoffen abzubauen. In Autos wandelt der Drei-Wege-Kat giftiges Kohlenmonoxid (CO) mit Hilfe von Sauerstoff zu CO2, längere Kohlenwasserstoffe zu CO2 und Wasser sowie NO und CO zu Stickstoff und CO2 um. Der sogenannte Oxidations-Kat bei Dieselwagen ermöglicht jedoch nur die ersten beiden Reaktionen, so dass Dieselabgase noch mehr Stickoxide enthalten als Benzinerabgase. Eingespritzter Harnstoff („AdBlue“) kann das Problem entschärfen: Im Abgasstrom bildet sich so zunächst Ammoniak, der anschließend in Stickstoff und Wasser überführt wird.
Im ersten Quartal 2016 muss Volkswagen die CO2-Werte für sechs Fahrzeugtypen leicht anpassen – und das auch nur für die Zukunft. Wer das Auto neu kauft, zahlt höhere Steuern. Halter von Fahrzeugen, die schon auf der Straße fahren, müssen nichts fürchten. Es seien „keine rückwirkenden Anpassungen von Katalogwerten vorzunehmen“, teilt der Konzern mit. Einzige Ausnahme: eine Modellvariante des Golf Variant Alltrack, „die insgesamt aber nur 27 Fahrzeuge umfasst“, wie der Konzern heute erklärt. Ansonsten seien sämtliche Werte aus der Genehmigung bestätigt worden. Das Ministerium beteuert, dass sich „keine Belege“ für den ursprünglichen Verdacht gefunden hätten, dass es „rechtswidrige Veränderungen der Verbrauchsangaben von Serienfahrzeugen bei der Typzulassung gegeben“ habe.